Kontrollwahn, Respektlosigkeit im Umgang und Regelhörigkeit beschädigen die Unternehmensseele – doch die ist für den Erfolg unverzichtbar. Gastbeitrag von Bruno Hartmann

Haben Unternehmen eine Seele? Ja, und die ist entscheidend für den Erfolg. Das gilt insbesondere für den Fortschritt und die digitale Transformation, meint Bruno Hartmann, Führungskraft im Vertrieb beim Industriehydraulikhersteller Bosch Rexroth und Buchautor. Der Ingenieur für Antriebstechnik hat die Auflösung des Mannesmann-Konzerns miterlebt und den Wandel zu einem modernen Technologiekonzern. Ein Gastbeitrag.

 

 

Bruno Hartmann (Foto: Presse)

 

Digitaler Wandel: Die Unternehmenssele kultivieren 

Wenn das Mitarbeitergespräch im Wesentlichen aus dem prozess-konformen Ausfüllen eines Online-Formulars besteht, sich die Belegschaft längst in Digital Natives und Digital Immigrants teilt und Kollegen sich per Video-Bild ins Meeting begeben, wird klar: Die Digitalisierung steht nicht nur ins Haus, sie hat oft die Unternehmenskultur bereits fest im Griff.

Nur: Viel von dem, was eigentlich Zeit sparen soll, kostet tatsächlich Verbundenheit. Der scheinbar seelenlose Datentransfer, die zunehmende Prozessorientierung und Automatisierung lässt auf den ersten Blick wenig Raum für das, was die noch immer wichtigste Ressource eines Unternehmens ausmacht: die Fähigkeit von Menschen, kreativ zu sein, zu lernen, und der Wille, gemeinsam mit anderen Ziele zu erreichen, die ein einzelner nie erreichen kann.

Wenn man schon jetzt über gut gemeinte IT-basierte Human-Ressource-Prozesse stolpert, weil ihre Nutzer den Sinn bezweifeln, wie will man dann erst digitale Veränderungen vom Kaliber einer vernetzten Fertigung, eines Internet der Dinge oder einer Blockchain-Technologie auf der menschlichen Ebene meistern? Diese Frage treibt mich als Manager in einem Technologieunternehmen intensiv um.

 

Ohne Unternehmensseele kein wirtschaftlicher Erfolg

Ein Faktor, den kaum einer auf dem Radar hat, wird dabei maßgeblich für den Erfolg oder Misserfolg der digitalen Transformation eine Rolle spielen: die Unternehmensseele. Was esoterisch anmutet und in keinem MBA-Lehrbuch steht, das ich kenne, hat tatsächlich große Relevanz für den wirtschaftlichen Erfolg. Nach mehr als 25 Jahren Erfahrung habe ich aber gelernt: Gesunde und erfolgreiche Unternehmen haben durchaus eine Seele. Dieses kollektive Gefühl, mit anderen gemeinsam Wert zu schaffen, auf den man stolz sein kann – und das in der digitalen Transformation den Unterschied zwischen sehr erfolgreichen Unternehmen und allen anderen machen wird. Um Innovationen voranzutreiben und damit einhergehende Risiken zu meistern, brauchen Unternehmen kompetente, selbstständig denkende Mitarbeiter mit hoher Identifikation. Die Seele eines Unternehmens ist dabei die Quelle für die nötig Kraft, um Veränderungen zu stemmen, und fürs Selbstbewusstsein.

 

Indizien fürs Seelenheil der Firma

Was in Zeiten starken Wandels Unternehmen robust macht? Das Engagement eigenverantwortlich handelnder, mitdenkender Experten, die in einer komplexen Arbeitswelt unverzichtbar sind. Der selbstheilende Regelkreise von Mitarbeitern, die Managementfehler kompensieren. Ein Führungsteam, das seine unterschiedlichen Stärken bewusst, ohne gegenseitigen Futterneid einsetzt und dabei mutig, lernwillig sowie entschieden voranschreitet. Das alles sind unverkennbare Indizien fürs unternehmerische Seelenheil.

 

Wenn Kontrollparanoia regiert, leidet die Unternehmensseele

Was aber sind klare Zeichen für den Geist von Unternehmen? Chefs, die an den Schnittstellen ihrer Organisation pragmatische, wertorientierte Lösungen in der Zusammenarbeit suchen, statt politisch korrekt auf ihre eigene Macht zu bestehen. Oder die vielleicht die eigenen Mitarbeiter Stellvertreter-Kriege ums Ego führen lassen, sind klare Zeichen dafür, welcher Geist im Unternehmen herrscht. Der Faktor Seele lässt sich zwar nicht in Kennzahlen messen, aber an verschiedenen Indikatoren ziemlich genau ablesen. Zum Beispiel: Wo die Seele darbt, herrschen Kontroll-Paranoia, Respektlosigkeit im Umgang und Regelhörigkeit.

 

Ein Drahtseilalkt: Digitalisierung

Es ist beeindruckend, welche Möglichkeiten moderne Rechnerleistung und weltweite Vernetzung schaffen. Alle Unternehmensbereiche verändern sich rasant ‒ von der Produktentwickelung, dem Einkauf oder der künftigen Beziehungspflege mit den Kunden. Einige Start-Ups werden milliardenschwere Unternehmen, scheinbar über Nacht.

Die Frage ist: Lassen sich die Erfolgsmodelle so einfach kopieren? Die Herausforderung für das Gros unserer Unternehmen besteht doch vielmehr darin, eine eigene Balance zu finden zwischen digitalen Chancen und Risiken. Die Falschlieferung eines Buchs bei einem Online-Händler birgt ein anderes Risiko als falsche Daten im System eines Industriebetriebs, der damit möglicherweise eine teure Anlage zum Erliegen bringt.

Die Herausforderung für Unternehmen besteht im ausgewogenen Verhältnis zwischen Chance und Risiko, zwischen heutigem Cash-Flow und angemessener Investition in zukünftige Technologien, zwischen Prozess-Optimierung zur Effizienzsteigerung und Freiraum für Kreativität und Lernen. Gerade hier kommt der Seele eine zentrale Rolle zu: wenn Mitarbeiter wie Führungskräfte sich mit dem Unternehmen, der Gruppe und dem, was sie für ihre Kunden tun, identifizieren, entsteht ganz automatisch Veränderungsbereitschaft. Sie werden Neues ausprobieren und den Mut haben, kalkulierbare Risiken einzugehen und Fehler zu machen.

Wo statt Freude am gemeinsamen Erfolg jedoch nur Kennzahlenparanoia, Gleichgültigkeit oder gar Angst herrschen, bleibt Potenzial auf der Strecke – und die Bereitschaft, die Digitalisierung mitzutragen.

 

Kunden zahlen für Problemlösungen – und die ändern sich laufend

Gründer treibt sie meist eine Idee: ein Problem um Lichtjahre besser zu lösen als bisher. Diese Vision treibt sie an. Auf dem Weg müssen sie immer wieder Geldgeber von ihrer Idee überzeugen, und sie regelmäßig ihre Idee, ihren Weg und ihren Fortschritt hinterfragen.

In gestandene Unternehmen fällt das oft schwerer: Man hat ja „das ja schon immer so gemacht“. Aber Achtung: Kunden bezahlen für Problemlösungen und gute Gefühle. Und das ist keine Konstante, sondern verändert sich ständig. Weil sich die Möglichkeiten, das Leben und auch Wettbewerber verändern. Warum schicken Sie nicht Ihre alten Hasen, die Produkte, Geschäft und Kunden kennen, zusammen mit den Digital Natives in Workshops mit der Fragestellung: Wer sind unsere Kunden morgen? Welches Problem und welches gute Gefühl adressieren wir morgen für sie? Wofür bezahlen sie uns morgen, und wofür nicht mehr? Warum sollen nicht die Erfahrenen und die jungen Wilden zusammen eine Delle ins Universum hauen und neue Wertangebote schaffen?

Diese Ideen gilt es zu testen, zu skalieren und ins ganze Unternehmens zu tragen. Lagerbildung in eine alte, wertlose analoge Welt und eine neue, sexy digitale Welt darf nicht sein. Stattdessen muss das Wissen der vermeintlich alten Welt mit den neuen Technologien zusammengebracht werden, um neues Wissen zu generieren.

 

Nutzen, Stolz, Wert – weiche Faktoren mit harter Wirkung

Im Alltagstrubel verliert man den Blick dafür, welchen Wert man für die Kunden schaffen. Wenn Mitarbeiter dagegen bei einer Messe die Maschinen sehen, auf denen ihre Komponenten verbaut wurden, oder an dem Haus vorbei fahren, das sie selbst mitgebaut haben, oder im Krankenhaus sehen, wie ihre scheinbar langweiligen Elektromotoren in Inkubatoren leise und schonend Frühchen mit Atemluft versorgen, dann macht das stolz.

 

Für den Kunden Werte schaffen – und darüber reden

Auch Ihr Unternehmen bietet seinen Kunden sicherlich tolle Produkte oder Dienstleistungen an. Mein Tipp: Sprechen Sie darüber! Lassen Sie in Meetings die eine Kennzahlen-Tabelle oder das andere Cockpit-Chart ungezeigt und nutzen Sie die Zeit, darüber zu sprechen, welchen Wert Sie für Ihre Kunden schaffen. Erzählen Sie konkrete Kunden-Geschichten. Lassen Sie Stolz entstehen. Und gehen Sie im Unternehmen – unabhängig von der Hierarchie – so miteinander um, dass Sie aufeinander als Kollegen und Menschen stolz sein können.

 

Entscheidend: Das Empfinden für den Wert, der für Kunden und Mitarbeiter geschaffen wird

Das Empfinden für den Wert, den man gemeinsam für die Kunden und die eigenen Mitarbeiter schafft, ist für das Seelenheil eines Unternehmens entscheidend. Dieses Empfinden gilt es, aufrechtzuerhalten und zu kultivieren – insbesondere in einer Zeit, in der schneller Wandel Verunsicherung mit sich bringt. Eine Herausforderung für Unternehmen, keine Frage. Aber eine der wichtigsten Führungsaufgaben während der digitalen Transformation: Kultivieren Sie Ihre Unternehmensseele.

“Drahtseilakt Unternehmenswandel-So wird Change Management im Unternehmen überflüssig”

 

Bruno Hartmann ist Autor des Buchs „Drahtseilakt Unternehmenswandel“, https://www.springer.com/de/book/9783658135812

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Danke für diesen tollen Beitrag!
    Es ist wirklich sehr wichtig, die Seele und die Werte seines Unternehmens genazu zu kennen – und diese dann auch an die Mitarbeiter zu vermitteln!