Wenn es sich rechnet, das Gesetz zu brechen statt zu achten, könnte für manche Unternehmen ein heilsamer Schock ganz gut sein. Ein Gastbeitrag.

 

Eine unberechtigte Kündigung eines Mitarbeiters kostet den US-Versicherer Allstate Millionen – zur Strafe. Ein Exempel. Gastbeitrag von Mike Weitzel, Versicherungsrechtler von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen. 

 

 

Mike Weitzel von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner (Foto: Presse)

 

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Manche Unternehmen haben ihre ganz eigene Strategie, wenn sie einen Manager, eine Führungskraft oder einen anderen Mitarbeiter loswerden wollen: vor allem, wenn sie wissen, dass es eigentlich keine rechtliche Handhabe gegen den Betreffenden gibt und sie gar keinen Kündigungsgrund haben. Dann setzen sie sich über das Recht kurzerhand hinweg und kündigen denjenigen fristlos. Dann verlangen – oft zur Überraschung des Betroffenen – auf der Stelle Handy, Laptop und Hausausweis heraus und lassen ihn zum Hoftor heraus begleiten.

Ist das in Ordnung? Nein. Denn damit würden sie – sogar ganz bewusst – Gesetzesverstöße begehen. Weil es wirtschaftlich für sie immer noch eine gute Alternative sein kann am Ende des Tages: Es wird eine Abfindung gezahlt und das Thema ist erledigt. Zumal der Betroffene ganz schnell verhandlungsbereit wird, wenn er von jetzt auf gleich kein Gehalt mehr aufs Konto kommt, es einsam wird ohne die Bürokollegen und die Betroffenen sich gedanklich vom Unternehmen zu lösen beginnen.

 

Ein solche Vorgehen ist nicht in Ordnung, hier kommt das deutsche zivile Rechtssystem erkennbar an seine Grenzen. Ein Lösungsansatz könnten sehr hohe Strafen sein, Millionenstrafen wie sie etwa im amerikanischen Rechtssystem als Punitive Damages üblich sind. Damit es sich nicht rechnet, das Gesetz zu brechen, statt es zu beachten.

 

So wie im Fall Allstate: Die unberechtige Kündigung, für die der US-Versicherer zur Strafe mit 18 Millionen Euro zur Kasse gebeten wurde – und was für deutsche Unternehmen vielleicht auch mal ein heilsamer Schock wäre

Eine Jury vom San Diego Superior Court bescherte einem Angestellten des US Versicherers Allstate kürzlich mehr als 18 Millionen US-Dollar Schadensersatz. Weil ihm sein Arbeitgeber zu Unrecht gekündigt hatte. Die Jury hatte entschieden, dass der Versicherer wegen einer – letztlich zu Unrecht ausgesprochenen – Kündigung dem Mitarbeiter Schadenersatz zahlen musste. Neben dem tatsächlichen Schaden von 2,6 Millionen US-Dollar musste Allstate sagenhafte weitere 16 Millionen US-Dollar als sogenannten Strafschadensersatz, sogenannte Punitive Damages, zahlen. Das bedeutet: Die Summe ist absichtlich so hoch angesetzt, damit sie dem Unternehmen auch richtig weh tut – und andere Unternehmen gleichzeitig warnt, sie abschrecken soll, nicht dasselbe zu tun. Kurz: Die Summe hat einen Strafcharakter und soll nicht nur Ersatz für den tatsächlichen Schaden sein.

 

Millionenstrafe: Außer Verhältnis – oder angemessen

Aus deutschem Blickwinkel scheint diese riesige Summe von über 18 Millionen US-Dollar völlig außer Verhältnis zu stehen. In den USA dagegen gilt sie noch als angemessen.

Was war geschehen? Allstate hat seinen Angestellten entlassen, rund neun Monate nach seiner Verhaftung nach einem handgreiflichen Streit mit seiner Ex-Freundin. Die Frau hatte die Polizei gerufen, nachdem sie ihn aus ihrem Haus ausgesperrt hatte und er deshalb heftig gegen die Tür schlug. Die Polizei kam und verhaftete den Mann – wegen häuslicher Gewalt und wegen Besitzes von Marihuana-Utensilien.

Die ersten Anklagen gegen ihn wurden noch im Januar 2015 abgewiesen. Eine weitere Anklage, die sich auf häusliche Gewalt bezog, wurde sechs Monate später abgewiesen, nachdem der Mann zwischenzeitlich einen Anti-Aggressions-Kurs besucht hatte.
Sein Arbeitgeber Allstate erfuhr von den Vorgängen, weil die Ex-Freundin des Angestellten ihm eine E-Mail an seine Firmenadresse geschickt hatte, in der sie über den Strafprozess ansprach. Allstate leitete daraufhin eine firmeninterne Untersuchung ein mit dem Ergebnis, dass wegen der Verhaftung und dem Besuch des Anti-Aggressionskurses kein Handlungsbedarf für ihn als Arbeitgeber bestehe.

Dies änderte sich, als sich die Ex-Freundin an die Allstate-Chefs wandte und ihren Ex-Freund beschuldigte, sie während des Arizona-Vorfalls auch bedroht zu haben. Daraufhin entließ den Mitarbeiter mit der Begründung, er habe gegen Unternehmensrichtlinien verstoßen, indem er ein „bedrohliches Verhalten“ an den Tag gelegt hätte. Nach diesen Richtlinien, sei die sofortige Entlassung von Mitarbeitern erlaubt, wenn sie in unerlaubte Handlungen wie Nötigungen oder Körperverletzungen verwickelt seien, hieß es.

 

Ohne Verurteilung darf nicht gekündigt werden

Doch die Jury des San Diego Superior Court sah die Sache anders: Nachdem sämtliche strafrechtlichen Anklagen gegen den Angestellten rechtskräftig abgewiesen waren, gebe es auch keinen Grund mehr, den Mitarbeiter zu entlassen. Die Kündigung verstoße, so die Jury, gegen das staatliche Arbeitsrecht von Kalifornien. Danach dürfen Arbeitgeber niemand kündigen wegen Straftaten beziehungsweise möglichen Straftaten, wenn der betreffende nicht genau deshalb auch verurteilt wurde.

 

Kein neuer Job wegen der unberechtigten Kündigung

Die Sichtweise der Jury ist nachvollziehbar. Denkwürdig sind aber wieder einmal die zugesprochenen Schadensersatzsummen. Was strafschärfend wirkte: Dass sämtliche Bemühungen des Klägers, einen neuen Job zu finden, scheiterten – weil die potenziellen neuen Arbeitgeber von den unberechtigten Kündigungsgründen erfahren hatten.

 

Entschädigungen mit Strafcharakter – und zur Abschreckung

Entscheidungen aus den USA auf hiesige Verhältnisse sind nicht ohne weiteres übertragbar. Das gilt insbesondere für das Phänomen des sogenannten Strafschadenersatzes, den Punitive Damages oder Exemplary Damages.
Denn in den USA gibt nicht wie hierzulande die strikte Trennung zwischen Straf- und Zivilprozess. Unter Punitive Damages versteht man Entschädigungen mit Strafcharakter, weit höher als der tatsächliche Schaden.

Der Sinn besteht darin,
– den Schädiger für sein Verhalten zu bestrafen,
– ihn davon abzuhalten, so ein Verhalten nochmal an den Tag zu legen und
– andere vor derartigen Handlungen abzuhalten.

 

Bloße Fahrlässigkeit führt sowieso nicht zu Strafschadenersatz

Punitive Damages sollen aber nur für grob schuldhaftes Verhalten verhängt werden. Voraussetzung dafür ist stets die besondere Verwerflichkeit des schädigenden Verhaltens. Bei bloßer Fahrlässigkeit beispielsweise gibt es keinen Strafschadensersatz.

Das US-Recht bestimmt: Der Strafschadenersatz soll in angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Schaden stehen. So hat der US-Supreme Court entschieden, dass ein Verhältnis von 500:1 nicht mehr angemessen sei, während ein Verhältnis von 9:1 in der Regel durchaus noch in Ordnung ist (BMW of North America ./. Gore, 517 U.S. 559 (1996)).

 

Das Allstate-Urteil war durchaus im Rahmen 

Daran gemessen ist das Urteil des San Diego Supreme Court mit über 18 Millionen US-Dollar durchaus im Rahmen. Denn das von der Jury zugrunde gelegte Verhältnis betrug lediglich 6:1.

So ganz ausgestanden ist die Sache aber noch nicht: Die Anwälte von Allstate haben angekündigt, gegen die Entscheidung des San Diego Superior Court anzugehen.

 

 

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