Unternehmen führen ihre Mitarbeiterjahresgespräche ad absurdum – Gastbeitrag

Der Irrwitz mit den gefürchteten Mitarbeiterjahresgesprächen

Gastbeitrag: Michael Hartmann, Wissenschaftler von der GGS German Graduate School of Management and Law in Heilbronn entlarvt die kontraproduktiven Mitarbeiterjahresgespräche

 

Michael Hartmann (Foto: GGS)

Eigentlich hat so ein Mitarbeiterjahresgespräch ja diesen Zweck: Es soll gemeinsame Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Eigentlich. Doch de facto geht es nur um den Erhalt des Status quo. Die Folge, die nie eintreten sollte, ist aber: Viele Menschen zittern vor dem Jahresgespräch. Die Mitarbeiter sind angespannt, was sie zu hören bekommen, die Führungskräfte sind unsicher, was sie sagen sollen.

Deshalb: Statt auf Kritikrituale nach Schema F zu setzen, plädiere ich für eine permanente und offene Kommunikation.

 

Bloß keinen Anspruch auf Gehaltserhöhung schaffen

In standardisierten Gesprächen, die sich oft entlang hangeln an einem Fragebogen, den die Personalabteilung vorgegeben hat, können die Beteiligten gar nicht ehrlich miteinander umgehen: Würde ein Chef den Mitarbeiter nur loben, liefe er Gefahr, Ansprüche auf eine Gehaltserhöhung oder Beförderung entstehen zu lassen.

Außerdem wird ja erwartet, dass sich der Mitarbeiter zukünftig noch weiter steigern kann und soll. Neulich sagte mir ein Bekannter, dass er laut seinem Chef im Bewertungsbogen zwar überall ein Sternchen verdient hätte, man ihn aber angehalten hat, auf die Kosten zu schauen. Es sei also leider keine ehrliche Bewertung möglich, weil diese an die Gehaltsstruktur gekoppelt ist.

Fazit: Der Vorgesetzte muss also kritisieren, wenn er nicht das Gefüge seiner Abteilung unterlaufen will und gleichzeitig seine Führungskompetenz demonstrieren möchte.

 

Abbügeln als Programm

Mit einem ähnlichen Problem sind auch die Mitarbeiter konfrontiert. Soll man zugeben, dass man über- oder unterfordert ist? Wohl keine gute Idee. Ein Mitarbeiter muss stattdessen Ansprüche stellen und diese müssen wiederum von der Führungskraft abgebügelt werden, damit alles beim Alten bleibt.

Der Markt ist voll von Seminarangeboten, die Führungskräften beibringen, wie Gespräche zu führen sind, damit ihnen nicht der Schneid abgekauft wird und wie sie dort eigene Interessen durchsetzen können. Nur: Wie man den Gedankenaustausch auf Augenhöhe kultiviert, interessiert kaum einen. Stattdessen suchen Führungskräfte meistens ihr Heil in diesen vorgefertigten Bewertungsbögen oder bekommen sie sogar aufgezwungen von ihrer Personalabteilung. Sie versuchen dann das Gespräch nach altbekanntem Muster abzuarbeiten.

 

Der Gau: Wenn der Chef vom Chef dabei sitzt

Noch schlimmer wird es, wenn das Gespräch in Anwesenheit mit dem Vorgesetzten des Chefs geführt wird. Dann ist es kaum noch möglich zu unterscheiden, wer wem was mit seiner Kommunikation mitteilen will. Dann wird zwar über den Mitarbeiter gesprochen, aber nicht mit ihm. Offen und direkt ist nichts mehr, sondern es gerät eher zum Scheingefecht.

Solche Gespräche haben einen bitteren Beigeschmack: Denn die Rückmeldung ist mit dem sonstigen Verhalten und den Signalen der Führungskraft nicht konform. Oft muss der Vorgesetzte nach einem solch gekünsteltem Austausch Reparaturarbeiten durchführen. Die Bewertung wird dann später relativiert und der Mitarbeiter um Verständnis für die Restriktionen gebeten, denen er in so einem Gespräch unterliegt.

 

Weg mit der Arena – lieber öfter und als Lob zwischendurch 

Mein Fazit: Der Austausch mit den Mitarbeitern ist wichtig. Aber bedarf es dafür einer eigenen Arena? Es ist löblich, dass sich Führungskräfte Zeit nehmen und sich mit ihren Mitarbeitern in Ruhe unterhalten. Beide Seiten sollten dann Gelegenheit haben, ihre Erwartungshaltung zum Ausdruck zu bringen. Ist das Gespräch aber von strategischem Handeln geprägt, weil es halt stattfinden muss, bringt es keinem etwas, sondern erzeugt nur Frustration. Wie wär’s stattdessen mal mit einer ehrlichen Rückmeldung zwischendurch? Gern auch als Lob, wenn es mal wieder gut gelaufen ist.

 

 

Wie wär’s mal mit Entmystifizierung der Digitalisierung?

 

 

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