Auskunftsanspruch: Und dann kennt man irgendeinen Mittelwert und ist keinen Meter weiter. Die Klippen des Entgelttransparenzgesetzes. Gastbeitrag von Vangard-Arbeitsrechtler Maiß

Sebastian Maiß, Arbeitsrechtspartner bei der Kanzlei Vangard, spielt für den Management-Blog mal die Chronologie durch, wenn ein Angestellter jetzt – nach dem Inkrafttreten den Entgelttransparenzgesetzes – den Anspruch auf Auskunft gegen sein Unternehmen stellt. Ein Spießrutenlauf – mit ungewissem Ausgang.

 

Sebastian Maiß von Vangard

Was verdient eigentlich Herr Beyer? Oder: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit?

Irene Müller und Gerhard Beyer sind beide Abteilungsleiter in der – nicht tarifgebundenen – Firma Equalpay  mit 250 Mitarbeitern; er in München, sie in Berlin. Während Herr Beyer nach dem Gefühl von Frau Müller die Gehaltsleiter Etage für Etage bis auf das Sonnendeck klettert, bleibt sie im Maschinenraum stecken. Was tun?

Ein Gesetz soll Abhilfe schaffen

Am 6. Juli 2017 ist das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen (Entgelttransparenzgesetz – EntgTranspG) in Kraft getreten. Damit können Arbeitnehmer – Männer wie Frauen – ab dem 6. Januar 2018 die Offenlegung von betrieblichen Entgeltregelungen verlangen. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierungen bei der Vergütung wegen des Geschlechts zu beseitigen. Ob ein Arbeitnehmer diskriminiert wird, kann er – naturgemäß – erst dann beurteilen, wenn er die Vergütung (und deren Zusammensetzung) seiner vergleichbaren Kollegen kennt.

Woher  soll Frau Müller aber wissen, was Herr Beyer verdient und ob er möglicherweise nur deswegen mehr verdient, weil er ein Mann ist? Hier will das neue Gesetz durch diese Maßnahmen Transparenz in die Entgelt-Strukturen der Betriebe bringen:

  • Einführung eines individuellen Auskunftsanspruchs für Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten,
  • Stärkung der Rolle des Betriebsrats,
  • Einführung eines freiwilligen betrieblichen Verfahrens zur Überprüfung und Herstellung von Lohngerechtigkeit in Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern,
  • Einführung einer Berichtspflicht zur Gleichstellung und Lohngerechtigkeit von Frauen und Männern für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, wenn diese einen Lagebericht erstellen müssen.

Wie macht der Arbeitnehmer den Auskunftsanspruch geltend?

Herzstück des neuen Gesetzes ist ein individueller Auskunftsanspruch. Mit diesem können Arbeitnehmer alle zwei Jahre Auskunft verlangen über

  • die Kriterien und das Verfahren zur Lohnermittlung,
  • das Vergleichslohn des anderen Geschlechts und bis zu zwei weiteren Entgeltbestandteilen.

Benennen Sie erst mal die Vegleichsgruppe

Um herauszufinden, ob sie beim Lohn – als Frau – diskriminiert wird, müsste Frau Müller bei der Personalabteilung ihrer Firma Auskunft verlangen. Eine E-Mail genügt. Sie kann aber nicht fragen: „Was verdient eigentlich Herr Beyer?“. Stattdessen müsste sie eine Vergleichsgruppe von Arbeitnehmern mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit benennen.

Nur: wer ist gleich?

Der Gesetzgeber stellt sich das so vor: „Gleich“ sollen Arbeitnehmer sein, wenn sie sich bei Bedarf gegenseitig vertreten können. Hier fangen die Probleme schon an. Gleich ist nicht gleich und manche sind gleicher als andere. Deswegen soll auch eine „gleichwertige Arbeit“ ausreichen.

Diese soll dann vorliegen, wenn die zu vergleichenden Arbeitnehmer als in einer vergleichbaren Situation angesehen werden können. Zu berücksichtigen sind etwa die Art der Tätigkeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen sowie weiche Faktoren wie Qualifikation und Fertigkeiten und Führungs-Verantwortlichkeiten.

Ist das Unternehmen anderer Ansicht, muss es selbst die Vergleichsgruppe benennnen

Das klingt ziemlich kompliziert – und ist es auch. Doch es reicht aus, wenn das Unternehmen aus den Angaben des Arbeitnehmers erkennen und beurteilen kann, welche Tätigkeiten anderer Arbeitnehmer er als vergleichbar einstuft. Meint das Unternehmen, er habe die Vergleichsgruppe nicht richtig ermittelt, darf es deshalb aber nicht die Auskunft verweigern. Es muss vielmehr die Auskunft dann zu einer – nach seiner Sicht zutreffenden – Vergleichsgruppe erteilen. Als Vergleichsgruppe könnte Frau Müller hier die Abteilungsleiter benennen.

An wen Arbeitnehmer ihr Auskunftsverlangen richten müssen

Gibt es in der Firma keinen Betriebsrat, muss Frau Müller ihr Auskunftsverlangen an den Arbeitgeber, also die Personalabteilung, mailen. Hätte das Unternehmen einen Betriebsrat, könnte es darüber entscheiden, ob er generell selbst oder in bestimmten Fällen (zum Beispiel bei bei außertariflich bezahlten Mitarbeitern oder Führungskräften) diese Auskünfte erteilen will oder der Betriebsrat. Dafür darf der Betriebsrat Listen über die Bruttolöhne und -gehälter einsehen und auswerten.

Worüber der Arbeitgeber Auskunft geben muss

Kann Frau Müller eine Vergleichsgruppe benennen, die mit gleichwertiger Tätigkeit beschäftigt ist wie Abteilungsleiter, muss die Firma binnen drei Monaten antworten – und zwar schriftlich.

Konkrete einzelne Gehälter werden nicht offen gelegt

Doch was das Unternehmen Frau Müller gar nicht preisgeben muss: Wie viel Herr Beyer konkret verdient. Nicht einmal die durchschnittliche Lohnhöhe der Abteilungsleiter braucht die Firma verraten. Und auch keine Spanne mit dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt in der Gruppe.

Verraten muss das Unternehmen nämlich nur den Durchschnitts-Bruttolohn der ganzen Vergleichsgruppe, also einen statistischen Median.

Nicht mal eine Spanne, nur ein Mittelwert

Was das genau ist? Dies ist der Wert, der an der mittleren Stelle steht, wenn man die Werte der Größe nach ordnet. Ein Beispiel: Beträgt das durchschnittliche Bruttoentgelt in einer Vergleichsgruppe von sieben Arbeitnehmern bei Arbeitnehmer A 2.600,- Euro, bei Arbeitnehmer B 2.700,- Euro, bei C 2.800,- Euro, bei D 2.900,- Euro, bei E 3.200,- Euro, bei F 3.400,- Euro und bei G 3.500,- Euro, liegt der Median in dieser Vergleichsgruppe (als der Wert an der mittleren Stelle) bei 2.900,- Euro.

Besteht eine Vergleichsgruppe aus einer geraden Anzahl von Arbeitnehmern, errechnet sich der Median aus der Hälfte der Summen der beiden in der Mitte liegenden Entgelte: Besteht die obige Vergleichsgruppe also nur aus den sechs Arbeitnehmern A (2.600,- Euro) bis F (3.400,- Euro), beträgt der Median 1.850,- Euro (Summe aus 1.800,- Euro + 1.900,- Euro geteilt durch zwei).

Betriebliche Mindestgröße

Die Hürde: Auskunft kann überhaupt nur verlangen, wer in einer Firma mit über 200 Arbeitnehmern arbeitet. Für viele kleinen Firmen wie Handwerksbetriebe gilt das daher Gesetz nicht.

Die nächste Hürde: Frau Müller kann keine Auskunft verlangen, wenn in ihrem Betrieb in Berlin nur 50, in München hingegen 200 Arbeitnehmer beschäftigt wären. Dann könnte nur Herr Beyer Auskunft fordern.

Keine Berücksichtigung regionaler Entgeltstrukturen

Der Auskunftsanspruch bezieht sich nur auf die Entgeltregelungen desselben Betriebs. Wie viel in welcher Region gezahlt wird, muss der Arbeitgeber trotz gleicher / gleichwertiger Arbeit nicht verraten. Konkret: Frau Müller kann nur  Auskunft über die Abteilungsleiter in Berlin verlangen.

Mindestens sechs vergleichbare Arbeitnehmer – des anderen Geschlechts

Und schließlich die nächste Hürde: Aus Datenschutzgründen muss der Arbeitgeber den  Vergleichslohn nicht preisgeben, wenn weniger als sechs Personen des anderen Geschlechts die Vergleichstätigkeit ausüben. Der Auskunftsanspruch setzt daher voraus, dass überhaupt eine ausreichend hohe Anzahl vergleichbarer Arbeitnehmer des jeweils anderen Geschlechts beschäftigt wird.

Und was ist, wenn man die Zahl erfährt – und benachteiligt wird?

Das EntgTranspG ist kein Entgeltanpassungsgesetz. Ihm fehlt ein automatischer Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Lohnerhöhung. Belässt es der Arbeitgeber bei einer – aus Sicht des Arbeitnehmers wegen der Geschlechtsdiskriminierung – entstandenen Lohnlücke, muss er seine Lohnerhöhung erst noch vor Gericht einklagen. Übrigens: Zusätzlich hat er womöglich Schadensersatzansprüche wegen einer Geschlechtsdiskriminierung, die gab es bisher auch schon.

Und wenn die Firma mauert? Und schweigt? 

Reagiert der Arbeitgeber auf das Auskunftsverlangen überhaupt nicht, fehlerhaft oder unvollständig, verschlechtert das die Position des Unternehmens: Dann trifft ihn ab sofort die sogenannte Beweislast. Der Arbeitgeber muss im Streitfall beweisen, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot existiert. Kann der Arbeitgeber diesen Beweis nicht liefern, liegt eine unmittelbare beziehungsweise mittelbare Lohnbenachteiligung vor.

Gibt der Arbeitgeber die Auskunft und ist das tatsächlich gezahlte Gehalt niedriger als das Mittellohn der vergleichbaren Arbeitnehmer des anderen Geschlechts bleibt immer noch die Frage: Ist die Differenz zum Mittellohn schon ein Indiz für eine Diskriminierung?

Benachteiligungen können ja gerechtfertigt sein, wenn die Lohnfindung geschlechtsneutral erfolgt. Insofern bleiben dem Arbeitgeber Freiräume.

Mal sehen, ob und wann Arbeitsrichter diese Probleme lösen.

Welche weiteren Pflichten ergeben sich für den Arbeitgeber?

In Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern muss der Arbeitgeber darüber hinaus regelmäßig die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots prüfen, indem er Prüfverfahren zu Lohnregelungen und -praxis erfasst und analysiert. Arbeitgeber ohne Tarifvertrag müssen dies alle drei Jahre machen. Zudem ist dort ein Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit zu erstellen, der Maßnahmen zur Entgeltgleichstellung sowie Regelungen zur Herstellung von diskriminierungsfreier Entgeltgleichheit aufzeigt.

Fazit: Viel Verwaltungsaufwand, ansonsten vielleicht nur eine Zahl – und dann geht’s erst los

In erster Linie beschert das neue Gesetz viel Verwaltungsarbeit. Ob das Gesetz tatsächlich mehr Lohngerechtigkeit bringt, wird insbesondere davon abhängen, wie oft Arbeitnehmer Auskunft verlangen und dadurch Druck auf die Arbeitgeber zu Lohngerechtigkeit ausüben. Frau Müller bringt der Anspruch auf Auskunft jedenfalls nichts.

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