Haben Sie schon ihre Firma gefragt, wie viel Ihre Kollegen verdienen? Womit Unternehmen jetzt beim Entgelttransparenzgesetz rechnen müssen

 

„Das Entgelttransparenzgesetz ist ein Fehlschuss, es ist extrem kompliziert“, so lautet das Fazit von Sebastian Maiß, Arbeitsrechtsanwalt bei Kanzlei Vangard. „Es ist ein Bürokratiemonster, das besonders mittelgroße Betriebe überfordert“, findet auch Arbeitsrechtler Thomas Ubber von Allen & Overy.

 

Der Sprengstoff im Gesetz endet bei Kununu 

Und am Ende birgt es einen Sprengstoff in sich, der weit außerhalb des Gesetzes liegt und auf lange Sicht extrem heikel ist – Stichwort: Recruiting: Nämlich wenn gekränkte Mitarbeiter ihrer Wut auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen wie Kununu Luft machen. Denn das wird händeringend gesuchten Nachwuchs oder Fachkräfte abschrecken, die dann lieber bei der Konkurrenz anheuern.

 

Ahnungslose Unternehmen im Abwarten-Modus

Dabei haben viele Unternehmen auch jetzt noch gar nicht erkannt, dass nun viel Arbeit auf sie zukommt – und wie viel im Detail. Imerhin gilt das neue Entgelttransparenzgesetz schon seit dem 6. Januar 2018.

Ubbers Beobachtung: Die meisten Firmen warten ab nach dem Motto, „erst mal sehen, wie die anderen reagieren“. Zumal: Den meisten Unternehmen ist gar nicht klar, wo ihre Ungleichbehandlungen liegen, denn diese sind ja meist über Jahrzehnte entstanden. Oft aus einer bestimmten Marktsituation heraus. Zum Beispiel: Ein Kandidat hat viel besser verhandelt beim Einstellungsgespräch, oder er hatte bessere Karten, weil seine Fachgruppe gerade besonders gesucht war oder er hatte eben schlechtere Karten, weil er zuvor schon im selben Unternehmen angestellt war und nicht erst teuer abgeworben werden musste bei der Konkurrenz. Und das büßen die Kandidaten oft über Jahrzehnte.

 

Was man alles nicht erfahren und wer gleich im Dunklen bleiben soll

Das Gesetz strotzt vor Detailregelungen, die es gleichzeitig von vornherein so einschränken, dass in vielen Konstellationen nullkommanix an Transparenz zu haben ist für den einzelnen: Weder in kleineren Betrieben wird es Auskunftsansprüche für Mitarbeiter geben noch Informationen über Kollegen mit demselben Geschlecht.

Thomas Ubber, Partner bei Allen & Overy

Der einzelne Mitarbeiter hat von seinem Auskunftsanspruch gar nicht so viel, wie man von solch einem Gesetz erwartet. Denn weder erfährt man, wie viel bestimmte Kollegen verdienen, noch wie viel  Kollegen desselben Geschlechts bekommen.

Und damit nicht genug: Nur Angestellte aus Betrieben mit mindestens 200 Mitarbeitern dürfen von ihrer Company Auskunft einfordern. Dann aber auch nur über Löhne des jeweils anderen Geschlechts und das auch nur wenn mindestens sechs Kandidaten für eine Vergleichsgruppe mit der gleichen oder vergleichbarer Tätigkeit da sind.

Daran wird´s dann auch schon oft scheitern in der Praxis.

Dann kommen Fragen wie diese: wer macht gleiche oder gleichwertige Arbeit? Eine Richtschnur ist: Die Betreffenden für die Vergleichsgruppe müssen sich gegenseitig vollwertig vertreten können, definiert Maiß. Und schon hier wird´s schon ganz schwierig.

Sebastian Maiß, Partner und Arbeitsrechtler bei Vangard

Interessant wäre die Spanne – nicht der Median

Sind all die Einschränkungen des Gesetzes überwunden, bekommt der Betroffene aber auch nur einen Durchschnittszahl der Vergleichsgruppe geliefert, den Median. Viel aufschlussreicher wäre doch zumindest eine Spanne, wenn weder die einzelnen Summen noch Summen samt Person herauskommen.

Ein schlagkräftiges Schwert für den Betriebsrat

Schlagkräftiger ist da schon ein neuer, recht detaillierter Auskunftsanspruch für die Betriebsräte in dem neuen Gesetz: Die Arbeitnehmervertreter können jetzt verlangen, dass das Unternehmen ihnen die einzelnen Löhne samt aller Lohnbestandteile und individuell vereinbarter Boni, getrennt nach Geschlecht für jeden einzelnen Arbeitnehmer – auflistet, wenn auch anonym, aber immerhin.

Engagierte Betriebsräte fordern jetzt sofort Gehaltslisten ein

„Dieser Punkt ist eine Bombe, clevere Betriebsräte werden diese Listen jetzt sofort einfordern, die Erkenntnisse daraus den Benachteiligten vermitteln – soweit möglich, da ja auch sie Datenschutzregeln und Schweigepflichten einhalten müssen – und mit seinem Überwachungsrecht Gerechtigkeit einfordern“, so Maiß.

Personalabteilungen müssen jetzt alles dokumentieren

Unternehmen, die an Tarifverträge gebunden sind oder anwenden, sind im Vorteil: Sie haben weniger Bürokratieaufwand durch das neue Gesetz. Alle anderen müssen sich jetzt wappnen und alles dokumentieren: Stellenbeschreibungen, Einstellungen, Versetzungen, Beförderungen und Gehaltserhöhungen.

Die Prognose: Viele Menschen werden Auskunft einfordern

Viel Zusatzarbeit kommt somit auf die Personalabteilungen und auch die Betriebsräte zu. Arbeitsrechtler Ubber erwartet – ebenso wie seine Mandanten, die Personalchefs großer Unternehmen – dass viele Angestellte diesen Auskunftsanspruch stellen werden.

Drei-Monats-Frist zum Antworten

Und dann muss das Unternehmen binnen drei Monaten Auskunft geben – tut es das nicht, kann der Mitarbeiter klagen und die Gerichte werten das Schweigen als Indiz für Benachteiligungen. Die Personaler kommen also unter Zeitdruck.

Vier Streitpunkte sind schon jetzt klar

Anwälten ist schon heute klar: Das Gesetz wird in den nächsten Jahren die Arbeitsgerichte mit mindestens diesen vier Streitpunkten beschäftigen: Welche Arbeit ist vergleichbar? Was ist gleichwertig? Hier beginnen schon die Ermessensfragen, wo Unternehmen versuchen werden. Schlupflöcher zu finden.

Oder: Kann ein Arbeitgeber die Vergleichsgruppen so bilden, dass Münchner Löhne mit denen in NRW oder Berlin gar nicht erst verglichen werden? Weil in München eben viel höhere Löhne gezahlt werden müssen?

Unternehmensberater, Vergütungsexperten und Anwälte schulen schon Personaler

Dann: Was gehört eigentlich alles zum Lohn? Da wären die Altersversorgung oder Langfrist- und Kurzfrist-Boni beispielsweise. Oder werden Firmen Strategien entwickeln wie diese: Dass Aktienpakete der US-Muttergesellschaft an den Betroffenen fließen – die ja dann – formal – nicht vom eigenen Arbeitgeber kommen? Solche Streitigkeiten erwarten Juristen bald zuhauf.
Schon jetzt halten Anwälte und Unternehmensberater Schulungen in den Betrieben ab oder analysieren die bestehenden Gehaltsstrukturen. Auch die Vergütungsberater als Spezialisten können sich hier neue Pfründe erschließen und arbeiten schon jetzt mit einschlägigen Top-Kanzleien Hand in Hand.

Ob das Gesetz allerdings überhaupt sein Ziel erreichen kann? Juristen sehen da schwarz.

Nur kleine Gucklöcher statt Transparenz

Ubbers Fazit: „Bei einem gläsernen Unternehmen würde Missbrauch offenkundig und öffentliches Gerede darüber dazu führen, dass es sich bessert. „Aber dieser Zweck der Transparenz wird nicht erfüllt, wenn einzelne Beschäftigte nur kleine Gucklöcher in ein sonst noch undurchsichtiges Haus bohren können“, so der Anwalt.

Wenn die Auskunftsverlangen nur so hageln

Auf jeden Fall hängt der Erfolg des Gesetzes davon ab, wie viele Angestellte jetzt diese Auskunftsverlangen stellen, also ob sie maschinengewehrartig über die Personalabteilungen hereinbrechen.

Das Ärgerlichste aber ist, dass der Gesetzgeber derzeit eher Steine als Brot gibt. Nicht nur  dass er selbst erst für neue Unklarheiten sorgt, die dann Richter und Anwälte beschäftigen, die viel Geld und Mühe kosten und für Verdruss sorgen. Sondern auch, dass im Gesetz nicht einmal Folgen für festgestellte Ungleichbehandlungen stehen. Genaugenommen ist es eine halbe Sache.

Das es auch anders geht, zeigt das Vorbild Island: Da schreibt der Gesetzgeber den Unternehmen per Gesetz direkt vor, dass sie gleiche Löhne zahlen müssen.

Deutschen Arbeitnehmern wird das Leben schwerer gemacht als denen in Island

Und was ist hierzulande, wenn einer feststellt, er wird benachteiligt?, orakelt Maiß. Der hat nach dem neuen Gesetz keinen Anspruch auf automatische Lohnerhöhung, sondern muss dann erst mal gegen seinen Arbeitgeber vor Gericht klagen – und wer tut das schon, solange er noch dort arbeitet? Ganz angesehen, dass es Zeit und Geld kosten würde.

Wenn gekränkte Menschen der Firma den Rücken drehen

Nicht zu unterschätzen ist am Ende der Faktor Kränkung und Enttäuschung: Wer Jahre oder Jahrzehnte seinem Unternehmen vertraut, blind vertrauen musste, dass er seinen gerechten Lohn bekommt, ist erschüttert, wenn er von seiner Benachteiligung erfährt. Manchmal so erschüttert, dass er kurzerhand die Firma wechselt und auch gar nicht mehr mit sich reden lässt. Zu groß ist die Enttäuschung und der Vertrauensverlust.

Trifft das auf einen Facharbeitermangel in seiner Branche oder ähnliche Personalknappheit, riskieren Unternehmen, dass ihnen Aufträge durch die Lappe gehen. Oder dass sie sogar Vertragsstrafen zahlen müssen für nicht eingehaltene Fristen, für Projekte, die zu spät fertig werden. Und die könnten teurer sein als die ersparte Lohndifferenz.

Lesehinweis WiWo Heft 12.Januar 2018 Titel-Story: Warum faire Löhne eine Utopie sind

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