Schneller, riskanter und im Fokus der Medien. Wie sich Aufsichtsräte in ihrer Haut fühlen? Anonyme Antworten für eine Studie von Hengeler/Thorborg

Die neuen Personalien: Aufsichtsräte-Wechsel

Pressemitteilungen für die Inthronisierung von Aufsichtsräten kamen früher praktisch kaum vor. Nur Vorstände waren Unternehmen eine Mitteilung an die Medien wert – bisher. Denn plötzlich kommen lauter  Personalien-Meldungen wie diese: Wechsel im Lufthansa-Aufsichtsrat: Carsten Knobel als Nachfolger für Werner Brandt vorgeschlagen. Daimler-Chef Dieter Zetsche wird TUI-Aufsichtsratschef. Multi-Aufsichtsrat Werner Brandt soll bald Siemens kontrollieren und die SPD-Politikerin Hannelore Kraft wird RAG-Aufsichtsrat.

 

Einst nur Abnicker, jetzt Player?

Zumal: Immer öfter wird laut nach deren Verantwortung gefragt, wenn´s schief gegangen ist. So wie bei Air Berlin oder VW. Die Managerhaftung hierzulande hat dafür gesorgt, dass aus den Strippenziehern im Hintergrund Wirtschaftsprominenz wird, die auch durchaus mit ihrem Kontrolleurs-Nebenjob in der Presse landet und kritisch beäugt wird. Im Ernstfall kann’s schnell heißen: Wo war denn der Aufsichtsrat?

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Schneller, riskanter und im Rampenlicht

Die neue, heikle und visible Rolle der Aufsichtsräte – und wie sie sich dabei fühlen, zeigt eine anonyme Umfrage unter den DAX-Kontrolleuren von Kanzlei Hengeler und Headhunter Heiner Thorborg  https://www.hengeler.com/fileadmin/medien/broschueren/Studie_Aufsichtsraete_2017_L.PDF

 

Alain Caparros war offenbar bedient. Seine Karriere als Vorstandschef wollte der Ex-Rewe-Chef nun beenden, sagte er im Frühjahr. „Ich will nicht mehr operativ arbeiten und mich mit Aufsichtsräten herumschlagen müssen“, grantelte der erfolgreiche Manager in der „Rheinischen Post“. Offenbar wollte er das Kapitel unbedingt beenden, ging eineinhalb Jahre früher als geplant und über sein Verhältnis zu Aufsichtsräten reden will er auch nicht mehr. Man kann nur mutmaßen, dass die Rewe-Kontrolleure für Caparros Geschmack zu eifrig waren, viele – vielleicht lästige – Fragen gestellt haben und nicht nur abnickten. Darüber reden darf der Ex-CEO sicher nicht und auch Aufsichtsräte unterliegen strengsten Verschwiegenheitspflichten.

 

Aufsichtsräte: Einst graue Eminenz, heute im Fokus der Medien

Jahrzehntelang wirkten die mächtigen Unternehmens-Kontrolleure als graue Eminenzen, hielten sich im Hintergrund, tauchten in der Presse kaum auf. Das hat sich geändert: Aufsichtsräte rücken immer mehr in den Fokus, wann sie tagen, landet zumindest bei kriselnden Unternehmen öfter in der Presse und selbst die Themen auf ihrer Agenda werden immer öfter durchgestochen. „Wie will man denn bei Größenordnungen von 20 Personen im Aufsichtsrat sicherstellen, dass das nicht passiert?“, fragt Corporate-Governance-Großmeister Christian Strenger.

 

Immer nur Harmonie? Wohl nicht

Konflikte zwischen den Kontrolleuren und dem Vorstand oder gar innerhalb des Aufsichtsrats weisen alle Beteiligten mit schöner Regelmäßigkeit zwar weit von sich und geben am liebsten Harmonie vor. Warum? Sie wollen keine öffentlichen Konflikte und auch keine vor versammelter Mannschaft im Kontrollgremium. Immerhin sitzen zum Beispiel in den Aufsichtsräten bei Bayer und der Commerzbank 20 Leute.

 

Dass es hinter den Kulissen auch anders zugehen kann, wurde klar, als fünf Aufsichtsräte des Pharmaunternehmens Stada mit Carl Ferdinand Oetker vorneweg und Opel-Vorständin Tina Müller sofort ihre Ämter niederlegten, als die Finanzinvestoren Bain und Cinven den Konzern übernahmen. Nicht nur, dass sich herausstellte, dass Oetker mit dem Ex-CEO Matthias Wiedenfeld längere Zeit über Kreuz lag. Die Investoren hatten zudem angekündigt, den Aufsichtsrat lieber mit eigenen Kandidaten besetzen zu wollen.

 

Ex-Vorstände als Aufsichtsräte – neue Rolle

Manchmal sind es auch die Ex-Vorstände, die mit oder ohne Kunstpause zwischen den Positionen – Cooling-off-Phase genannt – für Zoff sorgen, weil sie ihre Rolle noch nicht gefunden haben. Ulrich Reitzle bei Linde soll zu diesen Kandidaten gehören.

 

Hohes Entscheidungstempo und mehr rechtliche Anforderungen für Aufsichtsräte

Ihr Job hat sich durch komplexe Geschäftsmodelle, verschärfte Haftungsrichtlinien und nicht zuletzt auch durch mehr öffentliches Interesse entscheidend gewandelt: Nicht nur „die rechtlichen Anforderungen an Aufsichtsräte sind gestiegen“, sagt Jochen Vetter, Anwalt bei der Kanzlei Hengeler, auch „das Entscheidungstempo“ hat sich erhöht. Deshalb werden Anwälte wie er, wenn es um Haftungsfragen geht, als große Ausnahme auch mal direkt mit in eine Aufsichtsratssitzung genommen.

Jochen Vetter von Hengeler Mueller (Foto: Hengeler)

 

Zwickmühle: Klagen müssen – um nicht selbst verklagt zu werden

Vor allem seit die Managerhaftung in den Köpfen angekommen ist, millionenschwere Schadenersatzprozesse gegen Unternehmenslenker in Gang gebracht werden – und seit Aufsichtsräte verpflichtet sind, die Top-Manager zu verklagen, wenn sie nicht selbst dafür haften wollen. Klar, dass die Versicherungswirtschaft für diese Zwickmühle zügig separate Aufsichtsräte-Policen auf den Markt gebracht hat. Bis vor kurzem verfolgte die Staatsanwaltschaft Essen immerhin neun Arcandor-Aufsichtsräte wie den Ex-Rewe-Chef Hans Reischl und den früheren Sal.-Oppenheim-Manager Carl Friedrich Janssen wegen strafbarer Untreue, weil sie Thomas Middelhoff kurz vor der Insolvenz vor acht Jahren einen Millionen-Bonus zugestanden hatten. Verurteilt wurden die Herren letztlich nicht, mussten aber eine Geldauflage von 75.000 Euro blechen.

 

Neue Player bei der Managerhaftung: die Insolvenzverwalter

Typischerweise war es der Insolvenzverwalter – Klaus Görg – der außer Vorständen auch zehn Aufsichtsräte auf Schadenersatz verklagte. Insolvenzverwalter sind jetzt sehr klagefreudig, sagt Managerhaftungsexperte Michael Hendricks aus Düsseldorf. Sie brauchen keine Rücksichten nehmen, haben kein persönliches Prozessrisiko und müssten, wenn sie es nicht täten, selbst dafür wiederum haften. Auch der vorläufige Sachwalter von Air Berlin, Lucas Flöther, kündigte direkt an, dass er auch Ansprüche gegen frühere Aufsichtsräte prüft und geltend machen will – wenn die gerichtliche Aufarbeitung dann eines Tages in sieben, acht Jahren erfolge.

 

Managerhaftungs-Experte Michael Hendricks (Foto: Hendricks)

Vorstand gegen Aufsichtsrat: Aber die Kontrolleure haben’s doch gewusst

Schließlich droht Aufsichtsräten auch noch Gefahr von den eigenen Vorständen: Landen die Vorstände auf der Anklagebank, können sie den Aufsichtsräten vorwerfen, dass sie sie nicht gestoppt haben und sie mit einer Streitverkündung, wie es die Juristen nennen, mit auf die Anklagebank zwingen. Das erlebte als erster der 77-jährige Wilhelm Orsing als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der Apo-Bank.

 

Die Angst der Aufsichtsräte vor der Haftung – Anonyme Hengeler-Thorborg-Umfrage offenbart deren Sorgen

Die Angst vor Haftung der Vertreter der Kapitalseite im Aufsichtsrat ist mit 80 Prozent inzwischen bei den meisten sogar größer als die Angst, dass ihre Reputation sinkt mit 63 Prozent, zeigt eine repräsentative Studie der Kanzlei Hengeler zusammen mit dem Headhunter Heiner Thorborg, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt. Befragt wurden alle Aufsichtsräte der 160 DAX-,MDAX, SDAX- und TecDAX-Unternehmen, von denen 85 antworteten.

 

DAX-Headhunter Heiner Thorborg (Foto: Thorborg)

Bekommen Aufsichtsräte alle Infos? Oder nur Gefiltertes?

Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Aufseher alle nötigen Informationen bekommen. Auch da knirscht es zuweilen: Laut der Hengeler/Thorborg-Umfrage wird die Agenda für die Aufsichtsratssitzung vom Vorstand vorgegeben. Damit nicht genug: Für 91 Prozent der Kontrolleure ist ihr Vorstand sehr oft oder oft die primäre Informationsquelle, eigene Recherchen stellen nur 37 Prozent „sehr häufig“ oder „häufig“ an. Wenn der Aufsichtsratschef und der CEO bei aufziehenden Krisen nicht offen und vor allem frühzeitig kommunizieren, werden die Aufsichtsräte sehr wütend und es kommt zu kapitalen Fehlern, warnt der Chairman der PR-Agentur HKS und Aufsichtsräte-Coach Ernst Primosch.

Gibt der Aufsichtsratschef dann Informationen nicht schnell an die anderen Aufsichtsräte weiter, verschuldet er selbst weitere Verzögerungen. Noch schlimmer: Wenn der Aufsichtsrat selbst erst aus der Presse erfährt – wie im Fall des VW-Aufsichtsrats Stephan Weil -, dass das Unternehmen in einem Kartell mit drin hängt.

 

Womit sich Aufsichtsräte beschäftigen

Womit sich die Aufsichtsräte so beschäftigen, wenn es nicht um Krisen oder Gehälter der Vorstände geht? Multi-Aufsichtsrat und Grandsegnieur Ulrich Lehner formuliert es so: „Im Mittelpunkt der Aufsichtsratsarbeit steht die Strategie des Unternehmens, die auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet ist. Damit einher geht regelmäßig die Frage nach Restrukturierungen als Antwort auf Veränderung im Wettbewerbsvorfeld.“ Für Lehner ist die vornehmste Aufgabe des Aufsichtsrats jedoch die Auswahl und Besetzung des Vorstands.

 

Hochkomplexer Job

Tatsächlich ist die Liste lang wie komplex: Personalthemen, Vorbereitung der Hauptversammlung, Prüfung des Jahresabschlusses, bei Diskussionen über den Bericht zur Lage der Gesellschaft geht es um Themen wie Strategie, Zustimmung zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen wie Unternehmenskäufe, Investitionen im Ausland oder größere Kreditaufnahmen – all das sollen sie kritisch hinterfragen. Weil die Dinge auch durch viele Gesetze und Vorschriften hochkomplex sind, haben die Aufsichtsräte inzwischen Fachausschüsse gebildet, die separat tagen.

 

20 Tage Arbeitsaufwand für einen Aufsichtsrats-Posten im DAX

Entsprechend zeitaufwändig ist der Nebenjob Aufsichtsrat inzwischen geworden. Früher war derjenige Aufsichtsrat am besten vorbereitet, der die längste Anreise hatte, sagt Christian Strenger. Doch die Zeiten sind passé. Sabine Dietrich, Aufsichtsrätin bei der Commerzbank, bereitet sich vor jeder Sitzung circa zehn Stunden vor. Hinzu kommen Vorbereitungszeiten für Ausschüsse und Sonderthemen wie beispielsweise Digitalisierung.

Christian Strenger (Foto: Strenger)

 

… aber nur in guten Zeiten 

Üblich sind vier bis sechs Aufsichtsratssitzungen im Jahr, ebenso oft tagen Präsidiums- und Prüfungsausschüsse laut Hengeler/Thorborg-Umfrage. Einfache Aufsichtsratsmitglieder kommen auf 20 Arbeitstage, die Vorsitzenden rackern doppelt so viel. Rutscht das Unternehmen jedoch in eine Krise, kann der Aufwand viel höher werden.

 

Offene Streitfrage: Wie viele Aufsichtsratsjobs sind nebenbei für Manager machbar? 

Auch ob ein Aufsichtsrat überhaupt genug Zeit für ein Mandat hat, ist inzwischen Thema: Die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller wurde von Investoren – dem Fonds-Manager Ingo Speich von Union Investment – offen attackiert bei der Siemens-Hauptversammlung, ob sie neben ihrem verantwortungsvollen Vollzeitjob noch ihre vier Aufsichtsratsmandate bei Siemens, der Lufthansa, bei Axel Springer und der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung stemmen könnte. Er war da nicht der einzige, auch Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) forderte die Trumpf-Chefin auf, die Zahl ihrer Mandate zu reduzieren. Sie hielt sie für überlastet.

 

Wie man sich zum Aufsichtsrat qualifiziert? Zwar gibt es für Möchtegern-Aufsichtsräte etliche Schulungsangebote bis hin zu Aufsichtsräte-Zertifikaten. Anbieter gibt es dafür genug und selbst die Deutsche Börse bietet eine Prüfung zum `Qualifizierten Aufsichtsrat´ an.

 

Victoria Kickinger (Foto: Tödtmann)

Viktoria Kickinger, Gründerin des Aufsichtsräte-Web-Kanals Director´s Channel und selbst Kontrolleurin, sagt: „Für konkrete Themen beauftragt man Anwälte. Ein generelles Aufsichtsratscoaching wie für Vorstände hat sich nirgends durchgesetzt und ist auch nicht zielführend.“ Wer so ein Amt antritt, hat die Vorstands-Sozialisierung bereits hinter sich. So kommt es auch, dass bei der hektischen Suche nach Frauen für Aufsichtsräte in jüngster Vergangenheit beliebte Kandidatinnen Professorinnen, Familienunternehmerinnen oder Top-Anwältinnen wurden, so Kienbaum-Headhunterin Sabine Hansen.

 

Zertifikat-geprüfte Aufsichtsräte ? Besser ein Psychologiekurs

„Wenn ich schon zertifikat-geprüfter Aufsichtsrat höre, bekomme ich ein leichtes Wiehern“ sagt Strenger. Da gehe es eher um juristische Grundkenntnisse, wichtiger sei ein Psychologiekurs. Man könne Fragen wie diese nicht in der Theorie üben: „Wer ist bereit, den ersten Stein auf den erfolgreichen CEO zu werfen?“ Oder das Interaktive, wie man sich untereinander bespricht, im richtigen Moment nachfragt oder wie man ein begründetes „Nein“ durchhält. Denn das ist gar nicht so leicht, sagt er.

Headhunter Heiner Thorborg berichtet denn auch vom Irrglauben, dem oft gerade Frauen aufsäßen: Dass ein Aufsichtsrat-Mandat etwas mit Karriere zu tun hat. Es krönt vielmehr eine Karriere, die bereits gemacht ist.  Es geht um die Reputation, Karriereabschlüsse und Erfahrung-Sammeln in anderen Industrien. So wie Sabine Dietrich, die mehrere Jahre Vorstand beim Mineralölkonzern BP Europa SE war und jetzt in der Finanzbranche die Commerzbank kontrolliert.

Ex-Rewe-Chef Caparros ist jedenfalls seit dem Herbst bei dem Textilhändler C&A doch wieder operativ tätig. Mal sehen, ob ihm die Familienunternehmer weniger ins Geschäft hineinreden.

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Lesehinweis. Die Zwickmühle von Aufsichtsräten 

Autokartell: Wer sein Kartell verpfeift, braucht sich nicht outen via Ad-hoc-Mitteilung – aber der Aufsichtsrat muss zum Schweigen verdonnert werden. Sieben Fragen an die Heuking-Anwälte Rainer Velte und André Szesny

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