VW-Manager Oliver Schmidt hat auf die falsche Karte gesetzt: Integrität versus Bankkonto. Gastbeitrag von Ulrich Hemel

Systeme prägen, Personen handeln: Zum Urteil gegen den VW-Manager Oliver Schmidt, der in den USA jetzt verurteilt wurde zu sieben Jahren Haft und der wohl von VW nun die Kündigung bekommt. Alternativlos war auch er nie. Gastbeitrag von Ulrich Hemel, Direktor, Institut für Sozialstrategie, Manager und Unternehmer.

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Ulrich Hemel

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Das Misstrauen gegenüber der Wirtschaft. In einer Hauptrolle: Die Konzerne

Die Verurteilung des VW-Mitarbeiters Oliver Schmidt ist ein Fanal der Entfremdung zwischen Gesellschaft und Management. Dass die Verurteilung durch ein US-Gericht zustande kam, ändert nichts an der Haltung des Misstrauens zwischen Kräften der Wirtschaft und der Gesellschaft auch in Deutschland und Europa. Eine Hauptrolle spielen dabei große Konzerne eben wie Volkswagen, die sich die teuersten Anwälte leisten können und immer wieder auf Zeit spielen statt reinen Tisch zu machen.

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Die Verwechslung von Konzernen mit Wirtschaft

Leider leisten Politiker auf Bundesebene, allen voran Angela Merkel als Bundeskanzlerin, dieser Entwicklung Vorschub, weil sie die Kraft der Wirtschaft mit der Macht der Konzerne verwechselt. Wirtschaft aber ist mehr, vor allem im Blick auf die vielen tausend gut geführten mittelständischen Unternehmen.

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Erwischt, fallen gelassen – Oliver Schmidt steht für viele: Systemkonformer, gelehriger Karrierist mit Boni

Ist es für den einzelnen Mitarbeiter so wie Oliver Schmidt also einfach „Pech“, wenn er eben erwischt und dann fallen gelassen wird? Schließlich hat auch er sich über die Stellenzusage bei einem Weltkonzern, die ersten Karriereschritte, den Leistungsbonus (der natürlich auch „Anerkennung für systemkonformes Verhalten“ ausdrückt!) und vieles mehr gefreut. Er hat – wie viele andere – gelernt, wie man Berichte verfasst, Jahresgespräche führt, sich Netzwerke schafft und diese auch nutzt.

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Der gelernte Unterschied zwischen Person und Rolle

Geht dabei der ethische Kompass verloren? Die Frage ist leicht gestellt, aber nicht in einem Satz zu beantworten. Denn wir alle haben gelernt, zwischen unserer Person und unseren Rollen zu unterscheiden. Das fängt in der Familie an, geht in der Schule weiter und setzt sich bis ins Arbeitsleben fort. „Persönlich bin ich ganz anders, aber ich habe ja kaum Zeit dazu“, so äußerte es mir gegenüber ein in der Tat sehr beschäftigter Spitzenmanager.

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Die gelebten Werte und Normen – nicht die proklamierten

Die Prägung durch eine Rolle ist in allererster Linie das Aufnehmen von Rollenerwartungen durch die Umgebung, durch die gelebten (nicht die proklamierten) Werte und Normen im sozialen Umfeld des Unternehmens. Darf man lügen? Natürlich nein. Soll ich meinem Chef genau sagen, was schief gegangen ist und warum? Natürlich nicht!

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Der systemkonforme Konzernmensch – der sich selbst nicht mehr erkennt

So jedenfalls wird häufig argumentiert. Das „Abschleifen“ ethischer Ansprüche geschieht Schritt für Schritt, mit kleinerem oder größerem inneren Widerstand. Und irgendwann bleibt der systemkonforme Konzernmensch zurück, der sich im Zweifelsfall selbst nicht mehr im Spiegel erkennt.

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Man kann beim Wertekonflikt das Feld verlassen – Oliver Schmidt hat den richtigen Zeitpunkt verpasst

Was hilft? Hier sind zwei Themen aufzugreifen. Das eine ist die ganz persönliche Frage nach dem eigenen Lebensentwurf und dem, was einem wirklich wichtig ist. Leider ist es eine unbequeme Frage, weil sie entweder zum Offenlegen problematischer Kompromisse mit hohen Nebenfolgen für Glück und Integrität führt- oder zu harten Entscheidungen. Man kann einen Konflikt, speziell einen Wertekonflikt, nämlich auch dadurch lösen, dass man das Feld verlässt. Anders gesagt: Oliver Schmidt hat wahrscheinlich den richtigen Zeitpunkt verpasst, sich von selbst beruflich neu zu orientieren.

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Der Mut, zu gehen

Systeme prägen, Personen handeln. Kein einzelner Mensch ist stärker als der Systemdruck von Volkswagen, von Amazon, von Siemens oder des Vatikans. Aber kein System hält sich auf Dauer, wenn einzelne Personen den Mut finden zu gehen. „Employer’s Attractiveness“ nennt man das heute, und nicht zu Unrecht.

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Wichtig sind die Signale von oben über gewünschtes Verhalten

Die zweite Quelle der Erneuerung kommt- wie bei vielen sozialen Veränderungen- von der Spitze. Peter Löscher hatte die Aufgabe, Siemens nach einem großen Korruptionsskandal von Grund auf zu reformieren. Papst Franziskus versucht das für seine Katholische Kirche. Ob eine solche Erneuerung auf Dauer gelingt, ist eine ganz andere Frage. Wichtig für die Menschen auf den verschiedenen Stufen der Hierarchie sind die Signale, die „von oben“ gesendet werden und die nahe legen, welches Verhalten nun „erwünscht“ ist oder gerade nicht.

Menschen sind soziale Wesen. Sie richten sich nach solchen starken Impulsen. Kommen diese nicht, versagt Führung. Dies gilt erst recht, wenn es zu gesellschaftlichen Kontroversen kommt wie im Fall Volkswagen.

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Versagt Führung, bezahlen alle: Mitarbeiter, Großunternehmen, Gesellschaft

Den Preis dafür zahlen übrigens alle: Einzelne Mitarbeiter wie Oliver Schmidt, die zu spät merken, dass sie auf die falsche Karte gesetzt haben. Große Unternehmen wie Volkswagen, denen die Erneuerung nicht gelingt, weil sei zu sehr auf die Armada ihrer Anwälte hören statt auf Impulse der Erneuerung. Und die gesamte Gesellschaft, der ein wichtiger Kompass verloren geht, wenn Wirtschaft eher Gegenstand von Misstrauen statt Partner auf dem Weg zu Glück und Wohlstand wird.

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Hilflos und machtlos sind weder Angestellte noch Führungskräfte

Wir sind nicht hilflos und nicht machtlos, weder als Angestellte und Führungskräfte noch als Verbraucher. Denn dort, wo wir ein System nicht ändern können, haben wir Alternativen: Andere Marken, andere Unternehmen, andere persönliche Lebensentwürfe.

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….nur der Gehaltsscheck ist nicht so hoch

Ja, dafür zahlen wir einen Preis. Aber wir erhalten auch einen Wert: Und der bemisst sich eben- wie schon gesagt- eher am Maßstab von Glück, Integrität und Unabhängigkeit, und weniger am Bankkonto und der Visitenkarte. So ein Pech aber auch….Und so ein Glück: Denn Systeme prägen, Personen handeln.

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.http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/oliver-schmidt-vw-entlaesst-us-manager-offenbar-fristlos/20766960.html

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