Buchauszug Jonathan Sierck: „Junge Überflieger. Millenials – eine Generation auf der Erfolgsspur“

Buchauszug: Jonathan Siercks „Junge Überflieger. Millenials – eine Generation auf der Erfolgsspur“  

Siercks ist Gründer und Geschäftsführer von Inspired World mit Kunden wie Audi, Siemens oder dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt: Er gibt Seminare  zu effizientem Arbeiten, Zeitmanagement und Persönlichkeitsentwicklung. Er selbst ist Jahrgang 1993, zählt sich zu den sogenannten Millenials  und hat für dieses Buch einige Erfolgreiche seiner Generation interviewt wie die Unternehmerin Lencke Steiner, Rapper Kontra K, Deutschlands jüngster Sternekoch Philipp Stein, Comedian Chris Tall, Fashion-Bloggerin Masha Sedgwick, Fußballer Joshua Kimmich, Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, die Fotographin Fee-Gloria Grönemeyer, Westwing-Gründerin Delia Fischer, Schriftstellerin und die Lebenskünstlerin Jannike Stöhr.

Autor Jonathan Sierck (Foto: Nils Schwarz)

 

Geduld

Die größte Herausforderung für uns Millennials ist, dass wir in einer Welt aufgewachsen sind, in der fast alles schnell beziehungsweise auf Abruf bereitsteht und wir es gewohnt sind. Das bestellte Paket bei Amazon ist morgen da. Mit Tinder können wir im Sekundentakt entscheiden, ob uns ein Mensch gefällt – zumindest rein optisch. Whatsapp ermöglicht es uns, über den gesamten Globus Sofortnachrichten zu verschicken und wir erwarten demzufolge auch schnelle Antworten. Alles soll augenblicklich passieren und ist auf Tempo ausgelegt. Ungeduld wird nicht mehr als Laster, sondern als Tugend gesehen, weil es die Beschleunigung noch mehr fördert.

Da alles so schnell geht, unterliegen wir der Illusion, keine Zeit zu haben, und fangen aus diesem Grund vieles an und führen wenig zu Ende. Wir wollen Abkürzungen, Zusammenfassungen und idiotensichere Anleitungen. Wenn sich Resultate nicht sofort einstellen, lassen wir es eben wieder sein. Im Marketing lernen wir, dass wir die Aufmerksamkeit des potenziellen Kunden sofort fesseln müssen, weil er sich sonst einer Sache widmet, die noch lauter schreit. Die Erwartungshaltung ist: sofort verfügbar, schnell konsumierbar, leicht verständlich.

 

Geduld und Beständigkeit sind die Meisterschlüssel

Bevor wir uns in eine Sache hineinfuchsen und bereit sind, in Vorleistung zu gehen, muss sichergestellt sein, dass es sich lohnt und uns etwas bringt. Eine altbewährte Weisheit lassen wir dabei außer Acht: Gut Ding will Weile haben. Trotz des rasanten Fortschritts wird es immer Dinge geben, die ihre Zeit brauchen und kein sicheres Ergebnis versprechen. Vorrangig betrifft das genau die Bereiche, über die ich bisher geschrieben habe: Sport, Musik, Kunst und Entertainment, Wissenschaft, Unternehmertum. Wer weit gekommen ist, hat die Bereitschaft gezeigt, sich seiner Sache langfristig zu widmen und nicht damit aufzuhören, wenn nach kurzer Zeit der ersehnte Erfolg ausblieb. Geduld und Beständigkeit sind die Meisterschlüssel und werden es auch bleiben, egal wie sehr wir uns technisch noch optimieren.

Wenn wir immer nur an der Oberfläche kratzen, weil wir durch die vielen Ablenkungen sofort auf den nächsten Reiz reagieren und uns nicht in komplexere Sachverhalte einarbeiten wollen, kann das nur eine logische Konsequenz haben: Tiefgang und beachtliches Können bleiben aus. Wenn es zwei Dinge gibt, die sich beim Streben nach Erfolg beißen, dann ist es das Bedürfnis nach sofortigen Resultaten und das Bedürfnis nach Spitzenleistungen. Das Minimax-Prinzip funktioniert nicht, wenn wir ein Geschick wirklich meistern wollen. Fast alle lohnenswerte Dinge im Leben, wie etwa Liebe, Freundschaft, Vertrauen oder Erfolg, müssen behutsam aufgebaut werden. Wer keine Geduld und die damit verbundene Ausdauer mitbringt, wird wie Chris Tall zu Beginn seiner Karriere denken, dass Promis und erfolgreiche Menschen von einem anderen Stern kommen, anstatt selbst erfolgreich zu werden.

 

Das grosse Warum

Dieser letzte Faktor ist der Motor, der alles andere zum Laufen bringt und in Gang hält. Was verleitet einen Fußballspieler dazu, in jungen Jahren seinem großen Ziel alles unterzuordnen? Wieso arbeitet ein Musiker jahrzehntelang aufopferungsvoll an seinen Texten, obwohl er nicht weiß, ob ihm jemals der Durchbruch gelingen wird? Was bewegt Menschen dazu, sich jahrelang für ihre Leidenschaft aufzuopfern und auf vieles freiwillig zu verzichten?

Nur durch ein klares Warum im Leben, kommen wir mit dem herausfordernden Wie zurecht, wusste schon Friedrich Nietzsche. Unsere Motivation muss langfristig stärker sein als die Verlockung, uns mit weniger zufrieden zu geben oder abzubrechen. Sie ist es, die uns antreibt und uns die Kraft schenkt, uns jeden Tag neuen Herausforderungen zu stellen, jeden Tag weiter wachsen zu wollen. Diese Motivation entspringt dem eigenen Warum. Wenn es fehlt – aus welchen Gründen auch immer –, dann brechen wir ab, bevor wir in Sphären vordringen konnten, in denen sich der Ertrag sehen lässt und wir uns selbst erstaunen.

Wir tun dem Erfolgreichen Unrecht, wenn wir seine Leistungen auf Talent oder Glück reduzieren. Die Meilen, die er gehen musste, um an den Punkt zu kommen, an dem er steht, blenden wir nur zu all gerne aus. Sie entsprechen keinem vorgefertigten Weg, sind oft holprig und einsam – intensiv geübt wird schließlich viel alleine.

Der Faktor Anerkennung und die Rolle des Umfelds dürfen natürlich nicht allzu sehr heruntergespielt werden. Wie Sebastian Klussmann und Conrad Caine erzählten, kann es ein großer Ansporn sein, eine gewisse Rolle auferlegt zu bekommen und sich den Respekt der anderen zu verdienen. Diese extrinsische Motivation reicht zwar alleine nicht aus, aber sie kann für einen beachtlichen Schub sorgen, um kritische Phasen zu überwinden oder noch eine Schippe draufzulegen. Förderer und Unterstützer im eigenen Umfeld sind vor allem in solchen Phasen wichtig. Doch Zweifler, die uns erzählen, dass wir es niemals schaffen werden, und Neider, die uns keinen Erfolg gönnen, sind oft die größten Motivatoren. Sie sind es, die uns den entscheidenden Kick geben. Gleiches gilt für Misserfolge.

Klar ist: Für jeden gibt es einen Weg, seinen Traum zu leben. Mit der richtigen Herangehensweise, dem nötigen Einsatz, der Beständigkeit durch ein klares Warum, kann auch ein schwerer Weg gemeistert werden. Es gibt keinen Grund, dem eigenen Traum nicht zu folgen. (Es sollte aber klar sein, dass utopische Träume von diesem Gedanken ausgeschlossen sind: Mit 50 Jahren wird man kein Bundesligaprofi mehr, als Kleinwüchsiger wird man vermutlich nicht in der NBA landen und wer komplett unmusikalisch ist, wird wohl keine Musikerkarriere vor sich haben.)

Jonathan Sierck: „Überflieger. Millenials – eine Generation auf der Überholspur“ 272 Seiten, 16,99 Euro, Redline Verlag, https://www.m-vg.de/redline/shop/article/13361-junge-ueberflieger/

 

 

Scheitern, aufstehen und stärker zurückkommen

»Beurteile einen Mann nicht, wenn er am Boden liegt. Beurteile ihn, wie er wieder auf die Beine kommt. Wenn ich eine Niederlage einstecken muss, bin ich des­wegen noch lange kein Verlierer. Ein Verlierer bin ich nur, wenn ich selbst daran glaube. Wenn sich jemand immer einredet, eine Verliererin oder ein Verlierer zu sein, wird sie oder er es irgendwann glauben und sich entsprechend verhalten. Dann wird Verlieren zur Ange­wohnheit.« Ralph Krüger

Nichts ist schlimmer als der Moment der Niederlage, der Demütigung, der Ablehnung, des Sturzes, des Verlusts, des Misserfolgs. Er kränkt uns, lässt uns zweifeln und trifft uns oft bis ins Mark. Er schmerzt fürchterlich. Doch gerade weil er so fürchterlich schmerzt, ist er auch so mächtig. Er kann zu einem großen Antrieb werden und zu einem Ausmaß motivieren, das den Betroffenen zu ungeahnten Höhen kata­pultiert. Es ist der Gekränkte, der Getroffene, der, der den bitteren Ge­schmack des Scheiterns zu schmecken bekommen hat, der mehr von sich abverlangt als zuvor. Rückblickend sind es oft die aussichtslosen Zeiten, die dunklen Phasen und die größten Niederlagen, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind.

 

Scheitern als starker Antrieb, der zu ungeahnten Höhen katapultiert

Ohne das Scheitern wären uns viele große Kunstwerke, Erkenntnisse, Durchbrüche und Ikonen des Sports verwehrt und unbekannt geblie­ben – im sechsten Kapitel habe ich zahlreiche Beispiele aufgelistet, die diesen Gedanken verdeutlichen. Auch der Blick in die Geschichten der jungen Überflieger hat gezeigt: Oft waren es die schmerzlichen Phasen, die sie an die Spitze geführt haben. Jannike Stöhr hat es schön auf den Punkt gebracht, als sie sagte: »In Krisen richten wir den Fokus automatisch auf das Wesentliche.« Oder Joshua Kimmich, der erzählte, dass wir uns besonders dann, wenn es nicht so läuft, den Blick auf das richten, was wir besser machen können. Die Säge schärfen wir nach einem Sturz; der Erfolg hingegen kann uns blind machen, wenn wir nicht aufpassen und zu sehr in Euphorie verfallen. Die größte Angriffsfläche offenbaren wir ironischerweise dann, wenn wir in unserem Hochgefühl des Sieges unachtsam und nachlässig werden. Der tragische Sturz des Helden ist uns aus jahrtausendalten Sagen bekannt.

 

Scheitern zwingt zu Neuausrichtung – und Kräfte-Bündeln

Das Scheitern mag uns zwar kurzzeitig (und auch länger, wenn wir es zulassen) in die Knie zwingen, aber es nötigt uns auch zu reflektieren und uns neu auszurichten. Diese Reflexionsphase haben viele für sich genutzt, um ihre Kräfte zu bündeln und dann den großen Wurf anzu­gehen. Die Münchner Fußballfans werden sich noch wie gestern an das bitter verlorene »Finale Dahoam« von 2012 erinnern. Die darauf­folgende Saison wurde zur erfolgreichsten ihrer über hundertjährigen Geschichte. Es heißt nicht umsonst, dass mitten im Misserfolg eine neue Chance liegt und dass die größten Errungenschaften oft auf die schmerzhaftesten Niederlagen folgen.

Wir würden zwar niemandem den Schmerz des Hinfallens wünschen, doch oftmals ist genau das die bittere Erfahrung, die mancher ma­chen muss, um in die richtige Spur zu finden und diese mit dem nö­tigen Biss zu verfolgen.

 

Wolf Schneider: „Scheitern ist normal“

»Das Scheitern ist normal«, schreibt Wolf Schneider in seinem Buch Glück!. »Im Wettlauf nach Glück, Ruhm, Ehre und Medaille treffen auf jeden Gewinner zehn, hundert, manchmal hunderttausend, die ver­loren haben.« Jeder, der es wagt, ein großes Ziel zu verfolgen, etwas Neues auszuprobieren und etwas Originelles auf die Beine zu stellen, wird immer und immer wieder scheitern, aber wenn er das nötige Durchhaltevermögen mitbringt, tut er durch sein Wirken in den meis­ten Fällen nicht nur sich selbst, sondern vielen anderen Menschen durch sein Beispiel einen großen Gefallen.

Genauso wie Erfolg ist Scheitern ein subjektiver und daher schwam­miger Begriff. Was der eine als das Ende der Welt einstuft, ist für den anderen konstruktives Feedback. Scheitern ist etwas Temporäres, solange wir uns dazu entschließen, wieder auf die Beine zu kommen. Manche nehmen es persönlich, andere sehen es als Test, den sie be­stehen müssen, um zu zeigen, wie sehr sie es wirklich wollen. Thomas Edison wird das Zitat zugeschrieben: »Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.« So kann man die Dinge auch sehen.

Unsere Auffassung und unsere Definition von Scheitern sagt viel über uns als Mensch aus, ebenso wie unsere Auffassung vom Erfolg. In Momenten der Niederlage kommt unser wahrer Charakter zum Vor­schein. Wir werden in fast jeder bekannten Absolventenrede von ame­rikanischen Universitäten und in zahlreichen Motivationsvideos daran erinnert, dass wir genau dann Größe beweisen können.

Auch die bisher beschriebenen Überflieger sind (mehrfach) ins Strau­cheln geraten, haben Bauchlandungen hingelegt und schwere Krisen durchgemacht. Nichtsdestotrotz wollte ich für diesen Teil mit Men­schen sprechen, die persönlich unter Beweis gestellt haben, dass man selbst existenzbedrohende Krisen überwinden und gestärkt aus Miss­erfolgen hervorkommen kann.

 

Anne Koark -Scheitern als Chance

Anne war erfolgreiche Unternehmerin, wurde mehrfach mit Preisen für ihr innovatives Geschäftsmodell und ihre unternehmerischen Fä­higkeiten ausgezeichnet. Im Jahr 2001 erhielt sie zum Beispiel den Breakeven Award, der an Existenzgründer verliehen wird, und im Jahr 2004 ging der Lady Business Award an sie. Sie erhielt viel media­le Aufmerksamkeit – und hätte ich dieses Buch vor rund 20 Jahren geschrieben, wäre sie höchstwahrscheinlich im ersten Teil gelandet. Doch im Jahr 2003 musste sie Insolvenz anmelden, sowohl geschäft­lich als auch privat. Die Auswirkungen der Anschläge vom 11. Septem­ber 2001 und ein Mietvertrag, aus dem sie nicht herauskam, zwangen ihr blühendes Business und ihren unermüdlichen unternehmerischen Kampfgeist letztlich doch in die Knie.

Bekannt wurde Anne zum einen durch ihren Artikel »Hilfe, ich bin noch ein Mensch!«, der im Wall Street Journal Online veröffentlicht wurde und ein überwältigendes Echo erzeugte, und zum anderen durch ihr Buch Insolvent und trotzdem erfolgreich, das direkt in die Wirtschafts­bestsellerlisten aufstieg und sich fast ein halbes Jahr lang dort hielt. Anne wurde in zahlreiche Talkshows eingeladen, hält bis heute Vorträ­ge über den Umgang mit dem Scheitern und hat sich seitdem gegen die Stigmatisierung von insolventen Personen und die Auflockerung des deutschen Insolvenzrechts eingesetzt, das es dem Gescheiterten äußerst schwer macht, wieder auf die Beine zu kommen.

 

Vor dem Durchbruch steht immer Experimentieren – und mehrmals scheitern

Auf ihrer Visitenkarte steht Pleitier, was Anne nicht davon abhält, sich augenzwinkernd als »VIP« zu bezeichnen: Very Intensively Pleite. Sie erklärt mir:

»Scheitern hat immer etwas Positives, auch wenn es sich nicht so anfühlt und mit Erschwernissen verbunden ist, die man nicht haben will und die Narben hinterlassen. Immer wenn ich ein gro­ßes Ziel verfolge, einen Durchbruch schaffen will, dann muss ich zwangsläufig experimentieren. Und Experimentieren ist darauf aufgebaut, mehrmals zu scheitern, bis man das findet, was man sucht, und jedes Mal aus diesem Scheitern zu lernen. Das kennen wir alle aus der Wissenschaft. Nichts Großes ist je ohne zahl­reiche Rückschläge entstanden. Softwareentwicklung beruht auf diesem Prinzip. Es wird etwas programmiert, dann wird es ge­testet, und dann werden die Bugs korrigiert und das System wird besser. Nur so können wir lernen, und deshalb ist Software auch die Erfindung des Menschen, die sich am schnellsten entwickeln konnte, weil es das Konzept des Scheiterns gar nicht kennt. Es gibt nur Updates.«

Scheitern ist für Anne immer eine Frage der eigenen Perspektive.

»Oft ist es doch so: Ich mache Erfahrungen und stelle fest, was nicht funktioniert – dadurch mache ich einen Lernschritt, aber scheitere nicht. Das führt zu Flexibilität im Kopf. Die Frage ›Wann bin ich gescheitert?‹, ist sehr schwer zu beantworten, weil das mit der eigenen Einstellung zusammenhängt.«

Mit einem leichten Schmunzeln fügt sie hinzu:

»Wirklich gescheitert bin ich erst, wenn ich aufgebe. Ich würde aber nie sagen, man soll mit aller Gewalt an einer Sache festhal­ten und mit etwas weitermachen, das bergab geht und nicht zu retten ist. Etwas nach vorne bringen zu wollen, was schon tot ist, ist auch eine Form des Scheiterns. Etwas Totes kann man nur eine kurze Zeit mit sich schleppen, dann wird es zu schwer. Und dann gibt es auch keinen Neuanfang. Einen Neuanfang gibt es nie ohne ein Ende. Ich muss etwas abschließen können, bevor ich etwas Neues starte.«

Wie wir das Scheitern sehen, ist immer abhängig von der individu­ellen Wahrnehmung. Unser Umfeld spielt dabei eine tragende Rolle, wobei wir immer im Hinterkopf behalten müssen: Nur weil ein anderer denkt, wir wären gescheitert und uns als Versager betitelt, heißt das noch lange nicht, dass das stimmt. Wir haben das letzte Wort und so­lange wir uns nicht geschlagen geben, sind wir auch niemals geschei­tert. »Was von außen kommt, ist immer gefärbt von den persönlichen Erfahrungen. Wir wissen nie, was eine andere Person durchmachen musste und kennen die Geschichte der anderen Person nicht«, findet Anne.

 

Ein Verzweiflungstag pro Woche

»Wie bist du mit deiner Insolvenz umgegangen? Wie lief das ab?«

»Es gibt bei jedem Menschen nach einem groben Scheitern einen kurzen Moment, in dem sein Weltbild wackelt und er stark an sich selbst zweifelt – und mit einer Insolvenz wackelt das eigene Welt­bild wirklich gewaltig, weil man von heute auf morgen in ein Sys­tem kommt, das man nicht kennt. Ohne Insolvenz bin ich selbst­bestimmt, mit Insolvenz muss ich alles, was ich mache, absegnen lassen. Viele Selbstverständlichkeiten fallen weg: Ich habe keine EC-Karte mehr, kriege keinen Handyvertrag et cetera. Ich habe mir dann ›Verzweiflungstage‹ eingeräumt: Einmal in der Woche habe ich mir erlaubt, komplett verzweifelt zu sein, aber am Ende des Tages schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein und sagte zu mir: ›So, jetzt sind wir fertig mit dem Verzweifeltsein – was machen wir morgen?‹ Dieses Druckventil in regelmäßigen Abständen zu öffnen, war ganz wichtig für mich.«

Die Familie und ihre Erziehung haben für Anne beim Umgang mit ihrer Situation eine wesentliche Rolle gespielt.

»Ich hatte in meiner Familie viele Vorbilder für den Umgang mit Scheitern und Rückschlägen. Den Ansatz ›Ich bin gescheitert, jetzt gebe ich auf‹ gab es in unserer Familie nicht. So hat niemand bei uns gedacht. Bei uns ist es nicht schlimm, wenn jemand etwas nicht schafft. Es ist nur schlimm, wenn man daraus nicht lernt und nicht wieder aufsteht. Der Umgang mit dem Scheitern ist das Ent­scheidende. Man muss aktiv werden und darf sich nicht hängen­lassen – das klingt natürlich einfacher, als es ist. Das Elternhaus und die Erziehung spielen eine große Rolle im Umgang mit dem Scheitern. Die meisten Erwachsenen versuchen, Schwierigkeiten und Herausforderungen von den Kindern fernzuhalten, statt ihnen zu zeigen, wie man mit Schwierigkeiten umgeht. Ich sehe da eine große Lücke in der Erziehung. Wenn ich immer eine heile Welt vor­spiele, beraube ich die Heranwachsenden der Chance zu verste­hen: Scheitern stellt einen Teil unseres Lebens dar, es gehört dazu und wir können damit umgehen und weitermachen. Unser größtes Problem ist oft, dass wir uns selbst bekämpfen, wenn es schwierig wird. Wir machen uns dafür schlecht, dass wir Angst haben und verkrampfen, statt nach einem anderen Weg zu suchen.«

 

Man darf sich selbst nicht so ernst nehmen, muss über sich lachen können

Annes Perspektive zum Thema Scheitern ist da wahrlich wohltuend. Und durch ihre Erfahrung, kann sie auch getrost behaupten: »Wenn ich einmal gescheitert bin und es geschafft habe, wieder aufzustehen, dann nimmt mir das automatisch die Angst vorm Scheitern, weil ich weiß, wozu ich imstande bin.« Besonders wichtig für sie ist, dass man sich selbst nicht so ernst nimmt. Sie meint: »Solange man (über sich selbst) lachen kann und ein paar Leute im Umfeld hat, die einem trotzdem vertrauen, kommt man auch aus den tiefsten Tälern wieder raus.«

 

Mitarbeiter mit Angst vorm Scheitern – das Übelste für Unternehmen

Was das Scheitern im geschäftlichen Kontext betrifft, hebt Anne her­vor, dass es nie als Ausschlusskriterium gelten darf, weil wir immer Menschen brauchen, die den Mut haben, nach vorne zu gehen. Und sobald Scheitern zu einem Ausschlusskriterium wird, kommen uns solche Menschen abhanden, was gravierende Konsequenzen hat: »Das Schlimmste für Unternehmen sind zum Beispiel Mitarbeiter, die Angst davor haben zu scheitern. Denn Unternehmen verlieren dadurch die Möglichkeit, sich einen Vorsprung zu verschaffen. Wenn ich mich nichts traue, aus Angst schlecht dabei auszusehen und zu stolpern, kommt zwangsläufig jemand anders, der es wagt und ich habe meine Chance verspielt. Es ist auch immer die Frage, worauf wir unseren Fokus richten wollen. Ich frage mich immer, auch in den schwierigsten Phasen: ›Was bleibt mir noch?‹ – Und bin dankbar dafür.«

»Wie hängen Scheitern und Erfolg für dich zusammen?«

»Durch das Scheitern ändert sich unsere Vorstellung von Erfolg. Oft wird sie griffiger, ist weniger vom Umfeld, von Karriere und materiellen Gütern abhängig, als es häufig vorher der Fall war. Erfolgreich ist für mich persönlich immer der, der Zufriedenheit mit der Situation findet, in der er sich befindet.«

»Hast du noch einen finalen Tipp für den Leser?«

»Ich empfehle meinen Kindern immer, alles auszuprobieren, wo­ran sie echte Freude verspüren könnten. Nur so können sie her­ausfinden, was ihnen Erfüllung bringt. Gleichzeitig rate ich aber auch, den Mut zu haben, einen Traum zu revidieren, wenn man merkt: Das ist doch nicht das, was ich machen möchte. Es hilft niemandem, etwas bis ins Unendliche durchzuziehen, weil man meint, ein Kurswechsel wäre nicht möglich. Man darf sich selbst nicht in seinem Traum verlieren.«

 

Attila von Unruh – Raus aus der Opferrolle

Wie Anne sagt auch Attila von Unruh: »Scheitern bedeutet für jeden etwas anderes.« Er ist heute systemischer Coach, der sich auf Kri­sen- und Sanierungsberatung spezialisiert hat. Aus seiner eigenen Erfahrung des Scheiterns heraus – Attila hat ebenfalls eine Insolvenz durchgemacht – hat er sich zwangsläufig sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Zwei Jahrzehnte lang war Attila von Unruh Unternehmer, hat diver­se Unternehmen aufgebaut und kurz vor der Jahrtausendwende ein erfolgreiches Unternehmen verkauft. Als ehemaliger Geschäftsführer hing er jedoch noch in persönlichen Bürgschaften fest, für die er nach und nach freigestellt werden sollte. Doch der Käufer musste Insol­venz anmelden, was dazu führte, dass diese Bürgschaften mit einem Schlag fällig wurden. Attilas langjährige Partner und Geschäftskunden drückten zwar ihr Bedauern aus, verlangten aber, dass er das Geld aufbrachte. Fünf Jahre kämpfte Attila, er versuchte Wege zu finden, eine Lösung mit den Gläubigern herzustellen, bot Vergleiche an. Nie­mals zog er in dieser Zeit in Erwägung, Insolvenz anzumelden, weil das für ihn bedeutet hätte, als Unternehmer gescheitert zu sein. »Und das wollte ich nicht. Ich wollte Lösungen finden, aber nie den Offen­barungseid leisten.«

 

Etwas Neues starten nach einer Insolvenz? Oh nein

Doch im Jahr 2005 musste er doch Privatinsolvenz anmelden. »Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Mir war nie klar, wie stigmatisiert das Thema in der Gesellschaft ist. Ich dachte, ich kann nach vorne schauen, bin den Druck los und darf etwas Neues star­ten.« Der Alltag sah aber ganz anders aus: Der Handyvertrag und das Konto wurden gekündigt, Bestellungen im Internet waren kaum noch möglich, der Insolvenzverwalter untersagte jegliches Ausüben einer selbstständigen Tätigkeit und jede Möglichkeit eines Neustarts und damit die Chance, die Schulden aus eigener Kraft zurückzahlen zu können, wurden verwehrt.

»Das war schon ein harter Schlag, den ich anfangs sehr persön­lich genommen habe. Aus Verzweiflung habe ich dann im Internet danach gesucht, wie andere damit umgehen und musste feststel­len, dass es keine Organisation oder Einrichtung gab, die Men­schen zusammenbringt, die in einer Insolvenz stecken. Als ich mit einem Bekannten, der Ähnliches erlebt hat, sehr offen über das Thema sprechen konnte, und mir nicht irgendwelche Positiv-denken-Floskeln um die Ohren geschlagen wurden, habe ich fest­gestellt, wie gut das tut und wie wichtig das für mich ist. Es macht schon etwas mit dem Selbstwertgefühl, wenn du etwas für 5 Euro online bestellen willst und dann eine Absage bekommst.

 

Die Abwärtsspirale und „Die Anonymen Insolvenzler“

Das führt schnell in eine Abwärtsspirale: Man will sein Gesicht wahren und spricht nicht viel darüber, isoliert sich, fühlt sich schlecht, macht sich selbst nieder und das Selbstwertgefühl nimmt zunehmend ab. Daraus kann ich nur ausbrechen, indem ich mich öffne und es mit jemandem teile. Und weil ich das erkannt habe, habe ich mich 2007 entschlossen selbst eine Initiative zu gründen (»Die Anonymen Insolvenzler«), damit Leute in einer vertraulichen Um­gebung über ihre Lage sprechen können. Ich bin dann als Selbst­betroffener damit in die Öffentlichkeit gegangen, habe mit einer Journalistin gesprochen.«

Wie bei Anne war das Echo überwältigend. Attila wurde mit Presse­anfragen überflutet und zu den Treffen kamen große Menschenmen­gen. »Ich war damals schon überrascht, wen es alles treffen kann. Da saßen so viele gestandene Persönlichkeiten vor mir, die meisten gut gekleidet, und sprachen über ihre Erfahrung und ihre Insolvenz. Da­durch habe ich schnell gemerkt: Scheitern schließt niemanden aus.«

Daraus ist Attilas Sozialunternehmen Team U entstanden, das Un­ternehmern in finanziellen und unternehmerischen Krisensituationen Beratung und Orientierung bietet. Team U macht sich für eine Kultur der zweiten Chance stark. »Ich habe aus diesem empfundenen Man­gel dann eine Stärke entwickelt.«

Die eigene Wahrnehmung ist auch für Attila wesentlich für den Um­gang und die Einordnung des Scheiterns. Er meint: »Wenn ich mir Ziele setze und sie nicht erreiche, kann ich das als Scheitern einord­nen – im Kleinen wie im Großen. Die entscheidende Frage ist aller­dings immer: Wie bewerte ich das, was mir widerfahren ist? Die Frage der Bewertung hilft dabei, den richtigen Maßstab zu finden; es ist immer eine Auslegungssache, ob ich etwas als gelungen oder miss­lungen erachte.«

 

Erst das Tal der Tränen, dann der Neustart

»Was hast du durch deine Erfahrung des Scheiterns gelernt?«

»Wenn ich eine wirklich große Krise durchmache, komme ich an einen Punkt – ich nenne ihn das Tal der Tränen – an dem ich das niedergeschlagene Gefühl zulasse und mich diesem Gefühl hin­gebe. Nur durch das Zulassen dieses Gefühls kann ich loslassen, nach vorne blicken und einen Neustart wagen. Wenn ich nicht loslasse, hat es keinen Sinn, sich direkt in etwas Neues stürzen zu wollen. Das ist in Beziehungen, im Unternehmertum und in allen anderen Bereichen gleich. Ich muss erst den Raum schaffen, et­was Neues entwickeln zu können, und das gelingt mir nicht, wenn ich noch viele Altlasten mit mir herumschleppe.«

»Eigentlich müssten wir doch gerade in Deutschland eine besondere Sensibilität für das Thema Scheitern haben, nachdem wir im letzten Jahrhundert eine zweite Chance erhalten haben und uns wieder auf die Beine geholfen wurde. Wieso ist, vor allem bei Insolvenzen, eher das Gegenteil der Fall?«

»Wir haben hier in Deutschland leider einen anderen Ansatz, was das Thema Scheitern, vor allem finanziell und unternehmerisch, betrifft. Wir sprechen von Schulden, Schuldnern und Schuld, die wir auf uns nehmen und durch die wir uns schuldig machen kön­nen. Deswegen ist das Insolvenzrecht in Deutschland auch im Strafrecht verwurzelt. Eine zweite Chance zu bekommen, ist in Deutschland unheimlich schwer – da werden einem viele, viele Steine in den Weg gelegt. Und das ist, wie du schon sagtest, in­teressant, wenn man bedenkt, dass unserem Land nach einem großen Scheitern auch eine neue Chance eingeräumt wurde.

 

Angelsächsische Behörden helfen, schnell wieder auf die Beine zu kommen

In England und Amerika wird mit dem Thema zum Beispiel ganz anders umgegangen. Da helfen dir die Behörden dabei, möglichst schnell wieder auf die Beine zu kommen. Der Blick auf jemanden, der mit einem Vorhaben gescheitert ist, ist ein ganz anderer. Ich wurde hier aus der Bank rausgeworfen, als ich ein neues Konto nach der Insolvenz eröffnen wollte. Du bekommst hier fast das Gefühl vermittelt, du wärst ein Krimineller. Und das ist natürlich tödlich, weil wir dadurch hochbegabte Menschen mit tollen Grün­dungsideen vergraulen, weil die sich sagen: ›Wenn das nicht klap­pen sollte, dann zeigen die Leute mit dem Finger auf mich und ich kann erst einmal sechs Jahre lang keinen Neustart machen.‹

Kein Wunder, dass große Innovationen in unserem Land vermehrt aus­bleiben und wir dafür primär ins Silicon Valley schauen müssen. Die Risikobereitschaft ist nun einmal eine andere, wenn ich weiß, dass ich im Falle eines Scheiterns anders aufgefangen werde. Es hemmt Menschen, sich zu verwirklichen und sich zu entfalten, da sie wissen, was ihnen blühen könnte. Dadurch leben viele Men­schen unter ihrem Potenzial und gehen den sicheren Weg, statt ihre kühnsten Träume zu verfolgen. Es wäre sicherlich nicht ver­kehrt, sich zumindest eine kleine Scheibe vom amerikanischen Ansatz des Scheiterns abzuschneiden. Wenn du da einmal hin­fällst, heißt es: »Okay, what’s the problem? Dann mache ich halt etwas anderes.‹«

»Welche Erkenntnisse können wir deiner Erfahrung nach durch das Scheitern ziehen?«

»Misserfolg ist eine große Reflexionsmöglichkeit. Ich sah mich plötzlich gezwungen, mir die Fragen zu stellen: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr länger der angesehene Geschäftsführer bin? Wor­über definiere ich mich eigentlich? Das Wichtigste ist, im Schei­tern keine Opferrolle einzunehmen, denn dadurch wird sich nie etwas verändern. Ich habe so nie das Steuer selbst in der Hand und kann nie fragen: Was kann und werde ich an dieser Situation ändern?

 

Den Wind kann man nicht ändern, aber die Segel darf man selbst neu ausrichten

Als Erstes kann ich meine Einstellung der Situation ge­genüber umkrempeln. Ich muss sie akzeptieren, um eine andere Perspektive und Bewertung gewinnen zu können. Es hilft, das Gu­te im Schlechten zu suchen, weil es das Urteil ändert und eine Stärke schafft: Ich trauere dem Vergangenen nicht mehr nach, sondern schaue nach vorne und richte den Blick auf das, was mir erhalten geblieben ist. Den Wind kann ich nie ändern, aber die Segel darf ich selbst neu ausrichten.«

»Ich habe ab und zu das Gefühl, dass Scheitern so ein bisschen in Mo­de geraten ist, ganz nach dem Motto: dream big, fail big, live big. Muss ich einmal richtig gescheitert sein, um Erfolg haben zu können?«

»Ich bin dagegen, Scheitern auf ein Podest zu heben und zu sagen: Es ist total geil zu scheitern. Das ist Quatsch. Es tut weh, wenn man scheitert. Ich bin ein Freund davon, aus Fehlern zu lernen, aber nicht davon zu sagen: Scheitere ruhig erst einmal richtig und danach wird es schon klappen. Du kannst 20 Mal scheitern, ohne etwas daraus zu lernen. Und du kannst Erfolg haben, ohne jemals selbst richtig auf die Schnauze gefallen zu sein. Das Scheitern hat keinen Wert an sich; es geht darum, was wir aus der Erfahrung machen und wie wir damit umzugehen lernen. Klar kann es uns deutlich stärker und resistenter machen, aber es ist keine notwen­dige Erfolgsbedingung. Natürlich wird jeder Mensch, der große Ziele verfolgt, auch mit Rückschlägen und kurzzeitigem Misser­folg konfrontiert. Der Weg zum Erfolg ist nie linear. Der Schlüssel besteht darin, die richtigen Schlüsse aus dem Scheitern zu ziehen und dann stärker zurückzukommen.«

 

Die neue Tür finden

Wer zu den Besten zählen will, muss bereit sein Wagnisse einzugehen. Nach jedem Rückschlag, jedem Straucheln oder jeder Verletzung ist es entscheidend, danach stärker oder reflektierter zu sein als zuvor. Wie Nobelpreisträger Samuel Beckett schrieb: »Immer versucht. Im­mer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« Nur wie gelingt uns das?

 

Sich nicht abhalten lassen, trotzdem handeln – das macht Erfolg aus

Die Angst vor dem Scheitern paralysiert. Wer Gro­ßes wagt, geht automatisch gewisse Risiken ein und nimmt die Bruchlandung in Kauf. Sich davon nicht zurückhalten zu lassen und trotzdem zu handeln, macht erfolgreiche Millennials aus.

Unter dem Strich zählt weder der Kritiker noch der Kommentator. Es geht um das, was Theodore Roosevelt in dem Zitat sagt, das zu Be­ginn dieses Buchs abgedruckt ist:

»Die Ehre gebührt dem […], der sich irrt, wieder und wieder scheitert, weil es kein Fortkommen ohne Irrtum und Fehler gibt; […] der für eine Sache, die es wert ist, alles gibt; der im besten Falle schließlich den Triumph einer großen Leistung kennenlernt und im schlimmsten Fall scheitert, weil er Großes gewagt hat, so dass sein Platz niemals bei den kalten, furchtsamen Seelen ist, die weder Sieg noch Niederlage kennen.«

Wer aufgrund von Zweifeln oder aus Angst nie das tut, wofür sein Herz schlägt, der ist gescheitert. Jede Krise birgt die Chance, neue Potenzi­ale zu entdecken, Stärke und Rückhalt zu finden und als Person zu rei­fen. Es ist kein Zufall, dass die größten menschlichen Errungenschaf­ten, Kunstwerke, Symphonien und literarischen Werke aufgrund oder während einer besonders dunklen Phase entstanden sind. Nobelpreis­träger Daniel Kahneman hat in diversen Studien, die er in seinem anre­genden Werk Schnelles Denken, Langsames Denken genauer erläutert, gezeigt: Wir denken tiefgründiger, klarer und vernünftiger, wenn wir uns in einer eher melancholisch-reflexiven Phase befinden und ober­flächlicher, fehlerhafter und impulsiver, wenn wir zu euphorisch sind.

Das temporäre Scheitern nicht persönlich zu nehmen, von der Gold­fisch- in die Helikopterperspektive zu wechseln und Abstand zu ge­winnen, um reflektiert agieren zu können, ist die Grundlage dafür, nicht nur aufzustehen, sondern auch kraftvoll weiterzugehen.

 

Misserfolg als Antrieb

Den Antrieb, den uns eine Demütigung, eine Niederlage, eine Pleite oder eine andere Form des Scheiterns ermöglichen kann, ist von un­messbarem Wert. Paula Schwarz verglich es mit einem Tumor, der ge­fühlt in ihrem Nacken saß, der sie zu unmenschlichem Tatendrang an­trieb. Aus dem Misserfolg einen Erfolg, aus der Schwäche eine Stärke machen zu wollen, war schon immer einer der größten Antriebe des Menschen. Ein Mangel will ausgeglichen werden – das lehrt uns nicht nur Emerson in seinem Essay über die Kompensation und Aristoteles in seinem Werk Physik, sondern auch die Natur und der Körper (zum Beispiel Wärmeübertragung oder Energiehaushalt). Chris Tall nutzte beispielsweise seinen schwärzesten Auftritt als Motivationsquelle und hat eine wichtige Lektion gelernt: sich nie aus dem Konzept bringen zu lassen, egal wer vor ihm sitzt.

Anne Koark und Attila von Unruh berichteten beide, dass die große Bruch­landung sich so bescheiden anfühlt, dass es sich kaum in Worte fassen lässt. Doch sie haben es geschafft, sich davon zu erholen, sie sind wieder auf die Beine gekommen und erkannten, dass das Leben weitergeht. Das half ihnen dabei, sich einer Sache zu entledigen: der Angst, dass wieder etwas schiefläuft. Dadurch haben sie Vertrauen gefasst, auch zukünftige Rückschläge und Krisen meistern zu können. Was sie früher kurzzeitig aus der Bahn geworfen hätte, lächeln sie heute weg. Wem jedoch immer eine heile Welt vorgespielt wird – was Anne an der gängigen Erziehung bemängelt und was Simon Sinek als eine der Hauptursachen der Millen­nial Question ausmacht –, der kann an der kleinsten Krise zerschellen, weil er darauf schlichtweg nicht gut genug vorbereitet ist.

Es lassen sich zwei Formen des Scheiterns unterscheiden, wobei nur ei­ne unsere Widerstandsfähigkeit stärkt. Die Erste hat Attila als das größte Scheitern überhaupt identifiziert: auf den perfekten Moment (Kairos) zu warten oder aus Unsicherheit zu zögern und in der Folge nie ins Handeln zu kommen. Von diesem Scheitern können wir rein gar nichts lernen und das Einzige, was dadurch erreicht wird, ist das Begräbnis unseres Traums.

 

Wolf Schneider: „Qualität kann immer nur von Qual kommen“

Die zweite Form des Scheiterns trifft immer nur den, der sich traut, Dinge auszuprobieren, weit außerhalb seiner Komfortzone, und der dabei immer wieder hinfällt. Dieses Scheitern schmerzt zwar auch, doch es stärkt zugleich: Es stärkt den inneren Glauben, die Zuversicht, den rechten Pfad für das eigene Vorhaben noch aufspüren zu können, und es bereichert den Erfahrungsschatz. Die Besten ihres Fachs sind diejeni­gen, die den schweren Weg gehen mussten, um dorthin zu kommen, wo sie gerade stehen. »Qualität kann immer nur von Qual kommen«, hat mir Wolf Schneider einmal gesagt. Diejenigen, die für ihr Tun kritisiert wur­den, deren Vorhaben belächelt und angezweifelt wurden, die gescheitert sind und trotzdem weitergemacht haben – einige ihrer Vertreter haben es in dieses Buch geschafft – ermutigen andere, ebenso konsequent und hartnäckig für die Verwirklichung ihrer Träume zu kämpfen.

 

Die Perspektive ändern und den Nutzen erkennen – nur nicht mit sich hadern

Essenziell für die Widerstandsfähigkeit ist die persönliche Einstellung. Wer mit sich selbst und dem Leben hadert, nur weil es mal nicht läuft wie erwartet oder geplant, kann nicht aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen. Wer sich als Opfer der Umstände identifiziert, gibt die Verantwortung für sein Leben aus der Hand. Das führt dazu, dass andere über seinen Weg bestimmen können. Wer will das schon? Niemand wird durch Zufall erfolgreich und keiner fällt ohne eigene Be­teiligung hin. Wer nur dem Lob für den Erfolg hinterherlechzt und die Kritik des Misserfolgs um jeden Preis meiden will, ist des Scheiterns Lieblingsopfer.

Bei der Einordnung des Rückschlags spielt die Einstellung eine zen­trale Rolle und sie ist ein ausschlaggebender Faktor, um sich wieder aufzurappeln. Lencke Steiner beispielsweise nimmt Scheitern weder allzu ernst noch persönlich. Sie ist überzeugt davon, dass sich eine bessere Möglichkeit für sie auftun wird. Wer sich wie sie nicht klein kriegen lässt, weil er überzeugt ist, auf ihn warte noch etwas Besseres, zeigt das in seinem Handeln wie in seinem Auftreten. Wer hingegen glaubt, das Schicksal sei gegen ihn, steckt den Kopf schneller in den Sand und wagt es nicht, sich erneut aufzuraffen.

Die Stärke der jungen Überflieger liegt darin, aus ei­nem Scheitern eine Trotzreaktion zu katalysieren, die sich oft als Ursprung des nächsten großen Sprungs entpuppt.

 

Dem eigenen Plan treu sein und sich nicht immer vergleichen

Bei einem Gespräch mit Dr. John Demartini meinte er zu diesem Thema:

»Die meisten Menschen, die sich als gescheitert ansehen, ver­gleichen sich zu viel. Wenn wir unserem eigenen Plan treu sind, können wir nicht final scheitern, weil wir immer wieder aufstehen und weitermachen. Ich stelle mir bei jedem Rückschlag die Frage: ›Wieso ist das in meinem Leben passiert? Was ist die Botschaft für mich? Wie hilft es mir in Zukunft dabei, meine Ziele zu erreichen und meinen Plan umzusetzen?‹ Oft werden wir mit Rückschlägen und Kritik konfrontiert, wenn wir zu euphorisch sind, abheben, uns stolz fühlen. Dann müssen wir zwangsläufig wieder geerdet werden. Wenn wir uns selbst erhöhen, kommt immer jemand oder es pas­siert etwas, das uns wieder ausgleicht. Wenn wir einfach nur unse­ren Plan verfolgen, ohne uns ablenken zu lassen, ohne zu sehr auf uns selbst zu schauen und ohne uns nach Anerkennung und Lob zu sehnen, dann sind wir automatisch ausgeglichen und brauchen niemand anderen, der uns von unserem Höhenflug runterholt.«

 

Grösser als das Scheitern sein

Drei Dinge möchte ich abschließend festhalten:

1.                  Die Zeit ist immer reif, uns einem Traum zu widmen, der uns so viel bedeutet, dass wir jegliche Angst vor einem möglichen Miss­erfolg verlieren. Rückschläge wird es immer geben, doch wenn uns die Verwirklichung unserer Ziele wirklich wichtig ist, ist Aufhören schlichtweg keine Option.

2.                  Die Art der Motivation ist der Schlüssel. Wenn wir eine Sache nur wegen der Anerkennung, des Applauses, der Verkaufszahlen, der positiven Kritiken machen, können wir damit nur scheitern. Unsere Einstellung ist entscheidend, also wie wir unsere Aufgaben und an Herausforderungen herangehen. Es liegt allein in unserer Hand. Wenn wir unseren Erfolg von anderen und deren Meinung abhän­gig machen, führt das nur zu emotionaler Labilität und innerer Unzufriedenheit. Wir können nach einem Rückschlag nur aufste­hen und noch stärker zurückkommen, wenn wir davon angetrieben werden, unsere eigenen Standards zu erfüllen und unser Bestes zu geben. Dann lassen wir die Welt entscheiden, was sie damit anfangen will – allerdings ohne uns davon aus der Spur bringen zu lassen. Lob und nette Worte sind schön, aber sie dürfen nicht über unseren Erfolg oder unser Scheitern entscheiden.

3.                  Übermäßiger Stolz kann das Scheitern zu einer endlosen Prozedur machen. Nur wer sich traut, nach einem Rettungsring zu rufen, wenn es brenzlig wird, kann das rettende Ufer erreichen. Zu glauben, immer stark sein zu müssen, bewirkt das Gegenteil. Ein Scheitern verbergen zu wollen, macht es nur schlimmer. Hinfallen ist für jeden unangenehm, kein Zweifel. Die Frage ist nur: Wollen wir wie Andreas Kunze ein Learning-Buch führen, um daraus zu lernen? Wollen wir wie Lencke Steiner den größeren Nutzen und die bessere Option sehen, die noch auf uns wartet? Wollen wir wie Andreas Wolff genau deshalb noch eine Schippe drauflegen? Oder wollen wir so tun, als wäre nichts, und auf diese Weise ein noch größeres Übel erzeugen, das uns weit länger begleitet als nötig?

 

Impulse der Überflieger und Tiefflieger

••»Es ist okay, Fehler zu machen, das macht Menschsein aus. Es geht darum, was man daraus macht und wie man damit umgeht. Shit happens – aber nur selten zweimal am selben Ort. Wenn etwas schiefgelaufen ist, weiß man, woran man arbeiten muss und wie man besser werden kann.« Anne Koark

••»Ich würde jedem raten, trotzdem sein Ding zu machen und es zu versuchen, auch wenn es scheitern kann. Meiner An-sicht nach ist es immer noch besser, es versucht zu haben, als immer auf Nummer sicher zu gehen. Leute, die zurückblicken, bereuen am meisten, ihr Leben nicht gelebt zu haben. Und das ist für mich das größte Scheitern.« Attila von Unruh

••»Ich sehe Fehler und Niederlagen nicht als deprimierend an und glaube, dass jeder Stein, der mir in den Weg gerollt wird, auch als Meilenstein zu sehen ist – daraus kann ich etwas Neues basteln. Schwierige Phasen ermöglichen immer auch einen anderen Blickwinkel einzunehmen.« Lencke Steiner

 

 

 

 

 

 

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