Buchauszug Paul Sahner: „Ich hatte sie fast alle – Die Geheimnisse eines Promireporters“

Buchauszug Paul Sahner: „Ich hatte sie fast alle – Die Geheimnisse eines Promireporters“

Paul Sahner galt als „Gottvater der Intimbeichte“, schrieb die „taz“. Er hatte in seinem Leben über 3.000 Interviews geführt bei „Bild“, „Bunte“, „Hörzu“, „Abendzeitung“, „Stern“ und als Chefredakteur von „Penthouse“. Vor zwei Jahren starb Sahner und hatte an dieser Biographie bis zuletzt gearbeitet.

Viele seiner Interviews habe ich gelesen – weil sie von Sahner waren, selbst wenn mich der Interviewte zunächst mal nicht besonders interessierte. Bei Sahner wurde jeder interessant,  Immer wieder habe ich mich gefragt, wie er es angestellt hat, dass ihm Promis – meist gewiefte Leute – so viel von sich preisgaben und dass sie diese Offenbarungen vor allem auch im Nachhinein stehen ließen. Dass sie bei Sahner nicht so feige waren wie viele Interviewte, die bei Vorlage und Zitatabstimmung ihrer Aussagen plötzlich einen Rückzieher machen. Nach dem Motto: Ja, habe ich gesagt, ist auch richtig, aber gedruckt will ich es nicht sehen. Kurz: Autorisierung? Och, lieber nicht.

Sahner passierten diese Vetos offenbar auch seltener als anderen. Eins seiner berühmtesten Interviews war das für die „Bunte“ auf Mallorca mit Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping und der Anwältin Gräfin Kristina Pilati  – während die Bundeswehr gleichzeitig Militäreinsätze in Mazedonien hatte.

 

http://www.spiegel.de/panorama/liebesgruesse-aus-mallorca-neckische-wasserspiele-mit-minister-scharping-a-151457.html

http://www.n-tv.de/leute/Rudolf-Scharping-und-Graefin-trennen-sich-article16866231.html

Paul Sahner (Foto: Presse)

Paul Sahner: „Ich hatte sie fast alle – Geheimnisse eines Promireporters“ , Blanvalet Verlag, 384 Seiten, 15,99 Euro  https://www.randomhouse.de/ebook/Ich-hatte-sie-fast-alle/Paul-Sahner/Blanvalet-Hardcover/e479395.rhd

 

 

Ich, Chef!

Nachdem ich Socki versorgt hatte, ließ ich mich am Küchentisch nieder, richtete den Blick durch das Fenster auf die Berge und begann ihr zu erzählen. Ganz klassisch. Geboren wurde ich am 21. Juni im Jahre 1944 in Westfalen, in einer kleinen Stadt namens Bockum-Hövel. Meine Mutter Elisabeth war sehr fromm, las jeden Tag in der Bibel, spielte Marienlieder auf dem Klavier. Am Sonntag gingen wir in die Kirche. Ich musste immer mit meinen Schwestern mitgehen, in meinem schwarzen Kommunionsanzug, weißes Hemd, die Krawatte fest geknotet, die Schuhe blitzblank poliert. Ich schämte mich.

Walter, mein Vater, war sehr streng. Als preußischer Finanzbeamter hatte er eine trockene Art, aber er verstand es, Kritik und Tadel sachlich anzuwenden, und sprach mit mir von Mann zu Mann, nicht wie von Vater zu Sohn. Das gefiel mir, denn so gab er mir die Möglichkeit zu begreifen, warum er oft anderer Meinung war. Er fügte zu seinen Argumenten stets hinzu: »Überlege es dir noch einmal gründlich.«

»Überlege es dir noch einmal gründlich«, sagte nun auch Socki und sah von ihrem Napf auf. Da war etwas Zwingendes in ihrem Blick, das mich innehalten ließ. Wer jemals behauptet hat, ich hätte in meinen Interviews etwas geradezu Hypnotisches, um meinen Opfern pikante Details zu entlocken, der kennt Socki nicht.

»Du hast also vor, den Leuten von deinem schillernden Leben zu erzählen«, resümierte sie. »Schön und gut. Ich will dir keineswegs zu nahe treten, aber wäre es nicht ungleich besser, um nicht zu sagen authentischer, dein Leben im Spiegel eines Weggefährten zu betrachten …?«

Ich hatte keine Ahnung, worauf sie mit ihrem Gemaunze hinauswollte. »Ich muss wohl deutlicher werden«, sagte Socki denn auch. »Geschichten von Mutter und Vater anno 44 sind ja ganz nett, aber da ist mehr drin. Um mit unserem gemeinsamen Freund Reich-Ranicki zu sprechen: ›Ich muss nörgeln.‹ Mit ein bisschen Kalbsleber ist es da nicht getan.«

Ich seufzte leicht ungehalten, was Sockis Redefluss jedoch nicht aufhalten konnte. »Sieh es mal so. Wenn du beispielsweise mich deine Biografie erzählen ließest, würdest du nicht als Paul Sahner, Reporter, in die Geschichte eingehen, sondern zugleich als Entdecker junger, vielversprechender Talente, Begründer einer neuen Art Literatur …« Ihr Blick bekam etwas Visionäres, dann fuhr sie unbeirrt fort. »Und überhaupt. Der Mensch kann nicht immer nur an sich denken. Auf dem Zenit seines Ruhmes gilt es, die Begabung anderer anzuerkennen und ihnen den Stift in die Hand zu drücken. Oder in die Pfote.«

Darauf lief es also hinaus. Wie so oft wusste ich mich gegen Sockis Argumentation nicht zu wehren. In meinem Berufsleben habe ich Tausende von Interviews geführt, etliche Skandale enthüllt und manche verschwiegen. Ich habe recherchiert, verblüfft, polarisiert, wurde verklagt, gehasst, hofiert und geliebt. Im persönlichen Gespräch ist es mir gelungen, Zugang zu den unterschiedlichsten Menschen zu finden. Manchmal habe ich auch von mir erzählt, wenn es der Sache dienlich war, denn Offenheit schafft eine Basis des Vertrauens, sie verbindet. Und doch habe ich immer eine gewisse Distanz zur Prominenz gewahrt. Nicht wenige haben sich über die Jahre hinweg gefragt, wer der Mann hinter der Schreibe ist, dem alle so bereitwillig ihre intimsten Geheimnisse beichten.

Nun aber, wo ich tatsächlich mal über mein eigenes Leben zu erzählen begann, unterbrach mich ausgerechnet meine Katze. Ich ahnte schon die Headlines: »Sahner wird senil. Biografie von der Katze verfasst.« Oder: »Andere in seinem Alter kommen wenigstens auf den Hund.« Oder am Ende gar: »Typisch Sahner: Alles für die Katz!«

Wer Katzen kennt, weiß, dass man ihnen nichts abschlagen kann. Und Socki hatte gar nicht mal unrecht. Schreiben, das liegt ihr im Blut. Mehr als vielen, die es täglich tun, davon können Verlage ein Lied singen. In der Tat hatte sie ihr Talent schon zu einem früheren Zeitpunkt unter Beweis gestellt, genauer gesagt mit einem Leserbrief anlässlich eines Stern-Beitrags vom 15. November 2012.

 

Sockis Stern-Leserbrief

Die Redaktion vom Stern hatte mal wieder ein Titelstoryproblem, genau wie BUNTE. Es war Montag. BUNTE entschied sich wie meistens, wenn Not an knackigen Themen herrscht, für einen Titel mit Caroline. Monaco, das lief bisher immer gut. Diesmal fand sich für die Nr. 47 vom 15. November 2012 im Archiv ein strahlendes Foto. Caroline mit Diadem, besetzt mit funkelnden Diamanten. Genauso glänzte die Headline: »Sie stiehlt Charlène die Show«.

Der Stern Nr. 47 spekulierte mit großartigem Katzencover auf die Kauflust von zwölf Millionen deutscher Katzenbesitzer und gewann das Rennen in den Zeitungsläden am Donnerstag. Der Titel: »Geliebtes Biest«. Unterzeile: »Haustyrann und Seelentröster. Die wundersame Zuneigung der Deutschen zu ihren Katzen.«

Socki rümpfte die Nase, als sie BUNTE mit der monegassischen Prinzessin auf dem Küchentisch sah, schnappte sich den Katzen-Stern und machte es sich auf der Terrasse mit Blick auf den Wilden Kaiser bequem. Sie verzog sich hinter ihrem winzigen Sonnenschirm, putzte ihre Sonnenbrille und wollte nicht gestört werden.

Sie las, anfangs begeistert. »Ich, Chef!« Auf einem Foto riss eine Katze ihr Maul wie ein Tiger auf, auf dem nächsten zermalmte ein liebliches Kätzchen einen Singvogel. Ein anderes ließ einen blauen Luftballon vom Bett aus gegen die Zimmerdecke steigen. Schließlich sah man noch einen gestreiften Katzenschwanz unter einem Schrank hervorlugen.

Socki gähnte gelangweilt. »Mein Dasein ist viel spannender als dieses dämliche Frauchen- und Herrchengeprahle. Ich werde den Menschen vom Stern jetzt einen gepfefferten Leserbrief über mein Leben schreiben.« Sie begann mit ihren flinken Krallen auf Martinas iPad zu hämmern. Nach zehn Minuten schob sie mir erwartungsvoll ihre Zeilen herüber. Dem Leuchten meiner Augen entnahm sie, dass ihr ein kleiner Wurf gelungen war.

Ich füllte den Rest Kalbsleber in ihren Napf. Am Montag, den 12. November 2012 rief ich meinen Freund und Kollegen Andreas Petzold an, einen der beiden Chefredakteure des Stern.»Grüß dich, Andy, meine seltsame Katze hat sich in den Kopf gesetzt, dass sie den Leserbrief, den sie am Wochenende verfasst hat, veröffentlicht haben will.« Petzold cool: »Dann soll sie ihn mir mailen.«

Socki, die selbstverständlich über ihre eigene Mailadresse verfügt, ließ ihre Pfoten über die Tastatur springen. Minuten später rief Petzold zurück: »Echt geil, wir haben uns kaputtgelacht. Sag deiner Katze, es wird der längste Leserbrief, den der Stern seit dem Ausscheiden von Henri Nannen veröffentlicht hat. Wir hauen eine Anzeige auf eine andere Seite.«

Drei Tage später stand es im Stern zu lesen: Ich bin eine italienische Wildkatze und heiße Socki. Für Berlusconi, mein früheres Herrchen, musste ich einst scharfe Mäuse anschleppen und dann auch noch selber Bunga Bunga tanzen. Bäh! Ich riss also aus, streunte von Mailand runter in die Toskana. Dort adoptierte mich Martina, mein neues Frauchen. Ich begleitete sie nach München, wo ich seit sechs Jahren lebe. Mein neues Herrchen hat auch schon über Berlusconi geschrieben. Er ist Journalist. Und weil er wollte, dass ich seine Geschichten verstehe, besonders die ungedruckten, brachte er mir lesen bei. Manche Storys zerriss ich, weil sie mich interessierten wie feuchter Mäusedreck. Doch eines Tages kam er nach Hause mit der Wahnsinnsstory eines Hamburger Magazins.

Auf dem Titel streckte mir eine Katze die Zunge raus. Ätsch. Echt geil. Ich verspürte sofort Lust. Es war wohl ein Kater. »Geliebtes Biest«, stand darunter, und mein Herrchen schlug die Seite 110 auf, denn er hatte mir zwar Lesen, aber nicht Blättern beigebracht. Hach, war das lustig! Ich las von meiner Kollegin Penny, die rasend, wenn alle weg sind, »vergnüglich per Bewegungsmelder die Alarmanlage auslöst«.

So what, dachte ich und erinnerte Frauchen und Herrchen daran, wie ich kürzlich dem frechen Nachbarkater, Herrn Schmidt, die Zündholzschachtel abgejagt hatte, als er gerade unser schönes Bauernhaus abfackeln wollte. Dann las ich von Frau Müller, die ihrem Frauchen Julia in die Schuhe pinkelt, »und zwar in alle«, wenn sie das Haus verlässt. Das frustrierte mich. Warum schreibt denn, verdammt noch mal, keiner darüber, dass ich meine Menschen bescheiße, wenn sie mir statt frischer Kalbsleber fetten Tofu unterjubeln wollen.

Auch meine Kollegin, die eine schützende Plastikfolie zerkratzt, um auf Frauchens Matratze zu pinkeln, kann noch von mir lernen. Zum Beispiel, dass man sein Geschäft erst dann verrichtet, wenn Frauchen und Herrchen im Bett liegen. Affenkatzengeil allerdings fand ich die Geschichte über Menschen, die unsere Gewohnheiten so lieben, »dass sie seit 20 Jahren jeden Donnerstag den Stern lesen, nur um uns nicht zu verwirren«. Hey, das entlockte mir aber ein fröhliches Miau-miau-miau, fast hätte ich sogar vor Freude gepupst, weil mein Herrchen mir donnerstags auch immer nur die BUNTE gibt, um mich nicht zu verwirren. Nein, das habe ich mir jetzt nur so ausgedacht. Aber alles andere stimmt.

Socki Sahner, Lanzing

Seit ihrem Leserbrief meint Socki jedenfalls, sie sei ein aufsteigender Stern am Journalistenhimmel. Einmal den Namen gedruckt sehen und schon Starallüren. Sie hat sich sogar Premium-Businesskarten anfertigen lassen: Socki Sahner – Freelancer: spezialisiert auf knifflige Fälle. Was sollte ich tun? Ihr Anliegen, meine Biografie zu schreiben, ignorieren? Ihr Talent verkümmern lassen? Oder sie ranlassen an den Text und es mir mit den Katzenhassern verderben?

»Du hast eh keine Wahl«, sagte sie charmant, wenn auch bestimmt, und spreizte die Pfoten, sodass ihre kleinen, scharfen Krallen sichtbar wurden. Doch es war nicht die subtile Androhung von Gewalt, die mich kapitulieren ließ, sondern der fuchsige Blick, gepaart mit der samtenen Stimme. Von wem sie sich das wohl abgeguckt hat …

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/paul-sahner-nachruf-auf-den-bunte-reporter-a-1037708.html

http://www.n-tv.de/leute/Rudolf-Scharping-und-Graefin-trennen-sich-article16866231.html

 

 

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