Vince Ebert: Freiheit oder Firmenwagen

Erschienen in der „Absatzwirtschaft“ Nr. 03 vom 14.03.2017 Seite 116 / Kolumne – Der Herausgeber der „Absatzwirtschaft“, Georg Altrogge hat sie ausnahmsweise freigeben für den Management-Blog, vielen Dank!

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Freiheit oder Firmenwagen

Vince Ebert

Junge Menschen wollen Freiheiten und keine Bonussysteme. Das müssen Unternehmen verstehen, wenn sie erstklassigen Nachwuchs für ihre Organisationen gewinnen wollen
Vor einiger Zeit kam ein großer deutscher Konzern auf mich zu und wollte mich für einen humorvollen Vortrag auf einer seiner firmeninternen Veranstaltungen buchen. Einem Kick-off zum neuen Jahr mit den 200 wichtigsten Führungskräften. Thematisch sollte ich vor allem über Innovationsfähigkeit und Kreativität sprechen.

Wie üblich gab es im Vorfeld ein telefonisches Vorgespräch, in dem wir die wichtigsten inhaltlichen Punkte besprachen: Mitarbeitern Freiheiten geben, Raum für Experimente lassen, Kontrollverlust hinnehmen, etc. etc. Am Ende der Telefonkonferenz schloss der Kommunikationschef des Unternehmens mit dem Satz: „Sie schicken uns dann bitte Ihren detaillierten Redetext zu, damit wir sichergehen können, dass da nicht gewisse Grenzen überschritten werden …“

 

Redemanuskript freigeben wollen – nein, danke

Sie merken die Ironie in der Geschichte: Man wünscht sich eine Keynote über geistige Freiheiten, über Mut und Eigenverantwortung und versucht sie vorab mit ängstlichem Kontrollwahn in politisch korrekte Bahnen zu lenken. Als ich daraufhin meinte, dass ich mein Manuskript in der Regel nicht herausgebe, antwortete er mir: „Also, wenn das jetzt eine Frage des Geldes ist, können wir natürlich noch einmal über Ihre Gage reden …“ Genau das war dann auch der Punkt, an dem ich meine Teilnahme abgesagt habe.

 

Mitarbeiter wie unmündige Kinder behandeln – aber vollmundig nach den Kreativen krähen

Das Gespräch steht sinnbildlich für ein Dilemma, in dem sich viele Angestellte in Konzernstrukturen befinden. Normalerweise betreiben Unternehmen einen irrsinnigen Aufwand, um hochklassige, selbst denkende Mitarbeiter zu finden. In aufwendigen Vorstellungsgesprächen und Assessmentcentern ködert man sie mit der Möglichkeit, im Job ihre kreativen Potenziale voll auszuleben. Doch sobald sie dann den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, behandelt man sie wie unmündige Kinder.

Viele Nachwuchskräfte lassen sich das nicht mehr bieten. Unter jungen Topkräften regt sich massiver Widerstand. Brillante Hochschulabsolventen lassen sich immer weniger mit monetären Anreizsystemen wie Bonussystemen oder Firmenwagen locken. Die wollen Freiheiten. Wer dazu noch auf die Idee kommt, den Firmenserver ab 18 Uhr und an Wochenenden abzuschalten, der kann dann eben nur noch aus Bewerbern mit Beamtenmentalität wählen. Menschen, die lieber über Sicherheit, Frühverrentungen und Kündigungsschutz reden als über Leidenschaft, Eigeninitiative und Risiko.

Zurzeit machen wir uns ja viele Sorgen, dass Hunderttausende Menschen ohne adäquate Schulbildung in unser Land immigrieren. Was allerdings selten erwähnt wird: Pro Jahr verlassen 140 000 Deutsche dieses Land. Und die sind meist hochgebildet. Die gehen, weil sie sich in anderen Ländern mehr Möglichkeiten erhoffen: in Kanada, in den USA, in Australien. Die sind nicht links, nicht rechts, nicht grün. Die sind so liberal, dass es selbst der FDP schlecht wird.

 

Unsere eigene Einstellung schwächt unsere Wirtschaft

Es ist nicht die Flüchtlingskrise, was unsere Wirtschaft entscheidend schwächen kann, oder der Innovationsdruck durch das Silicon Valley. Es ist einzig und alleine unsere innere Einstellung. Kodak, Nixdorf, AEG, Grundig – all diese Konzerne sind lange vor der Digitalisierung und vor der Öffnung der EU-Grenzen untergegangen. Weil sie unflexibel, bürokratisch und selbstgefällig wurden.

Unternehmen, die wirklich zukunftsfähig sein wollen, müssen sich überwinden, Fragen zu stellen, die richtig wehtun: Sind wir als Arbeitgeber für die innovativen Leute interessant? Wie viel Kontrollverlust sind wir bereit hinzunehmen? Aus wie vielen angepassten Jasagern besteht unser Konzern? Haben wir uns dabei selbst mitgezählt? Und die vielleicht wichtigste Frage: Kann ich in unserem Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, wenn ich solche Fragen stelle?

Vince Ebert ist Physiker, Kabarettist und Keynote-Speaker. Seit September 2016
ist er mit seinem neuen Bühnenprogramm „Zukunft is the future“ auf Tournee.

Logo-Verwendung auf Wunsch der Absatzwirtschaft

 

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