Buchauszug: Marc-Stephan Daniels „Tough Talk – Die rhetorischen Spielregeln zum Überleben im Haifischbecken“

Buchauszug aus „Tough Talk – Die rhetorischen Spielregeln zum Überleben im Haifischbecken“ von Marc-Stephan Daniel. Tipps, wie man als Mitarbeiter, Kollege, Business-Partner mit Narzissten, Psychopathen und Wadenbeissern in Meetings umgehen kann, wie man sich durchsetzen kann.

 

Verfall der Gesprächskultur – Warum der Ton im Geschäftsleben rauer geworden ist

Der Mann ist unter Druck. Er steht vor Gericht und soll Auskunft über seine Finanzverhältnisse geben. Diese erteilt er freimütig. Roland Berger verlange von ihm 7,5 Millionen Euro, sein früherer Vermögensverwalter Josef Esch 2,5 Millionen Euro, der Insolvenzverwalter 3,4 Millionen Euro und die Bank Salomon und Oppenheim rund 70 Millionen Euro. Er selbst behauptet, Forderungen gegen andere in Höhe von 200 Millionen Euro zu haben. Eine solche unwägbare Finanzsituation würde Normalsterblichen den Schweiß ins Gesicht treiben. Nicht so »Big T«, wie Thomas Middelhoff einst von seinen Bewunderern genannt wurde.

 

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Marc-Stephan Daniel

Als sei diese Situation nicht schon Adrenalin fördernd genug, setzt er noch eins drauf. Genüsslich schildert er vor Gericht, wie er den Paparazzi entkommen sei, als der Gerichtsvollzieher an seiner Tür klingelte. Er habe sich wie »eine Katze übers Dach« geschlichen und sei so den Fotografen, die ihn »abschießen wollten wie Freiwild« entkommen. Nachdem eine zur Verfügung stehende Leiter zu kurz gewesen sei, sei er einfach aus dem Fenster gesprungen und durch den Hinterhof entkommen. Als er wieder festen Boden unter den Füßen gehabt habe, sei er »fröhlich pfeifend« in eine Nebenstraße gegangen und habe dort ein Taxi gerufen. Später sei er nach London geflogen.

 

„Big T“ alias Thomas Middelhoff: Das völlige Fehlen von Reue

Der Mann hat Nerven, diesen Eindruck hinterlässt »Big T« bei Beobachtern. Andere gehen in ihrem Urteil über Thomas Middelhoff noch weiter. Middelhoff genieße offenbar den Ritt auf dem Vulkan. Selbst als die Strafe, drei Jahre Haft ohne Bewährung, am Ende des Prozesses verhängt wird, ist sich Thomas Middelhoff keiner Schuld bewusst. Journalisten, die angereist sind, um über den Prozess zu berichten, bemerken das völlige Fehlen von Reue. So schreibt die Online-Ausgabe der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“:

 

»Seine Unfähigkeit zu unterscheiden zwischen dem eigenen Vorteil und dem Nutzen für die Firma brach ihm vor Gericht das Genick. Er hatte sich auf Kosten anderer bereichert, vielleicht sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein. Für so ein Verhalten sind unreflektierte Menschen anfälliger als andere. Aber erst die grenzenlose Bewunderung, die heute niemand mehr geteilt haben mag, macht aus solchen Leuten gefährliche Verführer. Nun hat Middelhoff alles verloren: Ruhm, Geld und Freunde.«

 

Cyan:Magenta:Yellow:Black

„Tough Talk: Die rhetorischen Spielregeln zum Überleben im Haifischbecken“ von Marc-Stephan Daniel, Wiley Verlag, 200 Seiten, 19,99 Euro: http://www.wiley-vch.de/de?option=com_eshop&view=product&isbn=9783527508846

Mindestens genauso starke Nerven, wenn nicht sogar noch bessere, bewies Bernard L. Madoff. Mehr als 30 Jahre hielt er in New York ein Finanz-Schneeballsystem am Laufen, das mindestens 60 Milliarden Dollar umfasste. Dieses Schneeballsystem fiel wie Pulverschnee in sich zusammen, als der Finanzcrash 2008 den dauernden Zufluss von frischem Geld unterbrach und er die Renditen an seine Kunden nicht mehr zahlen konnte. Als Madoff vom FBI abgeführt wurde und sofort gestand, brach für seine Anleger eine Welt zusammen. Madoff galt an der Wall Street als Institution, viele hatten geglaubt, dass er den Markt einfach besser durchschaut habe als sie selbst und daher im Stande gewesen sei, Renditen von bis zu zwölf Prozent zu zahlen.

 

Den Unterschied macht die Unverfrorenheit

Was Madoff von anderen Betrügern unterscheidet, ist die Unverfrorenheit, mit der er vorging. Während sein betrügerisches Schneeballsystem bereits im Gang war, forderte er härtere Kontrollen für die Akteure an der Wall Street. Doch damit nicht genug. Er setzte sich an die Spitze eines Gremiums, die NASD, welches die NASDAQ, die größte elektronische Börse in den USA, regulierte. Dieser Posten verhalf ihm zu enormer Reputation, ebenso sein großes finanzielles Engagement bei Wohltätigkeitsorganisationen, gemeinsam mit seiner Frau Ruth. Dieses Image des um Seriosität bemühten Finanzgenies, den gesellschaftliche Nöte nicht kalt ließen, machte ihn nahezu unangreifbar.

 

Gift fürs Unternehmen

Es gibt Menschen, die diese Typen mit Nerven aus Stahl bewundern. Andere nennen so ein Verhalten psychopathisch. Ich schließe mich denen an, die ein solches Gebaren im Business nicht nur als geschäftsschädigend, sondern auch als psychopathisches Verhalten einordnen. Den wirtschaftlichen Schaden, den solche Menschen verursachen, schätzt der Kriminalpsychologe Robert D. Hare in den USA auf einen mehrstelligen Millionenbetrag. In Deutschland fängt man gerade erst an, darüber nachzudenken, welchen Schaden solche Menschen in der Geschäftswelt anrichten. Diese Naivität gegenüber dem Phänomen halte ich für äußerst gefährlich.

 

Ellenbogen sind im Wettbewerb gefragt

Hare ist sich sicher, dass selbst führende Wirtschaftsberatungsunternehmen bei der Analyse der Ursachen, warum in einem Unternehmen etwas schief gelaufen ist, noch immer zu sehr auf die Strukturen des Unternehmens schauen. Stattdessen sollten sie in Betracht ziehen, dass möglicherweise Personen mit toxischen Eigenschaften dem Unternehmen mehr Schaden zugefügt haben könnten als ineffiziente Strukturen. Dabei steuern Menschen mit dieser Veranlagung sehr gerne Wirtschaftsunternehmen an. Sie fühlen sich von dem herrschenden Wettkampf in Wirtschaftsunternehmen geradezu angezogen. Ihr unübersehbares Dominanzgebaren stört dort nicht. Im Gegenteil. Ellbogen sind in der Wirtschaft gefragt.

 

Dass solche Menschen Nerven aus Stahl haben, wissen wir bereits. Doch welches Verhalten zeigen sie sonst noch? Was macht sie, bis sie vor dem Strafrichter sitzen, so erfolgreich? Experten nennen folgende Eigenschaften, mit denen Menschen mit psychopathischem Verhalten ihre Umwelt faszinieren, aber auch terrorisieren: Emotionsloses Agieren in Stresssituationen, unempfindlich gegenüber Angstgefühlen, präzises Erkennen von Schwächen anderer bei gleichzeitig mangelnder oder nicht vorhandener Empathie für ihre Mitmenschen, massives manipulatives Verhalten, übersteigertes Selbstwertgefühl, Narzissmus, notorisches Lügen, die Liebe zum Risiko und die Gier nach immer größeren Stimulanzien, schauspielerische Fähigkeiten, eine große Portion Charme und eine oft hohe Intelligenz.

 

Menschen, die Verwüstung hinterlassen – bei extremer Ich-Bezogenheit

Wer auf die Spur der Verwüstung schaut, die diese Menschen hinterlassen, wird mir Recht geben, dass nicht nur Menschen, die im klinischen Sinne das Vollbild eines Psychopathen aufweisen, gefährlich sind für ihre Mitmenschen, sondern auch die, die einige wesentliche Züge mit ihnen teilen, etwa die Narzissten.

Narzissten zeichnen sich durch eine extreme Ich-Bezogenheit aus. Sie sind schnell gekränkt, wenn ihr Selbstbild durch Kritik – auch wenn es sich um sachliche Kritik handelt – erschüttert wird. Das trifft auf Menschen mit psychopathischem Talent nicht zu; sie sind durch Kritik nicht zu erschüttern. Letztere sind gefühlskalt, Scham kennen sie nicht. Bei Narzissten hingegen spielen Schamgefühle eine große Rolle, weil ihnen ihre Wirkung auf andere außerordentlich wichtig ist. Anders als Menschen mit psychopathischen Verhaltensweisen, können Narzissten jedoch Gefühle entwickeln und durchaus Bindungen zu ihren Mitmenschen aufbauen, zumindest wenn diese ihr Ego stärken.

Menschen, die ein psychopathisches Verhalten zeigen, sind dazu nicht in der Lage. Die Bindung an andere Menschen ist bei ihnen immer oberflächlich, auch wenn sie Gefühle wie Freundschaft und Liebe hervorragend vorgaukeln können. Leider sind Menschen vom Schlage eines Madoff keine Einzelfälle, wenn auch die finanzielle Dimension nicht immer die Milliarden-Marke überschreitet. Dennoch sind die Schäden, die solche Menschen anrichten, immer verheerend – finanziell, menschlich und nicht zuletzt auch gesundheitlich.

 

Jeder zehnte Chef hat psychopathische Tendenzen

Neueste Untersuchungen gehen davon aus, dass Menschen mit psychopathischer oder narzisstischer Persönlichkeit drei- bis viermal so häufig in Chefsesseln sitzen als Menschen mit normaler Persönlichkeitsstruktur. Experten schätzen, dass etwa vier Prozent der Bevölkerung Narzissten sind und etwa ein bis zwei Prozent Psychopathen. Deren Anteil an Führungspositionen beträgt etwa sechs Prozent. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass jede zehnte Führungskraft psychopathische Tendenzen hat. Die genannten Zahlen sind nur sehr vorsichtige Schätzungen, vermutlich ist der Anteil an der Gesamtpopulation deutlich höher und wächst stetig, denn psychopathisch veranlagte Personen pflegen erfahrungsgemäß viele sexuelle Beziehungen und zeugen eine große Anzahl von Kindern.

 

Wer darunter leidet als Mitarbeiter, suchen nach Gegenstrategien

Da die Forschung heute davon ausgeht, dass Vererbung bei einer psychopathischen Veranlagung eine wichtige, wenn auch nicht die alleinige Rolle spielt, lässt sich sagen: Wir haben ein Problem. Kein Wunder also, dass Betroffene, die unter solchen Führungspersonen leiden, die es früher nicht in die Chefetagen geschafft hätten, sich in den einschlägigen Blogs im Internet austauschen. Wer sich diese Foren anschaut, gewinnt den Eindruck, dass das, was einmal die Ausnahme war, nämlich andere eiskalt über den Tisch zu ziehen, fast schon die Regel geworden ist. Als Coach, aber auch in meinen Seminaren, mache ich die gleichen Erfahrungen: Menschen, die unter Vorgesetzten und  Kollegen leiden, die ein solches Verhalten zeigen, suchen nach Möglichkeiten, diese schädigenden Verhaltensmuster rechtzeitig zu identifizieren und Gegenstrategien zu entwickeln. Vielleicht haben auch Sie zu diesem Buch gegriffen, weil Sie zu diesen Menschen gehören.

 

Enorme wirtschaftliche Schäden

Zu meinen Vorträgen kommen auch Betroffene, die im Vorstand oder Aufsichtsrat tätig sind, Leiter von Personalabteilungen oder selbständige Unternehmer, die die Gefahr, die von solchen Menschen für das Unternehmen ausgeht, klar erkannt haben. Denn der wirtschaftliche Schaden ist, neben den seelischen Schäden, die bei den Mitarbeitern verursacht werden und sich in den Krankmeldungen spiegeln, meist enorm. Es ist daher kein Zufall, dass die Nachfrage nach Beratungen, die Antworten darauf geben, deutlich zunimmt.

Doch wie kommt es, dass Narzissten und Menschen, die einige schädigende Eigenschaften mit Psychopathen teilen, gegenwärtig in der Wirtschaft so erfolgreich sind, anstatt, wie man vermuten möchte, im Gefängnis zu sitzen?

 

Wo Veränderungen in Unternehmen anstehen, haben Psychopathen ein ideales Spielfeld

Was ist geschehen? Der amerikanische Wissenschaftler Robert D. Hare findet nicht nur eine plausible, sondern auch eine wissenschaftlich fundierte Erklärung für die dramatische Umkehrung der Verhältnisse im Geschäftsleben. Nach jahrelanger Forschung über die Auswirkungen von Menschen mit psychopathischer Veranlagung im Wirtschaftsleben fasst er seine Beobachtung wie folgt zusammen: Immer dort, wo große Veränderungen in Unternehmen anstehen, oder bereits im Gange sind, finden Menschen mit psychopathischen Charakterzügen ein ideales Spielfeld.19 Veränderungen, gar Chaos in Unternehmen bei Umstrukturierungen, übernahmen, Krisen oder Neugründungen von Unternehmen, sind der Nährboden, den solche Menschen benötigen, um ihre negative Energie zu entfalten.

 

Globalisierung und Deregulierung waren die Türöffner

Wenn wir diese Forschungsergebnisse ernst nehmen, muss die Finanzbranche vor und nach dem Finanzcrash in 2008 ein El Dorado für Menschen mit psychopathischen Charaktereigenschaften gewesen sein bzw. immer noch sein. Denn eine Branche, die sich durch wenige Regeln und wenige Kontrollen einst auszeichnete und immer noch auszeichnet – trotz der Versuche seitens der Politik neue Regelungen greifen zu lassen –, war und ist das natürliche Umfeld für Menschen mit dieser Veranlagung.

 

Wenn es nur die Finanzbranche betreffen würde, wäre dies zwar schlimm genug, aber noch nicht bedrohlich für die ganze Wirtschaft. Was aber das Phänomen des erfolgreich agierenden Managers mit psychopathischen oder narzisstischen Eigenschaften so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass sich die Bedingungen des Wirtschaftens seit der Globalisierung grundlegend geändert haben. Das Stichwort heißt Dynamik. Und Dy namik bedeutet, dass Regelungen, die gestern noch galten, außer Kraft gesetzt werden, Kontrollen nicht greifen, weil sich die Situation innerhalb kürzester Zeit bereits wieder verändert hat. Nur wenige behalten da den Überblick. Genau eine solche Situation brauchen Menschen mit psychopathischer Veranlagung, um mit faulen Tricks, Betrügereien und aggressiver Rhetorik Karriere zu machen, ohne befürchten zu müssen, dass man ihnen auf die Schliche kommt.

 

Wir alle kennen die Dynamik, die durch die Globalisierung in fast jeder Branche Einzug gehalten hatte. Übernahmen waren an der Tagesordnung, Umstrukturierungen ebenso, erzeugt durch den Druck noch effizienter produzieren zu müssen, weil die Konkurrenz einem im Nacken saß.

 

Start-ups in Silicon Valley wurden, so schien es, wöchentlich gegründet. Die Technologiebranche erlebte einen Boom, der seinesgleichen suchte, und forcierte durch die technologischen Neuerungen strukturelle Umwälzungen in Firmen, für die es sonst vieler Jahrzehnte benötigt hätte. Mit anderen Worten: Manager, die eine Neigung zu psychopathischem Verhalten hatten, fanden in den 1990er-Jahren den idealen Nährboden für ihr Tun. Die Auswirkungen kennen wir spätestens seit dem Finanzcrash 2008 alle.

 

Die Zutaten der Verführung: Charme und Charisma

Obwohl Narzissten und Menschen mit psychopathischer Veranlagung viele negative Eigenschaften haben und Angst und Schrecken in Unternehmen verbreiten, sind sie sehr erfolgreich. Daher fragt man sich verwundert: Was macht diese Menschen so erfolgreich?

 

Die Antwort ist gar nicht so schwer. Die Erfolgsfaktoren heißen: Charme, Charisma, schauspielerische Fähigkeiten und die Beherrschung manipulativer Techniken. Diese Eigenschaften helfen ihnen, die Maske sehr lange aufrechtzuerhalten. Wie wir im Fall Madoff gesehen haben, währte das Theaterstück über 30 Jahre. Menschen mit narzisstischen oder psychopathischen Tendenzen werden nicht schnell erkannt. Nur wer sehr genau beobachtet, kann die feinen Haarrisse sehen, die das Bild, welches man sich von der jeweiligen Person gemacht hat, zerstören.

 

Schauen wir noch einmal auf den Fall Madoff. Fast jeder, der ihn kannte, schwärmte von seiner starken persönlichen Ausstrahlung. Er habe Esprit und Charme, hieß es unisono. Er gab den leutseligen Chef, der seine Mitarbeiter wie Familienangehörige behandelte und sich um sie sorgte. Ein Grandseigneur der Extraklasse. Er hielt sich von den Schickimicki-Partys der Wall-Street fern, was seinen Ruf, er sei ein seriöser Geschäftsmann mit einem enormen Fingerspitzengefühl für das Aktiengeschäft, weiter verstärkte. In Wahrheit hatte er bereits 1996 den Aktienhandel eingestellt.

 

Madoff wolle nichts Schriftliches: Keine Briefe, keine Mails

Madoff mochte keine schriftlichen Unterlagen – weder E-Mails noch Briefe. Diese hätten Spuren hinterlassen können. Er zog es vor, mündlich zu verhandeln. Von Angesicht zu Angesicht konnte er seinen Charme spielen lassen. Später ließ er sein Image, das er sich in vielen Jahren sorgfältig und mit viel Strategie aufgebaut hatte, für sich arbeiten. Er spendete Millionenbeträge für die gute Sache und er arbeitete eng mit den Aufsichtsbehörden zusammen, war also immer über deren nächste Schritte bestens informiert. Er listete detailversessen seine angeblichen Transaktionen auf und schickte diese Unterlagen seinen Kunden. Seriöser, so glaubten die, die ihn bewunderten, könne man gar nicht sein.

 

Auch seine Büros in New York und London waren in zurückhaltendem Grau und Schwarz eingerichtet. Von Angeberei keine Spur. Er hatte eine Familie und war noch immer mit der derselben Frau verheiratet. Ein Mensch, der offenbar grundsolide war. Dennoch konnte er alle Insignien der Macht vorweisen, die man einfach zu haben hat, wenn man es wirklich bis ganz nach oben geschafft hat: das Penthouse in Manhattan, die meterlange Yacht, die Villa in Frankreich. Geld zu haben und zugleich bescheiden aufzutreten – diese Kombination war unschlagbar. Und so pilgerten sie zu ihm und gaben ihm ihr Geld.

 

Immenses Kontrollbedürfnis

Nur eins fiel unangenehm auf: sein immenses Kontrollbedürfnis. So installierte er in seinen Büros Kameras, auch in seinen Büros in London, so dass er, wenn er in New York auf die Monitore schaute, zu jedem Zeitpunkt sehen konnte, was geschah. Kontrolle von anderen aber ließ er nicht zu. Die großen Steuerberatungsfirmen ließ er nicht in seine Bücher schauen.

 

Es ist zu vermuten, dass der größte Finanzbetrüger, den die Welt bisher erlebt hat, nicht mehr viel Charme brauchte, als sein Ruf, ein genialer Finanzmann zu sein, dank Mundpropaganda, immer weitere Kreise zog und sein Schneeballsystem am Laufen hielt. Doch auf dem Weg dahin wird er viel davon gebraucht haben. Selbst jetzt, seitdem er im Gefängnis in North Carolina einsitzt, ist zu vernehmen, dass er ein sehr beliebter Häftling sei. Die anderen Insassen mögen ihn und wollten von ihm Investmenttipps haben, bis die Gefängnisleitung davon Wind bekam und dies untersagte. Charme verdirbt eben nicht.

 

Compliance-Regeln helfen nicht gegen Psychopathen

Wie aber sieht es heute aus? Sind die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen immer noch so, dass Psychopathen und Narzissten nahezu automatisch nach oben gespült werden? Auf den ersten Blick scheint sich die Situation verändert zu haben. Immerhin hat die weltweite wirtschaftliche Entwicklung einen deutlichen Dämpfer bekommen. Selbst die deutsche Wirtschaft, die als äußerst robust gilt, hat an Dynamik verloren.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bemängelte unlängst, dass es der deutschen Wirtschaft zwar gut gehe, das Wachstum jedoch nicht sehr breit aufgestellt sei.30 Viele Staaten und Volkswirtschaften sind noch immer mit den Auswirkungen des Finanzcrashs beschäftigt. Dort werden noch heute die Wunden geleckt, die 2008 geschlagen wurden. Dabei sind die wirtschaftlichen Krisen in Spanien, Portugal, Italien, Irland und Griechenland nur die Krisen, die bei uns in den Medien präsent waren.

 

Als Reaktion auf die Krise bemühen sich Politiker um neue Regeln für Unternehmen und im Besonderen für die Finanzbranche. Compliance-Vereinbarungen halten Einzug in die großen Konzerne und verpflichten Mitarbeiter und Vorstand zu ethischem Verhalten. Rückzug, Maßhalten, Aufwertung des Regionalen sind die Schlagworte der aktuellen wirtschaftlichen wie politischen Trends. Dynamik, Deregulierung und enormes Wirtschaftswachstum sind, so sieht es zurzeit aus, die Schlagworte von gestern. Und so titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) erschrocken: »Erleben wir das Ende der Globalisierung?«

 

Können wir uns also entspannt zurücklehnen? Ist Menschen vom Schlage eines Madoffs endgültig der Nährboden entzogen? Leider nein. Die Statistiken des Bundeskriminalamtes, die die Fälle von Wirtschaftskriminalität registrieren, die zur Anzeige gebracht wurden, sprechen eine andere Sprache. Im Jahr 2010, also zwei Jahre nach dem Finanzcrash, lag die Zahl auf dem höchsten Niveau seit 2006. Das Bundeskriminalamt registrierte 102813 Fälle. Im Jahr 2014 sind die Fallzahlen im Vergleich dazu zwar gesunken, befinden sich aber immer noch auf hohem Niveau von 63194 registrierten Fällen.

 

Doch wer die Statistik zu lesen weiß, ist nicht beruhigt. Denn die angezeigten Straftaten im Bereich »Anlage- und Finanzierungsdelikte« sind im Vergleich zum Vorjahr sogar auf 8652 gestiegen. Der wirtschaftliche Schaden betrug allein 2014 in diesem Segment 443 Millionen Euro. Gestiegen sind im gleichen Jahr auch die Fälle von Betrug und Untreue im Zusammenhang mit Kapitalanlagen. Hier entstand ein Schaden von 525 Millionen Euro.

 

Weniger Delikt-Fälle, höhere Summen

Was den Kriminologen Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass der Schaden größer geworden ist bei gleichzeitig geringerer Fallzahl. Das lässt nicht nur Experten aufhorchen, sondern auch Unternehmer, Manager und Personalleiter, die versuchen, Schaden von ihren Unternehmen abzuwenden. Wie viele dieser Taten von Menschen mit psychopathischer oder narzisstischer Veranlagung begangen wurden, ist nicht bekannt. Doch es ist zu vermuten, dass ihr Anteil hoch ist. Die Tatsache, dass dies nur die Fälle sind, die angezeigt wurden, vermag ebenfalls nicht zur Beruhigung beizutragen. Denn die meisten Unternehmen versuchen, wenn sie durch Manager oder Mitarbeiter geschädigt wurden, den Schaden zu vertuschen. Das Ganze wird intern geregelt. Davon geht auch das Bundeskriminalamt aus und verweist auf eine hohe Dunkelziffer.

 

Die Angst ums Firmenimage nutzt den Psychopathen

Der Grund für die Unternehmen – trotz hohem Schaden – den Fall nicht vor Gericht zu bringen, liegt auf der Hand: Die Reputation  des Unternehmens könnte Schaden nehmen. Daher verzichten die meisten Unternehmen darauf, Anzeige zu erstatten. Das schafft den Narzissten und Psychopathen den nötigen Freiraum, um zum nächsten Unternehmen weiterzuziehen, wo sie erneut grüne und sättigende Weideflächen finden.

 

Die Blutspur der Psychopathen: Zerrüttete Unternehmenskulturen, Burnout-Fälle

Dort, in den neuen Unternehmen, werden Vorstand, Personalabteilung und Kollegen erneut eine Weile brauchen, bis sie erkennen, mit wem sie es zu tun haben. Dann aber ist der Schaden bereits eingetreten. Dabei sprechen wir in diesem Zusammenhang nur von dem finanziellen Schaden, nicht aber von der Zerrüttung der Unternehmenskultur, geschweige denn von den Burn-out-Fällen, die erfahrungsgemäß sprunghaft steigen, wenn man es Narzissten oder Menschen mit psychopathischer Veranlagung erlaubt, ihr Werk im Unternehmen zu verrichten.

 

Aggressive Rhetorik ist heute Standard

Selbst wenn die Manager mit narzisstischer oder psychopathischer Veranlagung das Unternehmen verlassen haben, sind die Nachwirkungen nicht nur auf den Geschäftskonten noch lange zu spüren. Gelitten hat vor allem ein Bereich, der wie ein Seismograph die Stimmung im Unternehmen widerspiegelt: die Kommunikation. Diese liegt am Boden, denn die Atmosphäre ist vergiftet. Narzissten und Menschen mit psychopathischen Eigenschaften schaffen es, viele Menschen gegeneinander auszuspielen. Die Wunden heilen nur langsam, manches lässt sich gar nicht mehr kitten.

 

Kampfkommunikation als neue Gesprächskultur: entwürdigend, ehrverletzend

Die dramatische Veränderung der Gesprächskultur in den Unternehmen, die Führungspersonen mit psychopathischer Tendenz bewusst im Schatten von Deregulierung und Globalisierung erzeugt haben, ist, so lautet die nächste schlechte Nachricht, leider nicht auf die jeweils betroffenen Unternehmen beschränkt geblieben. Vielmehr hat sich eine Gesprächskultur in der Wirtschaft insgesamt und sogar im privaten Bereich breit gemacht, die viele Menschen als ehrverletzend oder entwürdigend empfinden. Das, was wir Gesprächskultur nennen, hat sich in den letzten zwanzig Jahren nachhaltig verändert. Das Wort Kampfkommunikation trifft es besser.

 

Kommunikation als Waffe der Psychopathen

Wer im Beruf den Kopf über Wasser halten will, sollte sich darin auskennen. Die im Zuge der Globalisierung propagierte Deregulierung hat offenbar nicht nur Zoll- und Handelsschranken fallen lassen, sondern auch andere Grenzen gesprengt: die der guten Kommunikation. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Globalisierung und Deregulierung sind nicht grundsätzlich schlecht, doch die neuen Freiräume wurden von Narzissten und Menschen mit psychopathischer Veranlagung systematisch ausgenutzt. Weil sie Chaos brauchen, um ihre Ziele durchzusetzen, erzeugen sie unter den Mitarbeitern oder Vorstandskollegen Konflikte, die es in sich haben. Sie verbreiten Lügen, Halbwahrheiten und schrecken auch nicht vor übler Nachrede zurück. Sie nutzen Kommunikation als Waffe.

 

Das erzeugt tiefe Gräben in der Gesprächskultur eines Unternehmens, die Meetings, Geschäftsverhandlungen und selbst die Begegnung in der Kantine oder auf dem Flur zu einem Kriegsschauplatz werden lassen. Wer hat nicht selbst schon einmal eine solche vergiftete Atmosphäre im Unternehmen erlebt? In den Seminaren bekomme ich unzählige solcher Erfahrungen geschildert.

 

Dennoch stellt sich die Frage, wie sich diese enthemmte Kommunikation derart verbreiten konnte und nicht nur einzelne Unternehmen infiziert hat. Die Antwort ist simpel. Berichte von Menschen, die mit psychopathisch oder narzisstisch veranlagten Chefs und Kollegen zusammengearbeitet haben, schildern sie als Personen mit großer Ausstrahlung. Leader mit Charisma. Und genau das war in der Deregulierungsphase der Wirtschaft und während des Technologiebooms sehr gefragt.

 

Führungspersönlichkeiten von gestern: Die Seriösen und Soliden

Chefs, die Seriosität und Solidität ausstrahlten, galten in dieser Boom-Zeit als Führungspersönlichkeit von gestern. Gefragt waren Menschen vom Zuschnitt eines Steve Jobs, der die Menschen begeisterte und mitreißen konnte. Führungspersönlichkeiten, die wussten, wie »sie die anderen kriegen«. Und zwar kurzfristig, denn alles musste schnell gehen, die Spirale schien sich immer schneller zu drehen. Der Erfolg gab diesen charismatischen Führern Recht. Mit viel heißer Luft wurde eine Menge Geld verdient. Doch nicht jeder, der Charisma und eine faszinierende Ausstrahlung hat, ist ein Mensch mit psychopathischer Veranlagung. Man muss schon genauer hinschauen.

 

Doch genau darum geht es in diesem Buch: den Spreu vom Weizen zu trennen, Menschen mit aggressiver und sozial schädigender Veranlagung anhand ihrer Kommunikation zu erkennen und rechtzeitig kommunikative Gegenstrategien zu entwickeln. Sie erfahren in diesem Buch die wichtigsten Eigenschaften dieser Menschen. Geschildert wird auch ihre Art der Kommunikation, so dass es Ihnen leichter fällt, diese Menschen zu identifizieren. Wie Sie Ihre eigene Kommunikation darauf einstellen, erfahren Sie in Kapitel zwei.

 

Die Dominotheorie: Beleidigen wie der Chef

Der Virus, der diese destruktive Kommunikation wie eine Epidemie in die Unternehmen getragen hat, heißt: Nachahmung. Die Charismatiker waren die Stars. Und wer will nicht so sein wie sie? So wurde deren Art der Kommunikation zum Vorbild und vielfach kopiert. Grenzen des guten Benehmens, auch im Geschäftsgespräch, wurden gesprengt. Wenn die charismatisch und psychopathisch veranlagten Führer sprachen und andere beleidigten, wurden diese Grenzübertritte als erfrischend empfunden. Der traut sich was. Was für ein cooler Typ! Wer da keine schnelle Antwort parat hatte, hatte in den Augen der anderen schon verloren. Was für ein Langweiler! Der Sprachlose war durch seine passive Reaktion vor aller Augen vorgeführt. Er trug fortan das Stigma des Opfers auf der Stirn.

 

Wer sich verbal daneben benimmt, zeigt, er ist ein Gewinner

Je höher Menschen mit narzisstischer oder psychopathischer Veranlagung nach oben steigen, desto größer ist die Schar ihrer Bewunderer. Damit sind die Grenzen, die eine gute Kommunikation ausmachen, verschoben, und zwar in Richtung des äußeren Randes, dort wo keine sachliche Auseinandersetzung mehr stattfindet, sondern die persönliche Beleidigung beginnt. Das kommunikative Spielfeld ist damit für alle größer geworden, nicht nur für den Narzissten oder psychopathisch Veranlagten. Der, der sich verbal danebenbenimmt, ist nicht mehr der, der von den anderen abgestraft wird. Vielmehr zeigt er durch seine Art der Kommunikation, dass er zu den Gewinnern im Unternehmen gehört. Wir alle kennen diese Gruppendynamik.

 

Verbale Wild-West-Methoden

Zwar sind nach dem Finanzcrash in 2008 vielerorts neue Kodizes, Compliance-Regeln und Standards des Good Governance entworfen und feierlich in Unternehmen und Organisationen verabschiedet worden. Die Frage ist jedoch, ob die Einhaltung der neuen Regeln auch kontrolliert wird oder nur als Schmuck an der Wand hängt. Man gibt sich halt seriös. Mit der Realität hat das oft nichts zu tun. Leider enthalten diese neuen Regelungen meist nichts zu der im Unternehmen anzustrebenden Kommunikation, und so herrschen dort auf dem verbalen Spielfeld noch immer die Wild-West-Methoden, die sich in der Boomphase der 1990er-Jahre etabliert haben. Schließlich wurden viele Manager, die jetzt am Ruder sind, in dieser Zeit sozialisiert. Das Rad lässt sich so schnell nicht zurückdrehen.

 

Toxische Menschen – auch Normalos, die sich den Ton nur angeeignet haben

Das bedeutet, dass wir es im beruflichen Umfeld generell mit einer aggressiveren Kommunikation als noch vor Jahren zu tun haben. Dies gilt nicht nur, wenn Sie tatsächlich einem Narzissten oder psychopathisch veranlagten Menschen in einem Meeting oder einer Verhandlung gegenübersitzen. Dies gilt auch, wenn Ihr Gegenüber ein »Normalmensch « ist, der sich in vielen Jahren einen aggressiven Kommunikationsstil angeeignet hat, ohne dafür jemals Konsequenzen ziehen zu müssen.

Die Grundstruktur der Business-Kommunikation kippt heute schneller von einer harmonischen oder sachlichen in eine aggressive Tonart. Auch wenn Narzissten oder andere toxische Menschen nicht die Mehrheit der Bevölkerung stellen, sind doch sie es, die es geschafft haben, den ersten Dominostein zum Fallen zu bringen. Bekanntlich reicht das, um auch die anderen Steine zu Fall zu bringen.

 

Denken wir nur an die Flüchtlingsdiskussion in Deutschland. Einige hundert polizeibekannte Intensivtäter, die an Silvester Frauen massiv sexuell belästigten und sie auch noch bestahlen, haben die Stimmung im Land gegenüber den Flüchtlingen insgesamt gekippt. Das Gleiche gilt für die Angriffe auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder die Terrorakte im November in Paris. Immer waren es nur eine Handvoll Täter, doch sie hatten es in der Hand, die Atmosphäre ins Negative zu drehen.

Ähnlich ist es mit Narzissten oder psychopathisch veranlagten Menschen gewesen, die es in den 1990er-Jahren geschafft haben, vom äußeren Rand unserer Gesellschaft in den ›inner circle‹ zu gelangen und die Regeln der Kommunikation auf den Kopf zu stellen.

 

Besonders aggressive Kommunikation der Deutschen

Wir Deutschen scheinen diese Art der aggressiven Kommunikation ganz besonders verinnerlicht zu haben, denn die erstaunten Reaktionen von Menschen aus Österreich oder der Schweiz, wie in deutschen Unternehmen kommuniziert wird, zeigen mir, wie sehr wir uns bereits an diese Art der rhetorischen Eskalation in Deutschland gewöhnt haben.

 

Kommunikation kann an vielen Stellen scheitern. Die Motive sind vielfältig und durchaus nicht neu. Boshafte Rache, Gerangel um die Hackordnung oder Machtspiele sind nur einige, aber wesentliche Gründe, warum Kommunikation nicht genutzt wird, um zu kommunizieren, sondern benutzt wird, um Intrigen in Gang zu setzen, abzukanzeln oder einen Zuwachs an Macht zu ergattern.

 

Aggressive Kommunikation in der Firma zeigt sich am Ende in der Bilanz 

Neu ist dabei die aggressive Grundstruktur der Kommunikation. Eine solche aggressiv aufgestellte sprachliche Basistextur im Unternehmen kippt schneller ins Negative, verändert die Atmosphäre im Unternehmen insgesamt, was sich bald auch in der Bilanz des Unternehmens negativ widerspiegelt. Deswegen sollte man als Verantwortlicher – egal ob Sie für eine Gruppe oder für ein ganzes Unternehmen verantwortlich sind – diese gesellschaftliche Entwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen.

 

Interne aggressive Kommunikation sorgt für externe aggressive Kommunikation

Wenn die Kommunikation nicht nur in einem Meeting aggressiv ist, sondern insgesamt nicht mehr stimmt, ist meist auch die Außenkommunikation mit Geschäftspartnern, Presse oder Kunden gestört. Eine solche Kommunikation produziert ineffiziente Meetings, weil es nicht mehr um Inhalte, sondern um Rangkämpfe geht; sie kostet Aufträge, weil Machtkämpfe wichtiger sind als gute Bilanzzahlen; sie verdirbt zudem die Reputation eines Unternehmens in der Öffentlichkeit und vermiest die Stimmung im Unternehmen. Die Abwärtsspirale ist dann nur noch schwer zu bremsen. Eine gelungene oder misslungene Kommunikation – intern wie extern – ist immer ein genauer Gradmesser dafür, wie es um das Unternehmen bestellt ist. Der Fall VW ist dafür ein gutes Beispiel.

 

Der Fall VW

Eine Studie des Forschungsinstituts International Council on Clean Transportation und der Universität West Virginia entdeckt 2014 erhöhte Emissionswerte bei einigen Volkswagen- Modellen in den USA. Der Vorstand von VW wird informiert. Dieser versucht auf dem Verhandlungsweg die Sache beizulegen, was nicht gelingt. Dann platzt die Bombe. Die amerikanische Umweltbehörde EPA macht die Vorwürfe öffentlich. Am 19. September räumt der VW-Konzern offenbar Software-Manipulationen an den Dieselmotoren ein. Doch es bleibt nicht bei den Dieselmotoren. Die Vorwürfe weiten sich aus, allein in den USA sollen 600 000 Fahrzeuge betroffen sein. In Europa ruft VW freiwillig 8,5 Millionen Dieselfahrzeuge mit der manipulierten Software zurück. Autos von Skoda, Seat und Audi sind, so stellt sich später heraus, ebenfalls betroffen.

 

Am 21. September schaltet sich das US-Justizministerium ein und kündigt Untersuchungen an. Der Amerika-Chef von VW räumt ein, dass VW »Mist gebaut habe«. Am gleichen Tag stürzt die VW-Aktie ins Bodenlose. Am nächsten Tag geht die Talfahrt weiter, der Wert der Aktie rutscht auf unter 100 Euro pro Stück. Damit hat die Aktie innerhalb weniger Stunden 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Winterkorn muss gehen. Matthias Müller übernimmt. Müller steht nun vor der Herkulesaufgabe, sich mit den US-Behörden zu einigen. Die Verhandlungen sind festgefahren.

 

Sachfragen sind nicht so wichtig wie Fingerspitzengefühl in der Kommunikation

Wenn Verhandlungen festgefahren sind, geht es zunächst weniger um Sachfragen, als um Fingerspitzengefühl in der Kommunikation. Ob er das kann, muss er nun auf seiner USA-Reise unter Beweis stellen. Ihm muss der Spagat gelingen zwischen dem in den USA erwarteten Demutsgang und der Gefahr, durch eine zu große Demutsgeste seine Autorität zu Hause zu verlieren. Mit der Frage, ob Müller eher zu den Aufklärern oder zu denen zählt, die alles vertuschen wollen, gießt der Spiegel in seiner Online-Ausgabe vor Müllers heikler Reise in die USA nochmals Öl ins Feuer.

 

Doch die Reise in die USA gerät für Müller zum Desaster. Sich als neuer, starker Mann an der Spitze zu präsentieren, misslingt dem studierten Informatiker gründlich. Ein Interview von ihm mit dem amerikanischen Radiosender NPR läuft völlig aus dem Ruder. Auf die Bemerkung des Reporters, warum VW die amerikanische Umweltbehörde belogen habe, antwortet er: »Wir haben nicht gelogen (…).«

 

Endgültig aufs Glatteis führen lässt sich Müller mit der Frage, wie er die Wahrnehmung in den USA ändern wolle, dass es sich bei VW nicht um ein technisches, sondern um ein ethisches Problem gehandelt habe. Müllers Antwort lautet: »Ehrlich gesagt, es war ein technisches Problem. ( …) Wir hatten einige Ziele für unsere Techniker, und sie lösten dieses Problem und erreichten diese Ziele mit einer Softwarelösung, die nicht vereinbar war mit dem amerikanischen Gesetz. Das ist der Punkt. Und die andere Frage, die Sie erwähnten, nach dem ethischen Problem – ich kann nicht verstehen, warum Sie das sagen.«

 

VW: Halbherzige Entschuldigungen werden in USA als Provokation empfunden

Statt in den USA die erwartete Seifenoper zu bedienen, die immer nach dem gleichen Muster abläuft – Sünder wird erwischt, es folgt das reuige Schuldeingeständnis, der Protagonist durchleidet ein tiefes Tal der Tränen und gelobt Besserung, schließlich erteilen Behörden und Verbraucher Vergebung –, bleibt Müller bei seiner Variante, die irgendwie nach einer halbherzigen Entschuldigung klingt. Das wird in den USA als pure Provokation empfunden. Anstatt ein klares Schuldeingeständnis zu liefern, bietet Müller ein verkorkstes Interview, das zähneknirschend von der Presseabteilung des VW-Konzerns zurückgezogen wird. Müller entschuldigt sich am nächsten Tag, er habe die Frage des Reporters während der deutsch-englischen Pressekonferenz in Detroit »falsch zugeordnet«. Doch die Sache ist in der Welt. Das nennt man einen Kommunikations-GAU. So etwas kann teuer werden.

 

In den USA nennt das renommierte Wall Street Journal gespenstische 46 Billionen Dollar, die der Skandal das Wolfsburger Unternehmen kosten wird. Die Schweizer Bank Credit Suisse hält nach Angaben von CNNMoney sogar 86 Billion Dollar für möglich, wenn die Folgekosten korrekt eingerechnet würden. Müller weiß, dass es ums Ganze geht. Er sieht den Konzern vor »der größten Bewährungsprobe in der Unternehmensgeschichte«. Zwar wurde mit den Amerikanern inzwischen eine Einigung erzielt, so dass Sammelklagen, die bekanntermaßen in den Vereinigten Staaten Forderungen in schwindelerregenden Höhen durchsetzen können, aller Voraussicht nach vermieden werden konnten, doch den Kopf aus der Schlinge gezogen, hat das Unternehmen VW damit noch nicht. Zu viele Baustellen sind noch offen.

 

Der VW-Skandal ist ein Skandal historischen Ausmaßes, dessen Auswirkungen bis in den politischen Bereich hineinwirken. Bisher galten die Deutschen auf internationaler Bühne als Vorzeigeland, wenn es um Umweltstandards und deren technische Lösungen ging, und so konnten die Deutschen in der Vergangenheit auch auf andere Länder Druck ausüben, ebenfalls nur solche Produkte auf dem europäischen Markt anzubieten, die diesen hohem Umwelt- und Verbraucherstandards gerecht wurden. Diese Verhandlungsposition der Deutschen ist Geschichte.

Konnte sich Angela Merkel zuvor im internationalen Umfeld rühmen, dass die deutsche Autoindustrie bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes bereits weit voran geschritten sei, wird der VW-Skandal nun als ideales Faustpfand für die Amerikaner dienen, bei den heiklen Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) endlich voranzukommen und so voraussichtlich weitaus niedrigere Standards zu etablieren. Dass die Amerikaner diesen »Weak-Point«, diese Schwachstelle, für ihre Verhandlungen nutzen werden, gilt in eingeweihten Kreisen in Brüssel als sicher. Möglicherweise ist dies auch der Grund, warum der VW-Skandal in den USA so hochgefahren worden ist.

 

Hinzu kommt, dass ein stark geschwächter Weltkonzern wie VW in Zukunft für amerikanische Autobauer ein deutlich weniger beängstigender Konkurrent sein wird, als er es in der Vergangenheit mit seiner überall in der Welt geschätzten »German« Ingenieurskunst gewesen ist. Der Verkauf von VW-Autos ist weltweit rückläufig und es wird, wenn die hohen Schadensersatzansprüche gezahlt werden müssen, auch an Geld für notwendige Zukunftsinvestitionen fehlen. Ob es dem Konzern letztlich das Genick brechen wird, wird sich zeigen.

 

Aggressive Rhetorik als Frühwarnsystem  

Bevor solche Skandale historischen Ausmaßes passieren, ist vorher eine Menge im Unternehmen schief gelaufen. Dies gilt im Besonderen für die Kommunikation. Wer die Zeichen zu lesen weiß, kann regelrecht ein Frühwarnsystem im Unternehmen installieren. Soll im Unternehmen »ein Ding gedreht werden«, sprich Kunden, Geschäftspartner oder Mitarbeiter über den Tisch gezogen werden, ist erfahrungsgemäß eine aggressive Rhetorik immer die Begleitmusik. Diese dient dazu, Widerstand zu brechen, bestimmte Leute auszuschalten, Energie bei kritischen Kunden, Geschäftspartnern oder Mitarbeitern zu binden, die dann an anderer Stelle fehlt. Wenn also der Grundton in einem Unternehmen dauerhaft im roten Bereich ist, ist Vorsicht geboten. Es empfiehlt sich eine erhöhte Aufmerksamkeit.

 

Damit die Rationalität im Unternehmen nicht verloren geht und weder das Unternehmen noch Sie persönlich Schaden nehmen, müssen Sie einen kühlen Kopf bewahren und die Menschen identifizieren, von denen diese Gefahr ausgeht. Das muss nicht derjenige sein, der den Angriff im Meeting gegen Sie führt. Sie müssen lernen, Menschen, die sozialen Schaden anrichten, schnell und präzise einzuschätzen. Das gelingt, wenn Sie deren Körpersprache, Stimme, Kommunikationsstil und Verhalten analysieren Die Analyse hilft Ihnen zu erkennen, mit wem Sie es zu tun haben.

 

Im Folgenden werden psychopathische Menschen und Narzissten anhand von ausgesuchten Beispielen geschildert. Die Beispiele dienen dazu, die Charaktereigenschaften dieser Menschen zu verdeutlichen. Das hilft all denen, die in ihrem Umkreis mit schwierigen Persönlichkeiten konfrontiert sind, aber die Sachlage vielleicht noch nicht einordnen können.

 

 

 

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Alle Kommentare [1]

  1. Can I pre-order this book in its English version?
    or at least an Audible? (many people who need this message hardly find time to read the book.. Audio is always easier on the go or drive..)
    Thanks for sharing your wisdom, Marc-Stephan Daniels.