Buchauszug Corinna Budras/Pascal Fischer: „Wer hat an der Zeit gedreht? Warum uns die Zeit abhanden kommt und wie wir sie zurück gewinnen“

Buchauszug „Vom Sinn der Pause“ von den Journalisten Corinna Budras von der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ und Pascal Fischer vom Deutschlandradio und ARD-Wortwelten. Beide sind nicht nur beide berufstätig sondern auch Eltern.

Pascal Fischer (r.) und Corinna Budras (l.)

 

Vom Sinn der Pause

Die Mittagspause ist Jürgen Bock wichtig. Es gibt nichts Besseres als diese Zeit des Tages. Bis 12 Uhr hat er schon Einiges erledigt, E-Mails geschrieben, Telefonate geführt, Pläne geschmiedet. Es ist der ideale Moment, um den Kopf frei zu bekommen. Frei für neue Ideen, etwas Inspirierendes, Berührendes, Bemerkenswertes oder gar Skurriles.

Deshalb trabt er um Punkt 12 Uhr über den Hof zu der großen Lagerhalle, die er und seine Kollegen «Lounge 6» genannt haben. Dort steigt er die Treppen hoch in den ersten Stock an der Garderobe vorbei und in den großen, abgedunkelten Saal. Die Seiten sind gesäumt von Holzpaletten, die, aufeinandergestapelt, erstaunlich geschmackvolle Tische und Bänke ergeben. Von der Decke baumeln Leuchtanzeigen aus längst vergangenen Tagen. Inzwischen haben sie nur noch den Zweck, Industriechic zu verbreiten, um nicht an Arbeit, sondern an Kreativität zu erinnern. In der Mitte des Saales reihen sich schwere schwarze Ledersofas aneinander, Lehne an Lehne, alle nach der Stirnseite des Saales gerichtet. Dort wird Jürgen Bock gleich stehen, gekleidet in schwarzer Jeans, schwarzem T-Shirt und schwarzem Sakko, ein starker Kontrast zu seinen kurzen, schlohweißen Haaren. Dann steht er im Rampenlicht vor zweihundert Kollegen. 12 Uhr mittags ist die beste Zeit für etwas Unternehmenskultur.

Jürgen Bock hat sich schon viele Gedanken über die Mittagspause gemacht. Das gehört zu seinem Job. Er ist Leiter der Unternehmenskultur der Otto-Gruppe in Hamburg, jenes Urgesteins des deutschen Versandhandels, das jetzt so gerne mit den hippen amerikanischen Silicon-Valley-Giganten mithalten möchte. Die haben die coole Unternehmenskultur zu ihrem Markenzeichen gemacht: Kicker in der Wohnküche, Fitnesscenter, Lifestyle-Kantine, selbst der Chef lässt sich beim Vornamen nennen. Und Lunch Club statt Mittagstief.

Um da mithalten zu können, auch wegen der heiß begehrten jungen Nachwuchskräfte, hat Jürgen Bock schon einiges versucht. Auch einiges, das gehörig schiefgegangen ist. Der Filmclub abends, «after work», kam nicht gut an. Nach dem Feierabend strömen die Mitarbeiter lieber nach Hause, in Kneipen oder auf Konzerte als ins Otto-Kino.

Dann ist er mit seinen überschäumenden Ideen in die Kantine gegangen, um die Kollegen dort mittags zu unterhalten. Sogar eine Band hat er dorthin geschleppt, die den Kollegen vor ihren dampfenden Tellern ordentlich ins Ohr dröhnte. Der Protest kam postwendend. «Lass uns wenigstens in der Mittagspause in Ruhe», schimpften die Kollegen genervt. Jürgen Bock hat das eingesehen. Auf Unterhaltung, selbst auf gute, muss man gefasst sein. Auch die talentiertesten Musikanten in der S-Bahn erregen Unmut, wenn sich die Fahrgäste überrumpelt fühlen und eigentlich lieber ihren Gedanken nachhängen würden.

In der Lounge 6 fühlt sich niemand überrumpelt. Die leer stehende Lagerhalle hatte Bock vor einigen Jahren beim Schlendern entdeckt und mit seinen Kollegen hergerichtet. Seitdem veranstaltet er zwischen den Holzpaletten einmal im Monat seinen Culture Club, dann präsentieren sich Großstadtpoeten beim Poetry Slam und die Azubis zappeln bei der Party zur Mittagszeit.

Heute gibt es Chili con Carne aus großen Töpfen. Dazu Nachos und Weißbrot, Salat und kleine dicke Würstchen, die in Croissants stecken. Als Nachtisch gibt es Popcorn. Das mag nicht die große kulinarische Erleuchtung sein, aber passt sich ein in den anstehenden Culture Club: ein Youtube-Kurzfilm-Festival von Otto-Mitarbeitern für Otto-Mitarbeiter. Das Ganze ist liebevoll zusammengestellt, für jeden Geschmack ist etwas dabei: zehn Filmchen, ausgewählt von Bock und seinen Kollegen, Anrührendes und Lustiges, Nachdenkliches und Provokantes. Erst wird gegessen, dann geschaut, eine Dreiviertelstunde lang.

 

„Wer hat an der Uhr gedreht?  Warum uns die Zeit abhanden kommt und wie wir sie zurückgewinnen“ von Corinna Budras / Pascal Fischer, C.H.Beck Verlag, Februar 2017, 199 Seiten, 14,95 Euro: http://www.chbeck.de/Budras_Corinna-Fischer-Uhr-gedreht/productview.aspx?product=17634362

 

Mittagspause, hart erkämpft

Mittags wird der Tag entschieden. Wer auf die Pausen verzichtet, ist weniger leistungsfähig, auch wenn er damit gerne das Gegenteil beweisen möchte. Für produktives Arbeiten ist das Wechselspiel von konzentriertem Arbeiten und gekonnter Ablenkung wichtig, betonen Kreativitätsforscher.

Aufstehen, den Körper bewegen, den Blick schweifen lassen, auf andere Gedanken kommen. Essen kann dabei helfen, nur bitte nicht am Arbeitsplatz. Dort stopft man nur sinnlos in sich hinein, unkontrolliert und ohne Erholungseffekt.

Die Arbeitspause hatte nicht immer so einen hohen Stellenwert. Im Gegenteil, die Gewerkschaften mussten sie  sich erst hart erkämpfen. Seit 1994 steht sie für alle verbindlich im Arbeitszeitgesetz: 30 Minuten bei einer Arbeitszeit bis zu neun Stunden pro Tag, 45 Minuten für alles darüber.

 

Betriebe entdecken die Mittagspause ihrer Angestellten – um sie auf Trab zu halten

Doch jetzt steckt die Mittagspause in einer veritablen Krise. Die Gewerkschaften monieren, dass die Arbeitnehmer sie gar nicht mehr nehmen und viel zu oft durcharbeiten. Auf der anderen Seite haben auch die Betriebe sie entdeckt: für die Unternehmenskultur und zum Netzwerken, mal mit kleinen Vorträgen, mal mit erfrischendem Gedankenaustausch. Oder um mit einem betriebseigenen Fitnessstudio die Mitarbeiter zu mehr Bewegung zu animieren. Schon zum Standard in den oberen Etagen gehört ein ausgiebiger Business Lunch, drei Gänge beim Edel-Italiener. Zu besprechen gibt es immer etwas; unterhaltend kann es bestenfalls sein, wirklich entspannend ist es selten.

 

Freizeit-Terror

Die perfekt gestaltete Mittagspause spiegelt im Kleinen wider, welche Probleme sich bei der Freizeit stellen: Von echter «Freizeit» mit sprichwörtlich freier Zeit kann häufig keine Rede mehr sein. Doch die gute Nachricht zuerst: Dem Statistischen Bundesamt zufolge haben wir alle einen ganzen Batzen davon, nämlich jeden Tag ganze 6 Stunden und 12 Minuten die Männer und 5 Stunden 42 Minuten die Frauen. Die extra halbe Stunde der Herren verbraten diese übrigens fast ausschließlich im Internet und mit ihren Smartphones. An diese Daten kommen die Statistiker durch viel Aufwand: Alle zehn Jahre lassen sie rund 11 000 Leute für einige Tage ein Tagebuch führen. Darin sollen diese ihren Tagesablauf beschreiben, detailliert im Zehn-Minuten-Rhythmus.

 

Viel mehr freie Zeit als gedacht

Das Ergebnis sind naturgemäß nur Durchschnittswerte. Aber eines fördert diese Studie (wie andere übrigens auch) zutage: Wir haben wesentlich mehr freie Zeit, als wir gemeinhin glauben. Nur nutzen wir sie nicht so, wie wir es eigentlich wollen.

Woran das liegt? Auch hier gibt es unbegrenzte Möglichkeiten und sie klingen allesamt eindrucksvoll: originelle Ausstellungen, extravagante Konzerte, spektakuläre Outdoor- Aktivitäten. Vor Museen zieht sich nicht selten die lange Reihe der Wartenden über den Bürgersteig bis zur nächsten Straßenkreuzung. Dicht an dicht, und doch ohne zu drängeln, stehen die Besucher und warten geduldig auf Einlass, als hätten sie auf einmal alle Zeit der Welt. Nach Freizeit sieht das nicht aus, und dennoch ist es genau das: Die Menschen suchen Erbauung in der Kunst. Die Museen überschlagen sich mit sensationellen Shows, die die Besucher von überallher anziehen. So viel Andrang will gemanagt werden: Mit Hilfe des Internets lässt sich die Warterei umgehen. Dort kann man immer öfter Zeitfenster für den Museumsbesuch buchen und mit dem ausgedruckten Ticket an der Schlange vorbeimarschieren.

Dass die Warteschlangen von den Bankschaltern und Warenhäusern vor die Museen umgezogen sind, ist ein Symptom unserer Zeit. Wir erleben Freizeit häufig nicht mehr kollektiv im Sportverein, im Chor oder auch nur am Stammtisch, sondern individuell. Deshalb fallen simple Verabredungen mit Freunden nicht mehr so leicht wie früher. Oft müssen die Termine zum Klönen Wochen im Voraus gebucht werden, als wäre es ein begehrter Termin beim Orthopäden.

Die individuelle Freizeitgestaltung aber kann eine ganze Branche ernähren. Kein Wunder, dass die Freizeitangebote immer umfangreicher werden, die Informationen darüber ebenso. Aus Geheimtipps werden Massenveranstaltungen. Ein Blick in den Veranstaltungskalender offenbart die Fülle an Möglichkeiten. Wem der ordinäre Museumsbesuch nicht reicht, der geht zur «Langen Nacht der Museen», Burgen und Schlösser werden für allerlei Feierlichkeiten reaktiviert, Straßenfeste gibt es in den Sommermonaten an jedem Wochenende. In den Ferien ist das noch steigerungsfähig. Das gute Buch am Strand reicht vielen gerade einmal für einen Tag, es muss schon der Bungee-Sprung von der Brücke sein oder die Rucksack-Tour durch Vietnam. Die Wahl fällt schwer, denn dank Internet sieht man klarer denn je, was es alles zu verpassen gibt. Und das kann schmerzen.

 

Die Angst, etwas zu verpassen

Das Ergebnis ist eine nie gekannte Vielfalt, die die Menschen auch rege nutzen. «Kaum eine Freizeitaktivität dauert gegenwärtig länger als zwei Stunden», sagt Sozialforscher Ulrich Reinhardt. Danach geht es weiter – auch aus lauter Angst, etwas zu verpassen. «Der Druck, in der Freizeit etwas zu erleben, hat in den vergangenen Jahren permanent zugenommen.» Denn Erlebnisse wollen Freunden, Kollegen und Verwandten erzählt werden, sie schaffen Identifikation. Allerdings: Diese Aktivitäten kosten Geld.

So setzt sich die Klassengesellschaft auch im Freizeitverhalten fort. Die Besserverdienenden geben in der Freizeit gerne und viel Geld aus und erkaufen sich so die unterschiedlichsten Erfahrungen. Geringverdiener bleiben auch am Wochenende eher vor dem Fernseher.

Ist das Freizeit? «Freizeit ist persönliche Zeit, in der ich etwas tun kann, ohne es tun zu müssen», erinnert der Wissenschaftler Reinhardt. Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Die Stiftung für Zukunftsfragen analysiert das Freizeitverhalten der Deutschen im Freizeitmonitor, und der hat eines klar hervorgebracht: Am liebsten würden die Menschen genau das tun, wozu sie spontan Lust haben – ohne gebuchtes Zeitfenster. Nur tun es eben so wenige. Dafür gibt es viel, was uns in der Freizeit Stress bereitet: Gestört zu werden, wenn man doch eigentlich in Ruhe gelassen werden möchte (62 Prozent), nicht allem gerecht werden zu können (fast jeder Zweite, 48 Prozent). Und 12 Prozent sagen: Das Angebot ist schlicht zu überwältigend.

Oft merkt man erst spät, dass man besser eine Auswahl trifft und lieber das eine lässt, um das andere tun zu können. Dabei kann man auch feststellen, dass man gar nicht so viel verpasst.

 

Ein Leben für den Coffee to go

Das zeigt sich an so etwas Profanem wie Kaffee. Was haben die Intellektuellen und Künstler im 19. Jahrhundert in den Wiener Kaffeehäusern Zeit verplempert, debattiert, Zeitung gelesen und genüsslich ihren Kaffee getrunken! Nie im Leben hätten sie sich einfallen lassen, dass sich Zeit sparen ließe, wenn sie ihre Tasse Kaffee stattdessen über den Trottoir schleppten. Einer wie Laszlo Büch hätte damals mit seiner Geschäftsidee wohl kaum Erfolg gehabt. Dafür brauchte es schon einen gewissen Hang zur Effizienzsteigerung, rund hundert Jahre später war dazu der geeignete Zeitpunkt gekommen.

Büch war Anfang vierzig, als er in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen größten Coup landete. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon ein ganzes Leben hinter  sich: 1922 wurde er in Khust geboren, einem kleinen Dorf in der Tschechoslowakei, als Sohn jüdischer Eltern. Als die Nazis kamen, transportierten sie ihn ins Konzentrationslager, erst Auschwitz, dann Buchenwald. Seine Eltern kamen darin um, er selbst überlebte. Nach dem Krieg wanderte er nach New York aus und lebte dort das typische Leben eines Immigranten. Als Erstes verpasste er sich einen neuen Namen, aus Laszlo Büch wurde Leslie Buck. Mit einem Import-Export-Geschäft hielt er sich eine Zeitlang über Wasser. Dann gründete er mit seinem Bruder ein eigenes Unternehmen in einer Branche, die ihm Gewinn versprechend schien: Er wurde Hersteller von Pappbechern.

Der große Durchbruch kam als Marketingleiter von Sherri Cup, einem Start-up, das es in den sechziger Jahren auf den New Yorker Markt für Heißgetränke abgesehen hatte. Buck kreierte einen Pappbecher in aufsehenerregendem Design: in Blau und Weiß mit bronzefarbener, zackiger Beschriftung – ein Tribut an die vielen griechischen Immigranten, die in New York etliche Diner betrieben, jene amerikanischen Restaurants, die durch ihre Schlichtheit in Angebot und Design bestechen. Die nostalgisch geprägten Pappbecher wurden der Renner. In ihnen trugen fortan die New Yorker ihren Kaffee überall in der Stadt spazieren, statt ihn zu Hause oder im Café zu trinken.

Leslie Buck hat den «Coffee to go» nicht erfunden. Den Wunsch, keine Zeit für den Kaffee zu verschwenden, sondern ihn stattdessen lieber zeitsparend mit sich herumzutragen, verspürten die New Yorker schon lange Zeit vorher. Aber Buck hat dieses Bedürfnis zu einem Trend gemacht. Mit seinem Design wurde aus einem simplen Gebrauchsgegenstand eine Kreation, die jeder haben wollte.

Das war schon 1963. Sherri Cup verkaufte über die nächsten Jahrzehnte Milliarden Becher, denn nirgendwo laufen Menschen so lange und so leidenschaftlich mit ihren Coffee-to-go-Tassen herum wie in der Stadt, die niemals schläft. Schon seit mehr als fünfzig Jahren nehmen sich die Menschen dort nicht einmal mehr die Zeit für einen Kaffee. Und noch viel wichtiger: Sie wollen es auch nicht. Der «Coffee to go» ist in New York das Statussymbol eines erfolgreichen Menschen, für den die Synchronisierung der Tätigkeiten eine Selbstverständlichkeit ist.

Niemand würde dort allen Ernstes den Nutzen dieser Erfindung in Frage stellen. Im Gegenteil: Als Leslie Buck 2010 im Alter von 87 Jahren starb, widmete ihm die New York Times einen umfassenden Nachruf auf der Titelseite ihrer New Yorker Ausgabe. Auf einem Foto lächelt Buck das überlegene Lächeln eines erfolgreichen Unternehmers, der im richtigen Moment die richtige Idee hatte. Groß und aufrecht steht er da, mit einem klobigen Brillengestell auf der Nase.

 

Zeit für einen Kaffee

Die Verdienste des erfolgreichen Unternehmers Buck würde auch Margarete Zülch nicht bestreiten, von ihr haben wir schon gehört. Sie wurde im selben Jahr geboren wie Laszlo Büch: 1922. Aber ihr Leben gestaltete sich völlig anders. Als Inhaberin vom Frankfurter Kaffeehaus Wacker’s hat sie ihr Leben dem Kaffee gewidmet und nicht etwa den Gefäßen für dessen unfallfreien Transport auf überfüllten Bürgersteigen. Margarete Zülch ist von vornehmer Gestalt, sie legt unverkennbar Wert auf ihr Äußeres. Ihre kurzen, braun gefärbten Haare sind sorgfältig frisiert, die hellblaue Bluse ordentlich gebügelt. Doch wenn sie den Begriff «Coffee to go» in den Mund nimmt, zuckt sie ein wenig zusammen. Sie sagt diesen Begriff mit so viel Verachtung in der Stimme, wie es einer freundlichen, lebensklugen Dame im Alter von 94 Jahren gegeben ist.

Für Kaffee brauche man Kaffeekultur, einen Tisch, am besten natürlich einen Stuhl oder ein Sofa, jedenfalls eine Tasse aus Porzellan, sagt sie, während sie in der Wohnung über ihrem Frankfurter Kaffeegeschäft sitzt. Unmengen von Fotos aus längst vergangenen Zeiten zieren ihr Wohnzimmer. Ihre langen, schlanken Hände kreisen auf dem Tischtuch um die Tasse, die vor ihr steht. Und sie sagt: «Für Kaffee braucht man Zeit.» Ohne dass er beim Laufen rechts und links über den Rand schwappt. Auch wenn für dieses Dilemma schon die ergonomischen Plastikdeckel erfunden wurden. Mehrere Dutzend unterschiedliche Patente gibt es darauf inzwischen.

Margarete Zülch sieht keinen besonderen Sinn darin, den Kaffee unterwegs zu trinken. Und schon gar keinen Vorteil. Das mag daran liegen, dass Kaffee für sie schon immer etwas Besonderes war. Etwas, für das man sich Zeit nehmen muss. Mit dem süßlich-herben Kaffeegeruch in der Nase ist sie aufgewachsen, sie hat den Zweiten Weltkrieg überstanden, selbst als sie aus ihrem Kaffeegeschäft herausgebombt wurde. Sie hat es neu aufgebaut und sich tagein, tagaus hinter die Ladentheke gestellt, um den Kunden Kaffee einzuschenken. Und sie drückt ihnen selbstverständlich auch schweren Herzens Pappbecher in die Hand, seitdem dieser Wunsch nach dem mobilen Verzehr auch hierzulande um sich gegriffen hat.

 

Der Pappbecher als Symbol

Man darf die Symbolkraft des Pappbechers nicht überhöhen, aber immerhin ist der Kaffeegenuss doch ein Indiz dafür, wie es um die Hast in der Gesellschaft bestellt ist. Denn daran wird deutlich, wie viel Zeit die Menschen haben, oder eher: wie viel Zeit sie sich nehmen. Kaffee bietet keine lustvolle Inspiration mehr. Oft ist es die letzte Möglichkeit, auf dem Sprung ins Büro die Mittagspause noch hinauszuzögern. Das muss schnell gehen – umso besser, wenn es dann auch noch schmeckt. Doch einen Kaffee, den man nur hinunterstürzt, kann man sich genauso gut sparen, findet Margarete Zülch.

Auch Jürgen Bock hält nicht mehr viel von Gleichzeitigkeit. Nach seiner Erfahrung mit der Kantinen-Band verzichtet er jetzt darauf, allzu viele Dinge auf einmal geschehen zu lassen. In seinem Culture Club in der Otto-Gruppe in Hamburg wird erst gegessen, dann kommen die Filme. Eine Dreiviertelstunde Zeit gibt’s dafür. Jürgen Bock hat die Geschichte eines amerikanischen Kriegsveteranen ausgewählt, der aus dem Golfkrieg versehrt nach Hause zurückkehrt und den Rest seines traurigen Lebens auf Krücken verbringen muss. In seiner Ankündigung sagt Bock dazu: «Ich liebe es, wenn Menschen über sich hinauswachsen.»

Der arme Mann wird immer fetter und unglücklicher, bis er im Internet auf den einzigen Yogalehrer trifft, der ihn nicht als einen hoffnungslosen Fall sieht. Eisern beginnt er zu trainieren, fällt wie ein nasser Sack zu Boden und steht doch immer wieder auf. «Dass ich es heute nicht kann, bedeutet noch lange nicht, dass ich es nicht eines Tages kann», bellt er trotzig in die Kamera. Am Ende des kleinen Films hat er 70 Kilo abgenommen und kann nicht nur humpeln, sondern kraftvoll rennen. Und auf dem Kopf stehen. Als das Licht wieder angeht, haben die Kollegen Tränen in den Augen, Jürgen Bock lächelt zufrieden. Diese Mittagspause hätten sie auch mit leichterer Kost, in der Kantine oder im Fitnessstudio verbringen können.

Doch das wollen sie nicht, niemand verlässt früher den Saal, als er unbedingt muss. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Leute hier die Plätze hart erkämpft haben. Schon wenige Stunden nach der Ankündigung sind Bocks Veranstaltungen immer heillos überbucht. Anscheinend hat er jetzt etwas gefunden, was die Kollegen fesselt, ohne der Pause ihren tieferen Sinn zu rauben. Auch so ist sie eine Auszeit, um neue Energie zu tanken.

 

Auszeit, um Energie zu tanken

 

Als das Licht wieder angeht, haben die Kollegen Tränen in den Augen, Jürgen Bock lächelt zufrieden. Diese Mittagspause hätten sie auch mit leichterer Kost, in der Kantine oder im Fitnessstudio verbringen können. Doch das wollen sie nicht, niemand verlässt früher den Saal, als er unbedingt muss. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Leute hier die Plätze hart erkämpft haben. Schon wenige Stunden nach der Ankündigung sind Bocks Veranstaltungen immer heillos überbucht. Anscheinend hat er jetzt etwas gefunden, was die Kollegen fesselt, ohne der Pause ihren tieferen Sinn zu rauben. Auch so ist sie eine Auszeit, um neue Energie zu tanken.

 

 

­­­­­­­­

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*