Woydich in New Delhi (8) – ein Wirtschaftsstudent in Indien: Bahnfahren nur mit Warteliste

Tobias Woydich, 26, studiert Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal, macht seinen Master und absolviert für drei Monate ein Auslandssemester am Management Development Institute (MDI) in Gurgaon, einer Satellitenstadt 20 Kilometer von New Delhi entfernt. Folge 8.

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Mit 140 Euro fünf Tage lang Taxifahren

Bisher hatte ich die meisten Wochenend-Trips mit dem Auto unternommen, denn ein Auto mit Fahrer ist bei drei bis vier Mitfahrenden kaum noch teurer ist als eine Bahnfahrt. Unsere fünftägige Fahrt nach Rishikesh kostete mit einem Fahrer 10.000 Rupie, das sind etwa 140 Euro. Für uns vier machte das 35 Euro pro Mann und Nase aus. Wer die Fahrten macht? Die Taxifahrer können einem fast immer wen vermitteln – alles weitere ist dann Verhandlungssache.

 

Bahntickets einfach kaufen? So einfach geht’s nicht

Am letzten Wochenende war dann eine Wochenend-Trip nach Varanasi – das ist 700 Kilometer weg – geplant. Diesmal mit der Bahn und über Nacht. Das bedeutete zwölf Stunden Bahnfahrt. Der Start sollte um 21 Uhr sein und wegen der langen Fahrzeit hatten wir alles eng durchgetaktet. Auch die Rückfahrt war längst gebucht, doch so einfach, wie man sich den Kauf eines Bahntickets vorstellt, läuft es in Indien nicht.

 

Bahnfahrten nur mit Warteliste

Bahnreisen kann man schon sechs Monate im voraus buchen. Aber wer – wie wir – erst zwei Wochen vorher bucht, muss auf die Warteliste. Immerhin: Position eins und zwei. Sollte kein Problem sein, versicherten uns unsere indischen Freunde. Das einzige Problem dabei: man  erfährt erst frühestens am Tag zuvor und spätestens vier Stunden vor der Abfahrt, ob man es schafft, mitzukommen. Für das Ticket auf Position eins bekamen wir denn auch unsere Bestätigung in der Nacht vor der Abfahrt. Position zwei erst fünf Stunden vorher – nach einem nervösen Nachmittag. Es konnte also losgehen – dachten wir.

 

Sechs Stunden Verspätung sind normal

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Am Bahnhof tauchte unser Zug aber merkwürdigerweise gar nicht auf der digitalen Anzeigetafel auf. Weit und breit gab´s in der ganzen Wartehalle aber auch keine andere. Und wieder wurden wir ziemlich nervös.

Unsere böse Vorahnung bestätigte sich denn auch: mindestens sechs Stunden Verspätung prophezeite uns einer der herumstehenden Sicherheitsleute. Mindestens wohlgemerkt, eher mehr. Wir konnten uns also schon mal auf eine Abreisezeit um drei Uhr nachts einstellen – und waren bitter enttäuscht, vor allem nach dem Hochgefühl wegen der ergatterten Tickets. Den Sicherheitsmann ließ unsere Bestürzung ob der langen Verspätung völlig kalt, nur ein Schulterzucken hatte er übrig. Sein magerer Trost: Das sei ja nicht ungewöhnlich und wenn wir unser Geld zurückhaben wollten, könnten wir ja zum Schalter gehen.

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Dass der Bahnhofskiosk Decken und Kissen verkauft, kam den meisten Wartenden nun gerade recht. Viele machten es sich mit den Decken auf dem Boden der Wartehalle bequem. Da unsere Zeit in Varanasi auch ohne Verspätung sehr knapp getaktet war und die sechs Stunden Verspätung bedeutete, dass wir erst Nachmittag statt Morgens ankämen, ließ uns umdenken: dann doch lieber für ein weiteres Wochenende in Varanasi. Ein Finanzverlust war´s zum Glück nicht, man bekommt den vollen Ticketpreis erstattet, sobald der Zug über drei Stunden Verspätung hat.

 

Traditionsbewusst die Torte im Gesicht

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Zu meinem Geburtstag überraschten mich meine Freunde und Kommilitonen mit einer kleinen Party. Getreu der indischen Tradition bekam ich auch eine Geburtstagstorte ins Gesicht geworfen.

 

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Ketchup ist in Indien die klassische Beilage zu jedem noch so kleinen oder großen Essen. Ob belegtes Brötchen oder Reisgericht, ein Tütchen Ketchup liegt fast immer auf dem Teller.

 

Spuckende Taxifahrer an Ampeln

Gelernt habe ich, dass Kautabak gerade bei Taxifahrern sehr beliebt ist. Doch als der Fahrer bei meiner ersten Fahrt plötzlich die Tür aufriss und rot auf den Boden spuckte, erschrak ich mich mächtig.  Ich war so perplex, dass ich mich erst an der nächsten Ampel traute, nachzufragen. Seitdem sehe ich an fast jeder Ampel, wie Taxifahrer rasch ihre Türen öffnen.

 

Teurer für Touristen

Während man beim Verhandeln mit Taxifahrern nur vermuten kann, dass man als Tourist deutlich mehr berappen muss als Einheimischer, schaffen Museen und  Sehenswürdigkeiten Transparenz. Das offizielle Preismodell sieht für Inder den Eintrittspreis von 40 Rupie und für Auswärtige 500 Rupie vor. Nur das Taj Mahal weicht von dieser Preispolitik ab, dort zahlen alle dasselbe: 1000 Rupie.

Dafür hat sich das Museum in Jodhpur einen besonderen Trick ausgedacht: wer Fotos machen möchte, muss dafür weitere 100 Rupie und darf sich diesen schicken Anhänger an der Kamera befestigen. Das ist immerhin der Eintrittspreis für 2,5 Inder.

 

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Keine Verbesserung der Bargeld-Situation

Der Bargeldmangel, als Folge der Abschaffung von 500 und 1000 Rupie-Scheinen vor vier Wochen, hat sicher leider noch immer nicht erholt.

 

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Die wenigsten Geldautomaten spucken Bargeld aus und wenn, bilden sich irre lange Schlangen. Man braucht schon sehr viel Glück. Auf dem Foto befragt eine Fernsehreporterin dazu einen wütenden Mann.

 

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Auf dem Tresen eines Kiosks mitten in New Delhi sehe ich plötzlich etwas sehr alt bekanntes: ein Fünf-Mark-Stück. Die Erklärung: Es ist das Hobby des Kioskverkäufers, er sammelt seit vielen Jahren ausländische Münzen.

 

High-Five oder Selfie

Vor ein paar Tagen haben Christian, mein Kommilitone aus Wuppertal, und ich einen Slum in Delhi besucht. Wir haben Kleidung mitgebracht, die wir an einige Menschen dort verteilten und sprachen mit den Organisatoren einer Hilfsorganisation über die Spendensituation. Besonders beeindruckt hat mich die Fröhlichkeit der Kinder dort, die in jeder Straße auf uns zu gerannt kamen und entweder ein High-Five machen oder in verschieden Posen mit dem Handy fotografiert werden wollten, um das Foto danach begeistert den anderen Kindern zu zeigen.

 

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Vier Toiletten für 30.000 Menschen

Im ganzen Slum leben 30.000 Menschen, für die es dort vier intakte Toiletten und fünf Ärzte gibt. Zugang zu Wasser haben etwa 50 Prozent der Bewohner, allerdings zu unregelmäßigen Zeiten. Wir waren auch ein einem Kindergarten, der aus einem etwa 10 Quadratmeter großem Raum besteht, in dem die Kinder auf dem Boden saßen. Und in einer Nähschule, wo jungen Frauen der Umgang mit Nähmaschinen beigebracht wurde. Die Schulleiterin erzählte, dass sie mit 15 Jahren verheiratet und meist mit 17 Jahren zum ersten Mal schwanger werden. In einigen Häusern kann man den Frauen, die nähen gelernt haben, Selbstgenähtes abkaufen, wie beispielsweise einen Stoffelefanten. Männer, sagte man uns, arbeiten wenn, dann außerhalb des Slums und zwar in einfachen Gelegenheitsjobs.

 

 

So kurz vor dem Ende meiner Zeit in Indien hat dieser Tag mich sehr geprägt. Nicht, dass ich die Armut vorher nicht bemerkt hätte, ganz im Gegenteil. Sie ist allgegenwärtig in den allermeisten Straßen Delhis.

 

 

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Die krasse Kontraste, die dieses Land aushält, wurde mir auch nur wenige Tage später erneut klar, als ich auf der Dachterrasse eines Hotels in Gurgaon stand, die gerade für den Geburtstag eines einjährigen Kindes geschmückt wurde. Und natürlich auch über meine eigenen Erlebnisse, wie die Frage, die ich mir während des Schreibens dieses Textes stellte: Für wie viele Inder ist es tatsächlich eine indische Tradition, sich zum Geburtstag Kuchen ins Gesicht zu werfen?

 

 

 

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