Buchauszug: „Die Führungskunst der Jedi“

 

Buchauszug aus „Die Führungskunst der Jedi -Anleitung zur persönlichen Entwicklung als Führungskraft“ von Michael Fuchs / Jochen Messner. Die Analogie zum Star-Wars-Kosmos als Weg „zu einer erfolgreichen Spitzenführungskraft des 21. Jahrhunderts“:

Eine neue Hoffnung

If everyone was satisfied with themselves, there would be no heroes. (Mark Twain)

Wir begegnen dem jungen Luke Skywalker zum ersten Mal in Episode IV „Eine neue Hoffnung“, die 1977 als erster Teil der Star-Wars-Reihe veröffentlicht wurde. Er wächst bei seinem Onkel und seiner Tante auf. Gemeinsam betreiben sie eine Feuchtfarm, um Wasser auf dem völlig ausgetrockneten Wüstenplaneten namens Tatooine zu gewinnen. Obwohl er uns als zentrale Figur vorgestellt wird, der, vom Standpunkt der Jedi betrachtet, die „neue Hoffnung“ ist, bringen wir ihn so gar nicht mit dem Bild eines selbstsicheren, strahlenden Helden in Verbindung. Vielmehr treffen wir ihn als entmutigten, frustrierten jungen Mann, der davon träumt, den Planeten so schnell wie möglich zu verlassen. Zusammen mit seinen Freunden will er die Raum-Akademie besuchen, um Pilot zu werden, wie einst sein leiblicher Vater, von dessen Leben er nur wenig weiß. In den später produzierten Episoden I bis III finden wir dann einige Parallelen zu Lukes Leben. Auch sein Vater Anakin Skywalker wuchs auf dem Planeten Tatooine auf. Als vaterloser Niemand träumte auch er von einem besseren Leben, von einer größeren Bestimmung jenseits des Wüstenplaneten.

 

 

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„Die Führungskunst der Jedi – Anleitung zur persönlichen Entwicklung als Führungskraft“ von Michael Fuchs/Jochen Messner, Haufe-Lexware 2016, 29,95 Euro, 314 Seiten 

Link zum Shop: https://shop.haufe.de/prod/die-fuehrungskunst-der-jedi

 

 

 

Psychologisch betrachtet ist Tatooine der Lebensbereich, in dem viele unserer Bestrebungen nach Transformation beginnen. Wir erkennen, wie ausgetrocknet, leer und trostlos sich unser Leben anfühlt. Die Wüste ist ein Sinnbild dafür, wie sehr wir von der grundlegenden Quelle des Lebens abgeschnitten sind, die häufig vom Element Wasser symbolisiert wird. Unsere Welt ist nicht so lebendig, wie sie sein könnte. Wir fühlen uns fehl am Platz. Unsere Lebenssituation fühlt sich einfach nicht rund an, oder wie der goldene Protokolldroide C-3PO kurz nach seiner Landung auf Tatooine so treffend bemerkt: „Wie trostlos hier. Zum Davonlaufen!“

 

Die bittere Realität in den meisten Unternehmen

Michael Fuchs, Co-Autor

Michael Fuchs, Co-Autor

Genau dieses Gefühl – nicht dazu zu gehören; nicht erwünscht zu sein; es nicht wert zu sein, über alle Vorgänge und Entscheidungen Bescheid zu wissen – ist erstaunlicherweise seit Jahrzehnten die bittere Realität für Mitarbeiter in den meisten unserer Unternehmen. Douglas McGregor verwies bereits in den 60ern mit seiner Theorie X und Y auf zwei völlig unterschiedliche Menschenbilder in den Führungsphilosophien. Für Anhänger der Theorie X ist der Mensch von Natur aus faul und braucht von außen Motivation oder Sanktion. Die Gegenseite sieht den Mensch als kreativen, verantwortungsbewussten, leistungsfreudigen, entwicklungsorientierten Menschen.

 

 

Gegenwehr bei entmenschlichender Behandlung: Dumm stellen

Was tun Menschen, die sich unsicher, dominiert, ausgeschlossen und ängstlich fühlen, deren Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Beteiligung nicht befriedigt werden? Wenn es ihnen nicht möglich ist, sich selbst zu verwirklichen, wenden sie ihren Ärger gegen ihren Vorgesetzten und stellen sich dumm und faul oder lachen hinter seinem Rücken. Es ist ihre Art, sich gegen eine entmenschlichende Behandlung zur Wehr zu setzen. Arbeitsbedingungen (wie die auf Tatooine), die Sorgen und Ängste schüren, verlagern den Schwerpunkt von Wachstum auf Regression.

Wenn du als Manager stattdessen auf gesundes Wachstum und gesunde, ausgeglichene Persönlichkeiten setzt, brauchst du für dich und deine Mitarbeiter Bedingungen, die den Arbeitsplatz zu einem Ort machen, an dem ihr gemeinsam lernen und wachsen könnt. Ein Teil dieser Bedingungen wird sein, dass du deine bisherigen Grundannahmen im Hinblick auf deine Mitarbeiter checkst:

Logbucheintrag: Grundannahmen über Mitarbeiter

·         Menschen können sich verbessern.

·         Menschen ziehen Arbeit der Faulheit vor.

·         Der wichtigste Arbeitsanreiz ist die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse und das Streben nach Selbstverwirklichung.

·         Menschen möchten Verantwortung übernehmen und Eigeninitiative zeigen.

·         Identifiziert sich der Mensch mit dem Sinn und den Zielen der Organisation, dann sind externe Kontrollen nicht notwendig.

·         Bedeutungsvolle Arbeit wird gegenüber sinnloser Tätigkeit von jedem bevorzugt.

·         Menschen treffen weise Entscheidungen, die ihren Bedürfnissen entsprechen.

·         Der Mensch besitzt einen hohen Grad an Vorstellungskraft, Urteilsvermögen und Erfindungsgabe, um organisatorische Probleme zu lösen.

·         Alle folgen einer positiven Einstellung; es ergeben sich Synergien, sodass ein Streben nach Selbst-Interesse allen nützt und ein Streben nach gemeinsamen Interessen jedem Einzelnen nützt.

·         Welchen Annahmen stimmst du zu und welchen nur bedingt oder gar nicht?

 

Lernende Organisationen mit offener, ehrlicher und direkter Atmosphäre

Jochen Messner, Co-Autor

Jochen Messner, Co-Autor

Die Liste könnte noch endlos weiter geführt werden. Entscheidend ist, welches grundlegendes Bild du von deiner Organisation innerlich repräsentiert hast. Denn wie immer dies aussieht: Als Manager beeinflusst du damit die Handlungen deiner Mitarbeiter.

Peter Senge, der Vordenker in Bereich lernender Organisationen, sieht im Lernfeld der „personal mastery“ eine entscheidende Dimension erfolgreichen Managements. Er erkennt in nicht-lernenden Organisationen die fundamentale Schwäche, dass sie die Idee der individuellen Persönlichkeiten nicht fördern. Stattdessen ist jeder dort Teil einer großen Maschine, tut seinen Job ohne aufzumucken oder, noch schlimmer, seine eigene Meinung zu haben. Lernende Organisationen dagegen gestalten eine offene, ehrliche und direkte Atmosphäre, in der einzigartige Visionen gefördert werden und jeder zu Innovationen ermutigt wird, seien sie auch noch so kontrovers gegenüber bestehenden Überzeugungen. Im Grunde geht es bei all dem um das Konzept, dass ein freies Streben jedes Einzelnen nach seinem höchstmöglichen, ihm selbst innewohnenden Potenzial zu reifen, gesunden Persönlichkeiten führt. Mit seiner eigenständig erworbenen inneren Überzeugung leistet jeder freudvoll, konstruktiv hinterfragend seine Arbeit und sorgt so für maximale Synergieeffekte anstehender Aufgaben, egal ob in einer Führungsrolle oder nicht.

Wir brauchen dringend mehr Führungskräfte, die sowohl sich als auch ihre Mitarbeiter auf ihrem Weg der Selbst-Aktualisierung unterstützen und fördern. Unvorhersehbare Marktverschiebungen überraschen uns. Neue, ernst zu nehmende Wettbewerber tauchen plötzlich auf. Die globale Marktwirtschaft entwickelt sich zunehmend komplex und ungewiss. Sogar das Tempo der Veränderungen wandelt sich ständig. Einer derart anspruchsvollen Welt können wir auf Dauer nur mit Managern (als auch ihren Mitarbeitern) begegnen, die fest in ihrer eigenen Mitte verankert sind und gleichzeitig mit flexiblem Selbstverständnis äußere Einflüsse zu lenken verstehen. Wir brauchen Manager, die bereit sind, den Weg der Jedi zu gehen.

 

Der Weg der Jedi – ein Individuationsprozess

Bereit bist du? Von bereit sein, was weißt du davon? (Yoda)

 

Um dich darauf vorzubereiten, den Pfad der Jedi zu gehen, ist ein wenig Hintergrundwissen hilfreich. Du kannst die Ausbildung zum Jedi-Meister vor allem unter zwei Gesichtspunkten sehen: mythologisch und psychologisch. Beide geben dir ein Modell, von dem du lernen kannst, gut zu leben und dich als Führungsperson zu entwickeln. Es geht darum, zu dir selbst Ja zu sagen, deine eigene, besondere Begabung zu finden und in der Welt – in deinem Unternehmen – effektiver und lebendiger zu werden.

Im klassischen Mythos wird das Königreich öde und unfruchtbar, wenn der Herrscher krank wird. Um es wieder zum Blühen zu bringen, muss ein Held sich auf die Reise machen, schwere Prüfungen bestehen, einen heiligen Gegenstand finden (der oft von einem Drachen bewacht wird) und schließlich zurückkommen, um den Herrscher zu heilen oder zu ersetzen. In Episode IV ist es Luke Skywalker, der seine verödete Heimatwelt Tatooine verlässt, Prinzessin Leia aus den Fängen des Imperiums befreit und letztendlich den Todesstern dank seines neu erworbenen Vertrauen in die Macht zerstören kann. In Episode VII ist es Rey auf dem Wüstenplaneten Jakku, die sich als Schrottsammlerin durchschlägt, während sie auf ihre Familie wartet. Tief verborgen im Mythos liegt die eigentliche Bedeutung des Inhalts auf psychologischer Ebene: der innere Drang einer Person, sich einer anstehenden Entwicklungsaufgabe zu stellen.

 

Du bist nicht perfekt und musst es auch nicht sein!

Vielleicht drücken sich z. B. im Laufe deines Führungslebens immer wieder fixe Vorstellungen sozialer Erwünschtheit durch dich aus, die dir sagen, dass du jetzt stark sein musst, den „großen Max markieren“ sollst, um mit gespielter Selbstsicherheit völlig unabhängig eine überzeugende Führungsentscheidung zu treffen. Und weil du es schließlich leid bist, dich selbst zu belügen, machst du dich auf den Weg, bündelst deine Ressourcen und holst dir Hilfe in Form eines Coaches. Du entwickelst so deine Persönlichkeit weiter und kannst nach diesem Entwicklungsschritt in der nächsten anstehenden Entscheidungssituation deine Unsicherheit und Verletzlichkeit offen zeigen. Völlig verblüfft von der positiven Reaktion deiner Mitarbeiter lernst du dabei eine entscheidende Lektion: Du bist nicht perfekt und musst es auch nicht sein! Als gereifte Führungspersönlichkeit und Mentor wirst du von nun an diese Erfahrung an andere weitergeben können und ihnen helfen, ihren eigenen Weg zu gehen. Soweit in Kürze – stark vereinfacht.

Psychologisch betrachtet geht es darum, innere Hemmnisse und Blockaden, neurotische Konflikte, Abwehr- und Überlebensstrategien Schritt für Schritt bewusst zu machen, zu bearbeiten und als Teil deiner Persönlichkeit zu integrieren. Unter all dem unbrauchbaren Mist verborgen liegt dein persönliches Gold, deine Einzigartigkeit, deine Lebendigkeit. In der Psychologie Carl Gustav Jungs nimmt diese Entwicklung zum „Einzelwesen“ eine besondere Stellung ein. Er nennt die Reise den Weg der Individuation.

 

Individuation als Weg der Selbstentfaltung

Analog zur körperlichen Entwicklung wird der psychische Reifungsprozess als ein Vorgang betrachtet, der grundsätzlich natürlich und autonom verläuft. Du könntest ihn also als natürliche Selbstentfaltung betrachten. Doch schon unsere Kindheitsentwicklung ist von zahlreichen Faktoren beeinflusst, aufgrund derer ein bestimmtes Kernbedürfnis nicht voll erfüllt wird. Vielleicht fehlt dir ausreichend körperlicher Kontakt zu deinen nahen Bezugspersonen, oder sie und andere Autoritäten respektieren deine Grenzen nicht, sodass es dir nicht mehr so leichtfällt, dich durch ein ehrliches JA oder NEIN abzugrenzen. Damit du dich zukünftig vor Selbstäußerungen schützt, die Konflikte wachrufen, entwickelt deine Psyche eine schlaue Überlebensstrategie, die dir hilft, im Alltag zu funktionieren. Vielleicht wirst du rebellisch und entwickelst eine Abneigung gegen Autoritäten (warum, denkst du, haben so viele den Wehrdienst verweigert?) oder du machst einen auf Mr. Nice Guy und bist stolz drauf, was du alles aushalten kannst. Wie auch immer, auf dich wartet eigentlich eine Entwicklungsaufgabe: die Fähigkeit, echte Autonomie zu leben. Verweigerst du diese Aufgabe wieder und wieder, vertieft das nur deine Neurose und du bist gefangen im Hamsterrad der dunklen Seite der Macht. Nicht witzig!

Als Ausweg bietet Carl Jung dir an, den Dialog mit dem Unbewussten wieder aufzunehmen. Generell behauptet er, dass es in der Entwicklung des Menschen zu einer Dysbalance gekommen ist, einem Unvermögen des Bewusstseins, sich mit dem Unbewussten auseinanderzusetzen. Brechen wir diesen Dialog ab, erleben wir einen Entwicklungsstillstand, dem Depressivität und Sinnlosigkeit folgen, womit wir wieder beim verödeten Königreich wären und beim Ausgangspunkt unseres Helden Luke Skywalker auf Tatooine.

 

Luke Skywalkers Angst von dunklen Seiten

Luke Skywalkers Individuationsweg beginnt mit einer Kindheit ohne seine leiblichen Eltern. Seine Familiengeschichte wird vor ihm verheimlicht und somit besteht seine Aufgabe darin, seine verlorenen inneren Anteile zurückzugewinnen, um wieder mit sich selbst „ins Reine“ zu kommen. Dazu muss er erkennen, wer sein Vater wirklich ist (Darth Vader), und sich mit seiner Angst konfrontieren, dieselben dunklen Seiten wie dieser zu besitzen. Rey wurde mit fünf Jahren auf Jakku zurückgelassen und schlägt sich seitdem ohne Familie durch.

Du kannst die Individuationsprozesse von Anakin und Luke Skywalker[1] oder Rey als isolierte, individuelle Entwicklungen betrachten oder sie als Teilentwicklungen eines intergalaktischen Systems sehen, ähnlich deiner eigenen Entwicklung im Unternehmen und im Hinblick auf die gesamte Organisation. Die Strukturen und Prozesse des Einzelnen spiegeln sich immer auch in dem Zusammenschluss vieler Individuen zu einem großen Ganzen. Salopp gesagt: Man lebt und arbeitet in der Organisation, die man verdient hat.

Individuation kann als Lebensaufgabe betrachtet werden, die sich über die Phasen der Kindheit, Adoleszenz, Lebensmitte, Lebenswende sowie die Annäherung an die Weisheit (und den Tod) erstreckt. Individuation kann aber genauso gut auf einzelne Lernerfahrungen bezogen werden. Ein bestimmtes Entwicklungstrauma wird ins Bewusstsein geholt, bearbeitet, integriert und steht danach als akzeptierter Bestandteil deiner Psyche im jeweils positiven Ausdruck bereit.

Der Individuationsprozess verhält sich dabei ebenso komplex wie unsere Psyche. Er verläuft parallel, paradox, chaotisch und synchron. Und leider kann selbst der natürlichste Entfaltungsprozess rückläufige Tendenzen haben oder sich selbst zerstören.

 

Lebenserkenntnisse erarbeiten

Jede Entwicklungsaufgabe kann im mythologischen Sinne als „Reise des Helden“ betrachtet werden, auf der eine ganz bestimmte Lebenserkenntnis erarbeitet wird: angefangen von vielen kleinen auf dem Weg bis hin zur finalen Erkenntnis am Ende deines Lebens. Die erfolgreiche Bearbeitung beruht auf den entwicklungsfördernden Kräften der Archetypen, die von Geburt an wirksam sind.

 

Die eigene Entwicklung nur in Bezug zu anderen

Der Prozess findet jedoch keinesfalls isoliert statt. Während du auf der inneren Ebene einen Dialog mit unbewussten Kräften führst, um diese zu integrieren, brauchst du auf der äußeren Ebene die Beziehung zu anderen Menschen. Als soziale Wesen entwickeln wir uns nur in Bezug zu anderen. Gute Freunde, Partner und Mentoren schützen uns davor, uns selbst zu überhöhen. Sie erkennen, wann wir in unserer Entwicklung zu stolz werden und mehr als nur ein gesundes Maß an Narzissmus zur Schau stellen. Gute Beziehungen helfen uns dabei, zunächst eine stabile und stimmige Ich-Vorstellung zu entwickeln, die für den Dialog mit individuell und kollektiv unbewussten Inhalten gerüstet ist. So finden wir zum Beispiel bei großen Künstlern wie Mozart oder van Gogh ein scheinbar hohes Maß an Selbstverwirklichung hinsichtlich der Perfektion ihrer Gaben. Sie zeigen aber ebenso infantile Charakterformen oder psychotische Züge, ein Hinweis auf die Unvollständigkeit ihrer Beziehungen und Persönlichkeit.

 

Fordernde Selbstfindungsprozesse wie bei Helden

Solche Persönlichkeiten können als Beispiel gewertet werden, wie fordernd Selbstfindungsprozesse sind. Wären sie einfach, müsste die Mythologie nicht den Archetyp des mutigen Helden wählen oder den Vergleich mit der Geburt ziehen. Helden treten Drachen entgegen und diese Drachen haben viele Gesichter. Für Menschen, die wenige oder keine Archetypen aus dem kollektiv Unbewussten bewusst in ihr Leben integriert haben, scheint die innere und äußere Welt von Drachen bevölkert und folglich ein sehr angsteinflößender Ort zu sein. Sie ziehen es vor, in einem sicheren, wenn auch viel zu engen Kokon zu vegetieren, da sie die riskante Entscheidung scheuen, den sicheren Ort zu verlassen, ohne zu wissen, ob das, wofür sie sich entscheiden, besser ist.

 

Führen ist, das Risiko der Unsicherheit einzugehen

Wenn wir uns schrecklich fühlen, äußern wir einen Archetyp oft in seiner negativen bzw. Schatten-Form. Um uns wieder gut zu fühlen, müssen wir herausfinden, welcher Schatten-Archetyp uns im Griff hat, und uns dann weigern, von ihm besessen zu sein. Im Allgemeinen gelingt uns das nur, wenn wir den Archetyp als eine Art Verbündeten oder Reisebegleiter respektieren. Da wir ihn irgendwie ausdrücken müssen, entscheiden wir uns am besten für seine positive Form. Solange wir einen Archetyp in unserem Leben nicht als Führer zulassen, wird er sich uns als Drache entgegenstellen. Führen heißt daher nicht, die Sicherheit zu verteidigen, sondern das Risiko der Unsicherheit einzugehen und sich immer wieder auf eine Reise zu machen. (Da wir hier immer wieder von einer Reise sprechen werden, sollten wir dich dringend darauf aufmerksam machen, dass wir nicht von einer Reise von A nach B sprechen, sondern eher das Reisen an sich meinen.)

 

Das Ich und das Selbst

Das Prinzip der Heldenreise ist ein zyklisches Unterfangen, ein spiralförmiger Entwicklungsweg. Wir werden dir Archetypen als Reisebegleiter vorstellen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt der Reise als nützliche Verbündete zeigen, gleichermaßen aber verschiedene Erkenntnisebenen halten. Es ist wie bei Luke Skywalker, der sich in jeder Episode mit dem Archetyp des Kriegers verbindet, ihn aber bei zunehmendem Bewusstseinsgrad in immer höheren Formen ausdrücken kann. Kämpfen, um zu gewinnen, kann jeder. Für das zu kämpfen, was wirklich wichtig ist, braucht es ein höheres Maß an Bewusstheit und Einsichtsfähigkeit. Wenn du auf der spiralförmigen Reise zahlreichen Archetypen viele Male begegnest, hinterlässt jede dieser Begegnungen einen Abdruck in deiner Psyche. Allmählich bildet sich ein Netz, das geeignet ist, bestimmte Erfahrungen zu verinnerlichen, zu halten, zu verstehen. Archetypen, die wir noch nicht bewusst erlebt haben, sind wie Löcher im Netz. Erfahrungen, die wir kaum oder noch nicht verstehen, fallen einfach hindurch.

Wie bereits erwähnt, werden Archetypen als strukturierende oder ordnende Instanzen der Psyche wahrgenommen. Um diese Metapher noch etwas weiter zu strapazieren, werden wir dir an dieser Stelle einen stark vereinfachten Bauplan der Psyche präsentieren. Wir beginnen dazu mit dem Archetyp, mit dem das Leben beginnt und mit dem es endet: dem SELBST (mit großem „S“!). Während du als Embryo, Neugeborenes oder Säugling zwar schon alle körperlichen Sinne recht differenziert einsetzen kannst, entspricht deine Wahrnehmung der Welt um dich herum eher einem Gefühl als einer strukturierten Begriffswelt. Es fühlt sich „behaglichwohliggeborgen“ an oder „kantigkaltbedrohlich“ oder eben begrifflich unbeschreiblich. Wir nehmen die Welt in einer Verbindung aus bewussten und unbewussten Eindrücken wahr und erleben uns als Teil einer Gesamtheit.

Nach und nach beginnen wir mit Hilfe unserer Sinne, die Welt zu differenzieren. Kommen wir als Mädchen zur Welt, erkennen wir, dass unser Vater irgendwie anders gebaut ist und nennen ihn recht schnell Papa. Als Junge geht es uns ähnlich mit der Mutter. Wir trennen und schärfen die Erscheinungen dieser Welt, bis wir uns schließlich zum ersten Mal im Spiegel selbst erkennen und einen zweiten Archetyp oder Komplex verkörpern: Das ICH.

Aus der Erfahrungswelt des Selbst bildet sich eine Zuschreibung von bewusst erlebten oder gewählten Eigenschaften heraus, die wir im Laufe des Lebens weiter nähren und verfestigen. Und jetzt haben wir die beiden Halunken, die Spannung in unser Leben bringen: einen bewussten in der Lebensrealität verankerten Persönlichkeitsanteil namens „Ich“ und ein unbewusstes Selbst, das Schwerpunkt und Ganzheit unseres Daseins verkörpert und mit dem Mysterium kollektiv unbewusster Menschheitserfahrungen verbunden ist.

Joseph Campbell verwendete zur Veranschaulichung dieser Struktur einen kleinen Kunstgriff, indem er einen Kreis malte, der wie bei Platon für die Seele oder Gesamtpsyche steht (treffender wäre eine Kugel, doch die 3-D Technik war bei den Griechen noch nicht ausgereift …). Dann zog Campbell eine horizontale Linie, um die Trennung von Bewusstem und Unbewusstem darzustellen. Der Punkt unterhalb der Linie stellt das Zentrum dar, aus dem all unsere Energie kommt. Oberhalb der Linie befindet sich das Ich, als Quadrat dargestellt. Ich und Selbst stehen in einem sehr ambivalenten Spannungsverhältnis. Wie in unseren Liebesbeziehungen streben beide nach Autonomie, wollen aber ebenso gerne miteinander verschmelzen. Es ist das Paradoxon dieser Spannung, das uns den Antrieb für all unsere Wachstumsimpulse gibt: Ein stetig fließender ungehinderter Dialog zwischen Ego (hier synonym verwendet wie Ich) und Selbst.

Doch zunächst ist der Dialog gestört. Unser Ego glaubt, es wäre Herrscher über unsere Psyche und plustert sich auf. Was für ein Affentheater!
Das Ich beziehungsweise Ego

Bevor wir dir hier wieder einmal die Dysbalance zwischen dem bewussten Ich und dem unbewussten Selbst um die Ohren hauen, wollen wir eine Lanze brechen für das Ego und mit einem esoterischen Missverständnis aufräumen. In diesem Körper brauchen wir das Ego. Wir wollen es nicht loswerden und auch nicht auflösen. Ohne ein Ich wären wir nicht lebensfähig. Vielmehr noch: Wir legen uns voll rein in eine gesunde, stabile Ich-Entwicklung als Basis und Vorbereitung für die Heldenreise! Warum? Weil es uns schützt. Physisches Überleben ist das erste Anliegen unseres Ego. An zweiter Stelle sorgt es für unser emotionales Überleben. Als Ansammlung von Erinnerungen, Ideen, Überzeugungen, Annahmen und Erwartungen wird es geformt durch die anhaltenden Erfahrungen des Lebens.

Das Ich bildet unsere Identität. Es repräsentiert unsere Tatkraft, die Freude zu maximieren und Schmerzen zu minimieren. Es hilft uns, unsere Grenzen zu setzen und zu wahren – unser Gefühl dafür, wo wir aufhören und andere anfangen. Das Ich-Bewusstsein mit seinen verschiedenen Funktionen, die der Realitätsbewältigung dienen, kann seinen Aufgaben nur nachkommen, wenn es vor allzu vielen Eindrücken bewahrt wird. So muss schon im Alltagsgeschehen der überwiegende Anteil von Sinneseindrücken vom Bewusstsein ferngehalten werden. Gelingt dies nicht, befinden wir uns in einer Welt mit autistischen Zügen, in denen wir vielleicht einen Stapel Telefonbücher auswendig lernen können, aber nicht fähig sind, uns allein die Schuhe zuzubinden. Weitere Gefahren drohen dem Ich, wenn es sich fälschlicherweise für das Selbst hält (narzisstische Persönlichkeitsstörung), gegenüber dem Selbst eine rigide, extreme Stellung einnimmt (Veränderungsresistenz) oder von den Inhalten aus dem Unbewussten überwältigt wird (einer oder mehrere Archetypen drücken sich unkontrolliert über die Person aus).

An der Figur Luke Skywalker sehen wir, dass er mit einer gesunden Ego-Stabilität in seine Ausbildung geht. Er zeigt einen guten Zugang zu seinen Bedürfnissen und lässt sich eher von seiner Neugierde und dem Wunsch nach Gemeinschaft leiten als von seinen Ängsten. Eine instabile Ego-Entwicklung zeigt uns dagegen Anakin Skywalker. Seine ständige Furcht vor Verlust lässt die Grenzen seiner Bewusstheit aufweichen, so dass der Schattenkrieger sich ungehindert durch ihn ausdrücken kann. Sein blinder Zorn lässt ihn zahlreiche wehrlose Frauen und Kinder töten, als er seine Mutter bei den Tusken-Räubern auf Tatooine findet und ihren Tod emotional nicht aufarbeiten kann.

 

Das Selbst

Während dein Ich-Bewusstsein also wie ein Türsteher nur die flotten Leute hereinlässt, übernimmt dein Selbst eher die Rolle des Clubbesitzers. Es ermöglicht dir Initiative, nimmt alle Eindrücke auf und stellt einen geeigneten Ort für Ambitionen, Ideale und Talente bereit. Da das Selbst die Ganzheit deiner Gesamtpersönlichkeit ausdrückt und damit sowohl einen bewussten als auch einen unbewussten Aspekt hat, erscheint es in Träumen, Mythen und Märchen häufig in der Figur einer „übergeordneten Persönlichkeit“. Es kann als König, Held, Prophet, Heiland oder in Symbolen, wie Kreis, Quadrat, Kreuz usw. auftauchen. Diese archetypische Repräsentation entspricht dem, was in der analytischen Psychologie Jungs als „Numinosität“ bezeichnet wird.

Es ist die Erfahrung einer gewaltigen und bezwingenden Kraft, die einen noch undeutlichen, anziehenden und schicksalhaften Sinn in sich trägt, wie bei Luke Skywalker, der als „neue Hoffnung“ das Gleichgewicht der Macht wiederherstellen soll. Ein solch eindrückliches Geschehen wird heute vielfach als „Peak Experience“ bezeichnet. Du kennst dieses Gefühl vielleicht nach einer bedeutenden Präsentation oder einem besonders intensiven Feedback-Gespräch mit deinen Mitarbeitern bzw. privat aus einer Phase des sich Neu-Verliebens oder aus einem Flow-Erlebnis beim Sport. Du fühlst dich leicht und glücklich, kreativ und innovativ. Deine Neugierde auf die Intensität des Lebens fühlt sich erfüllend und aufregend an. Begibst du dich in eine solche Erfahrung, bist du in gutem Kontakt mit deinem archetypischen Selbst.

 

Der natürliche Zugang zum eigenen inneren Potenzial

Das Drama beginnt, wenn du diesen wunderbaren Zustand den äußeren Bedingungen oder anderen Menschen zuschreibst. Du denkst, der berufliche Erfolg hat dich in diesen Gemütszustand versetzt, der neue Job oder die anderen Teammitglieder. Du glaubst, eine Wiederholung deines Spitzenmoments ist nur mit und durch andere möglich. Dabei ist es dein natürlicher Zugang zu deinem eigenen inneren Potenzial, der jederzeit abrufbar ist. Leider erschaffen wir eine Geschichte über uns selbst und wer wir sind, bestätigen diese Geschichte durch andere, die gut in dasselbe Bild passen, und glauben dann fest an die Wahrheit dieser Story. Wir arbeiten so sehr daran, unser Ich der äußeren Welt anzupassen, dass wir fast vergessen haben, das Ich in größere Übereinstimmung mit der Ganzheit des inneren Seins, also mit dem Selbst zu bringen.

Doch es gibt Hoffnung! Wenn du dich für die Regulationsimpulse aus dem Selbst öffnest, sie erkennst und verstehst, kannst du Veränderungen in deinem Verhalten und deinen Lebensplänen initiieren. Die Zeit ist reif für einen neuen Ansatz in der Führungskräfteentwicklung, der es Führungskräften ermöglicht, Herausforderungen mit einem inneren Gefühl der Zuversicht zu begegnen – eine neue Ebene der Führungs-Bewusstheit. Dieser innere Transformationsprozess ermöglicht es dir, in der heutigen Komplexität und Herausforderung komfortabel und zuversichtlich zu handeln und Transformationsprozesse bei deinen Mitarbeitern, im Team und in der Organisation erfolgreich zu begleiten.

 

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