Wenn Online-Bewerberformulare die richtigen Leute nur vertreiben – Gastkommentar Personalprofi Hermann Arnold

Tatort Personalabteilung:

Online-Formulare sind Folterinstrumente: Unternehmen verprellen damit nur vielversprechende Bewerber.

Gastbeitrag von Berater Hermann Arnold von Haufe Umantis, dem IT-Pionier und Spin-Off der Uni St-Gallen.

 

Hermann Arnold

Hermann Arnold

 

 

Ausgerechnet im Silicon Valley – dem Mekka der als Datensammler bekannten Riesenkonzerne – wollen zumindest Start-ups das ohnehin lästige Daten-Eingeben in Online-Bewerberformulare der Unternehmen in Zukunft abschaffen. Streichen, komplett. Ersatzlos.

 

Wunderbar. Das war überfällig, denn Unternehmen verschrecken mit ihren umständlichen Bewerberformularen die angeblich so heiß umworbenen Kandidaten.

 

Auch die meisten Arbeitgeber in Deutschland haben das noch nicht erkannt und verweisen fast stolz die Kandidaten ab ins Internet. Ob sie nicht verstehen, dass dies eine unnützen Foltermethode ist? Ob sich noch kein Entscheider mal selbst die Zeit genommen hat, Bewerber im eigenen Unternehmen zu spielen und die Online-Bewerber-Formulare auszuprobieren? Ich fürchte es fast. Ein Unding eigentlich.

 

Bewerber nur in Schubladen stecken

„Wir suchen Mitarbeiter, die flexibel sind, Trends erkennen und vorantreiben, ergebnisorientiert denken und unser Unternehmen zum Erfolg führen“, versuchen die Unternehmen landauf, landab zu suggerieren. Stattdessen: Der erste Eindruck, den sie vermitteln, sind diese Mammut-Formulare, mit denen wir den Bewerber einschätzen. Oder besser in eine oder mehrere Schubladen stecken.

 

Und wie: Bürokratische Formulierungen, langwierige Prozesse und belanglose Fragen quälen die Interessenten. Modern präsentieren sich diese Unternehmen jedenfalls nicht, sondern im Gegenteil, als ziemlich rückständig. Erwarten sie ernsthaft auf diesem Weg Bewerbungen von Menschen, die für uns die Welt verändern wollen und sollen?

 

Bis dahin so schwachsinnig. Aber weiter im Text: Die Schubladen sind viel zu ungenau. Wenn in Online-Formularen der Bewerber um eine Einschätzung seiner kommunikativen Kompetenz gebeten wird – auf einer Skala von ein bis zehn – wird er sich entweder zu gut punkten oder tief stapeln. Nur wie kann ein Unternehmen die zwei unterscheiden und wenn doch, was wäre denn der bessere Kandidat?

 

Vermutlich letzterer, wenn man keinen Super-Selbstvermarkter sucht, sondern einen pflichtbewussten Arbeitnehmer. Und für welchen entscheidet sich ein Unternehmen aufgrund der eingetippten Daten? Vermutlich für den ersteren. Sehen Sie den Unfug?

 

Unbedachte Hindernisse für interessante Bewerber 

Hinzu kommen Fragen, die eine Zahl von Bewerbern gar nicht beantworten können – und hier aufhören müssen. Beispielsweise bei der Frage nach Abschlussnoten. Die einzige Möglichkeit der Eingabe: Zwei Zahlen mit einem Komma dazwischen. Was aber, wenn der Bewerber im Ausland Abitur gemacht oder studiert hat – und seine Noten nicht dem deutschen Notensystem entsprechen? Ausländische Bewerber sind erst recht benachteiligt.

Und: Ist eine schnöde Zahl wirklich aussagekräftig, wenn es bei meiner ausgeschriebenen Stelle in Wirklichkeit vor allem beispielsweise auf naturwissenschaftliche Begabungen ankommt?

 

Sinnlose Tests, statt gezielter Fragen

Die Krönung der Bewerber-Erniedrigung sind dann zeitaufwändige Tests unter Zeitdruck, die den Frust komplett machen. Ganz abgesehen davon, dass offenbar manche Unternehmen identische Tests verwenden – ein wunderbares Bild geben sie ab und machen sich sicher nicht attraktiv damit.

 

Wäre es nicht viel sinnvoller, einige wenige gezielte, auf die spezifische Stelle zugeschnittene Fragen zu stellen? Zum Beispiel können relevante Kenntnisse wie Programmiersprachen oder Zertifikate abgefragt werden, die für die Stelle unmittelbare Voraussetzung sind. Auch offene Aufforderungen bieten sich an: Bitte beschreiben Sie uns – ausnahmsweise einmal ehrlich – was Sie dazu motiviert, sich bei uns zu bewerben.

 

Bewerber zum Lügen zwingen

Zumal: Welch sinnlose Mühe ist es, wenn junge Menschen, die oft 100 Bewerbungen und mehr schreiben müssen, jedes Mal neue Lügen erfinden sollen, warum sie nur zu dem einen Unternehmen wollen? Dann könnte man besser den Spieß umdrehen und den Bewerber auffordern: Schreiben Sie mal in genau einem Satz auf, was wir für ein Unternehmen sind und an welcher Position Sie arbeiten möchten – dann muss er sich schon genug mit der Firma auseinandersetzen.

 

Ebenso spannend: Was macht uns für Sie interessant im Vergleich zum Wettbewerb? So werden Motivation und Hintergrundwissen gleichermaßen geprüft.

Denn im Grunde sollen diese wenigen Fragen ein erstes gegenseitiges Abtasten vorab sein. Der Bewerber muss an den Fragen genau erkennen können, welche Mindestanforderungen die Firma stellt. Beide Seiten müssen anhand der Fragen und Antworten entscheiden können, ob der Kandidat grundsätzlich auf die Stelle passt.

 

Bewerberdaten halten so lange wie eine Tafel Schokolade

Und dann das Argument, es habe Sinn, möglichst viele Bewerberdaten zu sammeln, um zu einem späteren Zeitpunkt für andere Stellenausschreibungen darauf zurückgreifen zu können. Was das für ein Quatsch ist, kann jeder Headhunter erzählen. Die Daten sind in spätestens einem Jahr veraltet und unbrauchbar. Die wirklich guten Bewerber sind bis dahin ohnehin weg vom Markt. Die kann man als Unternehmen nur über persönlichen Kontakt gewinnen. Umständliche Bewerberformulare mit irrelevanten Datenabfragen helfen dabei nicht.

 

So übel war die alte Stellenanzeige in der Samstagszeitung gar nicht 

Wir müssen verstehen, dass die Welt sich verändert und Beispiele, wie es klappen kann, gibt es durchaus. Private Partner werden heute über Tinder gesucht – ein paar wenige Bilder, noch weniger Worte, ein Swipe nach rechts und der erste Kontakt ist gemacht. Diese Unkompliziertheit würde auch mehr Wunschkandidaten anziehen. Man muss es ihnen nur leicht machen, mit den Firmen Kontakt aufzunehmen, statt immer höhere Mauern drum herum zu bauen. So wie bei der guten alten Stellenanzeige in der Zeitung, über die die Leute beim ausgedehnten Samstagsfrühstück zufällig stolperten – auch wenn sie gar nicht auf Stellensuche waren.  Aber dann doch ins Überlegen kommen – und sich verführen lassen, eine angegebene Telefonnummer anzurufen. Das waren eigentlich noch die besseren Köder.

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