Verhandeln: Ein Blatt Papier ist besser als die beste Knowledge-Management-Software – Buchauszug Matthias Schranners „Der Verhandlungsführer“

Matthias Schranner ist Experte für Verhandlungstechniken. Er verhandelte bereits mit Geiselnehmern, Bankräubern, er berät die UN ebenso wie Unternehmen oder Parteien. In diesem Buchauszug ein paar seiner Tipps:

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Prüfen Sie jede Information doppelt
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„Polizist erschießt Hausbesitzer!“ – So lauteten die Schlagzeilen, nachdem ein Kollege der Zivilfahndung einen Mann erschossen hatte. Natürlich schoss der Kollege nicht vorsätzlich. Es lag ein Missverständnis zugrunde, das vermeidbar gewesen wäre: mit dem Double-Check der Informationsgewinnung. Eine ältere Frau rief gegen 22 Uhr in der Einsatzzentrale der Polizei an und machte folgende Mitteilung: „Mein Nachbar ist im Urlaub und hat mich gebeten, auf das Haus aufzupassen. Jetzt habe ich von meinem Haus aus gesehen, dass beim Nachbarn eine Person über das Grundstück gelaufen ist und dass eine Leiter am Balkon angelegt ist.“
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Die Einsatzzentrale der Polizei gab über Funk an die uniformierten Kollegen die Meldung weiter: „Verdächtige Person auf dem Grundstück … in der Ortschaft …“ Wenige Minuten nach diesem Funkspruch trafen mehrere Einsatzfahrzeuge am Tatort ein, darunter auch zwei Einsatzfahrzeuge der Zivilfahndung. Der weitere, detaillierte Verlauf ist nicht zweifelsfrei geklärt. Wenn Sie „Stille Post“ aus der Schulzeit noch kennen, dann wissen Sie, welche Kommunikationsstörungen auftreten können. Ein uniformierter Kollege sagte vermutlich zu einem Kollegen der Zivilfahndung, dass eine verdächtige Person über die Leiter auf den Balkon gestiegen sei. Der Beamte der Zivilfahndung unterrichtete dann wohl seine Kollegen, dass ein Einbrecher in das Haus eingedrungen sei.
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Und jetzt wurde ein großer Fehler gemacht: Diese Information – ein Einbrecher ist im Haus – wurde nicht mehr überprüft, also nicht mehr „doppelt gecheckt“. Ein Beamter der Zivilfahndung kletterte die Leiter hinauf, um den vermeintlichen Einbrecher in der Wohnung zu fassen beziehungsweise ihm zumindest diesen Fluchtweg abzusperren. Als der Beamte den Balkon betrat, sah er, wie der Lauf eines Gewehres durch die Jalousien gesteckt und auf ihn gezielt wurde. Dann wurde auf ihn geschossen. Er zog noch schnell seine Pistole und schoss zurück. Der Mann hinter dem Gewehr wurde tödlich getroffen. Es war der Hausbesitzer. Er kam früher als erwartet aus dem Urlaub zurück und sah, nachdem er sein Haus betreten hatte, wie mehrere Männer in Zivilkleidung durch seinen Garten liefen. Er fühlte sich bedroht, glaubte wohl, dass ihn jemand ausrauben wollte und schoss mit einer Schreckschusswaffe auf den vermeintlichen Einbrecher.
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Ich möchte an dieser Stelle nicht Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit und Vermeidbarkeit bewerten. Ich möchte aufzeigen, welche verheerenden Folgen es haben kann, wenn einer einzigen Information so viel Vertrauen geschenkt wird. Bei einem Einsatz von polizeilichen Verhandlungsführern werden deshalb alle Informationen zweimal überprüft. Das hat nichts mit grundsätzlichem Misstrauen zu tun, sondern mit Erfahrung. Diesen Double-Check bei der Informationsgewinnung empfehle ich auch Ihnen. Sobald Sie Informationen bekommen haben, sollten Sie diese auf dem Information Board notieren und dann ein zweites Mal kontrollieren.
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Verhandlungsexperte und Autor: Matthias Schranner

Verhandlungsexperte und Autor: Matthias Schranner

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Die Informationsbeschaffung
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Beschaffen Sie sich alle Informationen über Ihren Verhandlungspartner, sein Unternehmen, seine Kollegen, seine Vorgesetzten, seine Mitarbeiter. Sammeln Sie dabei alle Informationen, die Sie bekommen können, auch wenn diese zu diesem Zeitpunkt noch nicht relevant erscheinen mögen. Recherchieren Sie im Internet, tragen Sie den Namen Ihres Verhandlungspartners in die Suchmaschinen ein. Eine andere Möglichkeit besteht darin, seine Homepage zu besuchen und auf „Wir über uns“, „Unser Team“ oder Ähnliches zu klicken. Des Weiteren können Sie alle Kontaktpersonen fragen, die Ihren Verhandlungspartner kennen. Rufen Sie im Sekretariat an und holen Sie sich die Informationen, die Sie benötigen.
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Nutzen Sie das Information Board
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Verhandlungsführer der Polizei sitzen während der gesamten Zeitspanne einer Verhandlung meist sehr abgeschirmt und von anderen abgesperrt in einem Verhandlungszimmer. In diesem Zimmer hängt direkt im Blickfeld des Verhandlungsführers ein großes Stück Papier als Information Board. Auf dieses Board werden alle Informationen für diese Verhandlung geschrieben. Wenn es sich beispielsweise um eine Geiselnahme handelt, dann werden alle Informationen über den Täter, die Geiseln, den Tatort, die Angehörigen der Geiseln sowie der Wetterbericht und so weiter notiert. Wichtig ist dabei, dass alle Informationen aufgeschrieben werden, auch diejenigen, die im ersten Moment nicht als relevant eingestuft werden.
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Als Überschrift dieses Information Boards wird das Ziel der Verhandlung geschrieben. Dick und auffällig steht das Ziel der Verhandlung über allen Informationen. Die Auffälligkeit des Verhandlungszieles hat zwei große Vorteile:
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1. Der Verhandlungsführer weiß immer, in welche Richtung er zu verhandeln hat. Er kann alle Informationen sehr schnell aufnehmen, kategorisieren und auf das Information Board schreiben.
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2. In Phasen mit einer hohen Stressdosis wird er weiter zielgerichtet agieren und nicht emotional reagieren.
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Das Information Board ist das einfachste und wirksamste Werkzeug des Knowledge Managements. Wenn Sie in einem Team verhandeln, dann müssen alle Informationen immer für alle Teammitglieder sichtbar sein. Es gibt sehr aufwendige Software-Lösungen, um das Wissen der einzelnen Mitarbeiter abzuspeichern und aufzurufen. Es kann natürlich nur das abgerufen werden, was eingegeben worden ist. Es ist ernüchternd, aber meine Erfahrung hat gezeigt, dass dieses einfachste Mittel mit dem Information Board – ein großes Blatt Papier – besser geeignet ist als die beste Knowledge-Management-Software.
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Der Double-Check
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Überprüfen Sie in einem weiteren Schritt Schritt alle Informationen mit dem Double-Check. Wenn Sie beispielsweise herausfinden, dass Ihr Verhandlungspartner in seinem Unternehmen eine Time-Line für Ihre Verhandlung festgelegt hat, dann sollten Sie diese Information unbedingt noch aus einer zweiten Sichtweise heraus überprüfen. Möglicherweise ist er sehr unvorsichtig mit dieser Information umgegangen. Oder diese Information ist dazu gedacht, Sie in die Irre zu führen. Überprüfen Sie deshalb diese Information doppelt und Sie werden wahrheitsgetreue Informationen als Verhandlungsgrundlage benutzen können.
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Prüfen Sie jede Information doppelt
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Informationen sammeln
• Sammeln Sie alle Informationen, die Sie bekommen können – auch die zu diesem Zeitpunkt
noch nicht relevanten.
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Nutzen Sie das Information Board
• Notieren Sie alle – auch noch nicht relevante – Informationen.
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Nutzen Sie den Double-Check
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• Führen Sie bei allen Informationen den Double-Check durch – das heißt, überprüfen Sie bitte den Wahrheitsgehalt aus mindestens zwei Sichtweisen
"Der Verhandlungsführer" von Matthias Scharnier

„Der Verhandlungsführer“ von Matthias Schranner, Ecowin Verlag 2013, 152 Seiten, 11,99 Euro

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Versetzen Sie sich in Ihren Verhandlungspartner
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Zuhören
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Zuhören, aktives Zuhören, analytisches Zuhören, empathisches Zuhören. Sie sollten in der Verhandlung zuhören. Ja, aber das reicht nicht aus! Sie sollten einen Schritt weiter gehen und sich in den Verhandlungspartner hineinversetzen. Versuchen Sie, seine Sichtweise, seine Forderungen, seine Motive zu verstehen und nachvollziehen zu können. Das heißt aber noch lange nicht, dass Sie dies alles gutheißen oder gar selbst vertreten müssen.
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Ich habe mich in meinem Buch „Verhandeln im Grenzbereich“ intensiv mit der Analyse von Menschen beschäftigt. Da dieser Bereich sehr umfangreich ist, möchte ich mich mit dieser Checkliste nur auf die wichtigsten Tipps beschränken.
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Meine Verhandlungspartner bei der Polizei waren meist Verbrecher. Es gab bei vielen Verhandlungen Parallelen, viele Verbrecher handeln ähnlich. Und doch war jede Verhandlung ganz einzigartig, weil jeder Mensch einzigartig ist und somit auch jeder Verbrecher einzigartig ist.
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Straftäter gibt es in allen Schichten der Bevölkerung. Und dennoch leben die meisten in einer eigenen Welt. Ich nenne sie die „dunkle Welt“. Diese Straftäter leben und überleben in einer Welt, in der Sie wahrscheinlich scheitern würden.
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Diese dunkle Welt gibt es auch in Ihrer Stadt, Ihrem Stadtteil, Ihrer Straße, vielleicht sogar in Ihrem Haus. Eine Welt, die so ähnlich und doch so anders ist. Manchmal sehen Sie vielleicht einen kleinen Teil dieser dunklen Welt. Dann sehen sie Gewalt, Drohungen, Prostitution und Drogen. Vielleicht sehen Sie diese Welt nicht, aber Sie könnten sie sehen, wenn Sie nur richtig hinschauen würden. Sie schauen aber lieber weg, wenn sich diese Welt zeigt … Es könnte schon sein, dass der Nachbar seine Frau …, nein, nein, das bilden Sie sich sicher nur ein. Tür zu. Wozu auch. Sie müssen ja nicht alles sehen. Es geht Sie ja auch wirklich nichts an.
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Als Verhandlungsführer der Polizei musste ich mich immer wieder mit dieser dunklen Welt beschäftigen. Musste. Ja, musste. Aber ich wollte auch. Ganz ehrlich, ich bin auch fasziniert von dieser Welt. Diese Welt, die Sie vielleicht nur aus Krimis oder schlechten Reality Shows kennen. Diese Faszination empfinden viele.
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Bei Verhandlungen mit den Vertretern aus der dunklen Welt musste ich auch ihre Sprache beherrschen. Und wo könnte ich diese Sprache besser lernen als auf der Straße selbst? So hörte ich bei Verhandlungen immer genau zu, welche Worte und welche Redewendungen mein Gegenüber benutzte. Es gibt eine Art „Geheimsprache“ auf der Straße. Wer diese Sprache beherrscht, gehört dazu. Wer sie nicht sprechen kann, findet keinen Zugang.
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Ein Freund und Kollege von mir, er war damals verdeckter Ermittler in einem großen Drogenfall, hatte Zugang zu einer Bande von Drogendealern gefunden. Er streunte wochenlang mit den Jungs herum, ging mit ihnen in Kneipen und auf Partys, wurde immer mehr akzeptiert. Während einer Party saß er mit einigen Drogendealern aus dieser Clique auf einer Fensterbank und blickte nach draußen. Er sah, wie ein Auto gegen sein Auto fuhr. Er rief: „ Dieser Pkw hat mein Auto gerammt!“ Die Drogendealer sahen ihn an und sagten: „Du bist ein Bulle.“ Pech gehabt. Das Wort Pkw benutzt außer einem Polizeibeamten nun wirklich kein normal denkender Mensch. So ist er aufgeflogen.
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Um die Sprache, das Denken und die Verhaltensweisen besser kennenzulernen, habe ich auch außerhalb meiner Dienstzeit die Lokalitäten der dunklen Welt besucht. Ich habe inkognito mit den Menschen geredet, ein Bier getrunken und immer mehr gelernt.
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Während meiner Zeit bei der Drogenfahndung war ich sehr tief abgetaucht. Zu tief, wie ich heute weiß. Aber es hatte auch seinen Vorteil. Meine Fähigkeit, Menschen in Grenzbereichen besser zu verstehen, wurde in dieser Zeit gestärkt.
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Wenn Sie Ihre Verhandlungspartner besser verstehen wollen, müssen Sie versuchen, auch die andere Seite zu sehen. Vielleicht nicht gerade die dunkle Welt, aber zumindest die andere Welt, die Welt der Mitarbeiter, Chefs, Einkäufer, Verkäufer und so weiter.
Fragen und Hinterfragen
Suchen Sie die Gespräche mit Vertretern der „anderen Seite“ und versuchen Sie dabei, so lange und so intensiv wie möglich zuzuhören. Fragen und hinterfragen Sie, was die „andere Seite“ beschäftigt.
Als Verkäufer beispielsweise sollten Sie bei einigen Verhandlungen an der Seite der Einkäufer Ihres Unternehmens mitwirken. Einfach ruhig dabeisitzen und beobachten. Achten Sie darauf, in welchen Phasen der Einkäufer im Vorteil liegt und in welchen Phasen er verliert. Sie werden dabei viele Parallelen zu Ihren eigenen Verhandlungen feststellen können – nur umgekehrt.
Sie können sicherlich viel von anderen Verkäufern und Verkaufsleitern sowie auch in Verkaufstrainings lernen. Auf der „anderen Seite“ lernen Sie aber mehr.
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Forderungen und Motive
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Sie sollten auch den Unterschied zwischen einer Forderung und einem Motiv kennenlernen. In einer Forderung sagt Ihnen der Verhandlungspartner, was er von Ihnen haben möchte: einen bestimmten Preis, einen bestimmten Nachlass, eine bestimmte Zustimmung.
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Aber er sagt Ihnen in der Forderung nicht, warum er dies alles haben möchte. Doch dieses Warum ist noch viel wichtiger, weil Sie Ihre Alternativen darauf abstimmen können.
Dieses Warum ist das Motiv. Die Motivation, die Ihren Gesprächspartner in dieser Verhandlung antreibt. Und dieses Motiv müssen Sie kennen.
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Versuchen Sie dabei, immer tiefer in seine Gedankenwelt einzudringen. Finden Sie heraus, warum er nachts aufwacht. Je mehr Sie in die Gedankenwelt Ihres Gegenübers einsteigen, desto mehr Gefühl bekommen Sie für seine Ängste und Wünsche und für die daraus
resultierenden Argumente.
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Versetzen Sie sich in Ihren Verhandlungspartner
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• Hören Sie bitte genau zu.
• Fragen und hinterfragen Sie.
• Versuchen Sie, in die Gedankenwelt Ihres Verhandlungspartners
einzudringen.
• Achten Sie weniger darauf, was er fordert.
• Achten Sie mehr darauf, warum er etwas fordert
 

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Alle Kommentare [1]

  1. Herzlichen Dank für diese tolle Zusammenfassung! Verhandeln und Verkaufen sind die wesentlichsten Kompetenzen innerhalb des Wirtschaftsgeschehens und – wie sie eindrucksvoll gezeigt haben – innerhalb des sozialen Zusammenlebens als solchem. In unseren Verkaufstrainings empfehlen wir Ähnliches. Um am neuesten Stand der Dinge zu bleiben, werden wir das vorgestellte Werk sicherlich zu unserer Bibiothek hinzufügen. Herzliche Grüsse aus St. Gallen!