Interview Marco Nink von Gallup: Wenn qualifizierte Experten zu mittelmäßigen Chefs befördert werden

Interview mit Marco Nink von Gallup über Mitarbeitermotivation, unqualifizierte Führungskräfte und Passt-schon-Manager 

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Herr Nink, in Deutschland gibt es jetzt genauso viele total demotivierte wie hoch motivierte Mitarbeiter: Jeweils 15 Prozent. Die breite Mehrheit, 70 Prozent macht nur Dienst nach Vorschrift (2013: 67 Prozent). Was fehlt dieser großen Menge von Mitarbeitern?

Marco Nink: Mit dem Gallup Engagement Index messen wir die emotionale Bindung von Mitarbeitern an ihr Unternehmen auf der Basis von zwölf Faktoren wie konstruktive Kritik oder positive Rückmeldung vom Chef, Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die Wahrnehmung als Mensch, das Gelten der eigenen Meinung oder der richtige Talenteinsatz. Wir erforschen, inwieweit die zentralen Erwartungen und Bedürfnisse von Beschäftigten am Arbeitsplatz erfüllt werden. Bei gering emotional gebundenen Personen sind nur einige wenige Bedürfnisse beständig und die meisten Bedürfnisse unbeständig erfüllt.

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Und welche Verhaltensweisen legen die 70 Prozent an den Tag?

Nink: Diese Mitarbeiter machen das Notwendige, leisten Dienst nach Vorschrift und spulen ihr Pflichtprogramm ab. Im Vergleich zu dem, was möglich ist, sind diese Personen aber nicht voll und ganz bei der Sache.

Marco Nink von Gallup

Studienleiter Marco Nink von Gallup

Können Unternehmen diese Menschen denn identifizieren, wenn sie eigentlich gar nicht auffallen? Wenn sie klaglos unbezahlte Überstunden machen oder krank zur Arbeit gehen, eben aus Sorge um den Job?

Nur, wenn die Führungskräfte den Dialog mit ihren Mitarbeitern suchen und ihnen auch zuhören. Einen solchen Zusammenhang können wir nicht bestätigen. Aber: Unsere Zahlen zeigen eher, dass die Mitarbeiter allgemein immer weniger in Sorge um ihren Job sind.

 

Was genau bewirkt konkret die besondere Motivation, die engagierte Mitarbeiter für Unternehmen so wertvoll macht?

Nink: Kunden, die nicht bedient, Fehler, die gemacht werden – nicht nur Ausschuss in der Produktion – , unbeantwortete Mail-Kundenanfragen, Zusatzgeschäft, das nicht an Land gezogen wird, Innovationen, die nicht erdacht werden. Das alles bedeutet Umsatz, der zum Greifen nah war, aber der entgeht. Der ist schwer in Zahlen auszudrücken und allzu verschieden – je nach Branche und Saumseligkeit.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben: In einer Wiesbadener Buchhandlung suchte ich einen bestimmten Mauritius-Reiseführer. Der Mann am Infostand schickt mich weg zum Regal mit den Worten: „Wenn er da nicht ist, haben wir ihn auch nicht.“ Sein Kollege dagegen fragte: „Was kann ich tun für sie?“ Er nahm mich mit und verkaufte mir einen anderen Mauritius-Reiseführer – plus zwei Büchern als Reiselektüre. Wo der Kollege vom Infostand mir nicht mal das gesuchte Buch bestellen wollte. Das Fazit: Ich hatte eine positive Einkaufserfahrung und habe mehr Geld ausgegegben, als ich wollte – und ich wurde zum Stammkunden.

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Aber Sie haben aber eine Schadens-Zahl für den einzelnen Betrieb errechnet, zumindest für Krankheitszeiten…

Wir sind für Fehltage auf einen durchschnittlichen Schaden von 252 Euro pro Tag je Mitarbeiter gekommen. Aber das ist nur der Lohnausfall. Diese Zahl ist ein hochgerechneter Betrag. Grundlage sind die Arbeitskosten je Stunde des Statistischen Bundesamtes auf der Basis eines achtstündigen Arbeitstags. Zum Beispiel: Bei einem Unternehmen mit 2 000 Mitarbeitern entsprechen die Fehltage einem Kostenblock von 1,3 Millionen Euro. Die Schäden darüber hinaus? Für die reicht die Fantasie kaum aus.

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Haben all diejenigen, die Dienst nach Vorschrift machen, einfach aufgegeben, sich einzubringen? Die 70 Prozent Was passiert genau?

Mitarbeiter steigen in der Regel hoch motiviert in den Job ein. Aber wenn im Laufe der Zeit die grundlegenden Bedürfnisse am Arbeitsplatz nicht befriedigt werden, ziehen sie sich zurück bis hin zur inneren Kündigung. Hier spielen die Führungskräfte eine entscheidende Rolle: sie sind verantwortlich dafür, dass die Leidenschaftslosen wurden, wie sie sind.

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Und zwar warum?

Wenn Sie am Arbeitsplatz nicht als Mensch wahrgenommen und respektiert werden. Etliche Mitarbeiter wissen nicht einmal, was von ihnen erwartet wird. Andere werden verpflichtet zu Tätigkeiten, obwohl sie etwas anderes viel besser können und lieber täten – was der Firma ebenso nützen würde.

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Sie belegen, dass es in Deutschland so viele Chefs ohne Talent zum Führen gibt, weil die Kriterien für deren Beförderung die falschen sind.

Befördert wird, wer seinen derzeitigen Job gut beherrscht, wer genau darin kompetent und erfahren ist. Aber eben nur bei seinen derzeitigen Aufgaben, die er bis dahin gut erledigt hat. Führungstalent haben aber sowieso nur die wenigsten – und bei Beförderungen achtet man darauf auch nicht standardmässig. Es scheint, als sei das nie ein Kriterium in dem Zusammenhang.

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Nach der Beförderung aber soll er als Vorgesetzter seine alten Aufgaben lassen und loslassen, statt sein bester Sachbearbeiter sein. Wie Management-Coach Reinhard Sprenger schon seit Jahren anprangert: Dass der beste Schraubendreher befördert wird – und das bleibt, statt seine Leute zu coachen. Bemerken die Unternehmen nicht, wie sie ihre Fehler ständig wiederholen?

Nink: Fachleute wechseln vor allem deshalb in einen Führungsjob, weil ihnen keine anderen Weiterentwicklungsmöglichkeiten angeboten werden. So werden häufig aus hoch qualifizierten Experten mittelmäßige Führungskräfte.

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Und die haben keine Chance, anders ihr Gehalt zu steigern. So wie in den USA, wo eine hervorragende Fachkraft durchaus mehr verdienen kann als eine Führungskraft?

Das üble Resultat hierzulande: Das Unternehmen verliert eine wichtige Fachkraft und der Mitarbeiter macht einen Job, der ihm nicht wirklich liegt. Unternehmen müssen  umdenken. Es bedarf Laufbahnen mit vergleichbaren Aufstiegschancen und vergleichbarer Wertschätzung.

Natürlich kann jede Führungskraft durch Training und Coaching unterstützt werden, ihr Führungsverhalten zu verbessern. Aber: Dies ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Ohne das entsprechenden Talent wird nachhaltiger Erfolg als Führungskraft schwer möglich sein.

Deshalb kommt es oft zu unpassendem Verhalten. Mittelmäßig talentierte Führungskräfte können sicher ihre Aufgabe bis zu einem tolerierbaren Ergebnis erfüllen. Als Okay-Führungskraft oder Passt-schon-Manager. Führungskräfte hingegen, die von Natur aus führungsrelevante Eigenschaften mitbringen, sind Passt-genau-Manager. Sie können den Fokus auf jeden Einzelnen und dessen Bedürfnisse legen, erkennen seine Stärken, sie fordern und fördern ihre Mitarbeiter und schaffen ein Wir-Gefühl, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

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Unternehmen sollten also dringend ihre Beförderungskriterien überdenken?

Die wichtigste Entscheidung, die Unternehmen treffen können, ist, wen sie zur Führungskraft machen – und zwar auf allen Ebenen der Organisation. Doch selbst wenn ein Unternehmen zu der Erkenntnis kommt, dass die bisherige Beförderungspraxis falsch war, kann es nicht von heute auf morgen sämtliche Führungskräfte auswechseln. Solche Veränderungen brauchen viel Zeit. Unternehmen müssen im Auswahlprozess die Talente berücksichtigen und diese über einen wissenschaftlich validierten und systematischen Ansatz im Auswahlprozess erfassen. Nur so können sie die Wahrscheinlichkeit von konstantem Erfolg erhöhen.

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An welcher Nation könnten wir uns ein Beispiel nehmen?

Nink:  Für Deutschland ist sicher der Blick auf die Gruppe der Sieben führenden Industrieländer als Vergleich besonders interessant. Den höchsten Grad an emotionaler Bindung unter den G7 weisen die Beschäftigten in den USA auf. Dort sind fast doppelt so viele Arbeitnehmer mit Hand, Herz und Verstand bei der Sache wie in Deutschland (27 gegenüber 15 Prozent).

Allerdings: Beim Anteil derer, die innerlich gekündigt haben, liegen die USA und Deutschland weniger weit auseinander: USA 14 Prozent, Deutschland 15 Prozent. Gegenüber Deutschland haben Großbritannien, Italien, Frankreich und Japan mehr Beschäftigte, die innerlich gekündigt haben und weniger Arbeitnehmer, die mit Hand, Herz und Verstand bei der Sache sind. In Japan beispielsweise haben 29 Prozent der Beschäftigten innerlich gekündigt und nur 4 Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich ihrem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet. Kanada rangiert zwischen den USA und Deutschland.

 

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