Buchauszug Pero Mićić: Die gierige Horde der Kurzfrist-Tiere – „Wie wir uns täglich die Zukunft versauen“

Über die schädliche Gier nach kurzfristigen Renditen statt Überlebensmotiven über Generationen – und den Mangel an Kontinuität, schreibt Autor Pero Mićić,  Managementberater und Vorstand der FutureManagementGroup. Hier ein Kapitel aus seinem Buch „Wie wir uns täglich die Zukunft versauen“

 

Pero Mićić

Pero Mićić

 

Ruhige Hände

Deutschland, Österreich, die Schweiz, Japan und die USA haben etwas gemeinsam. In diesen Ländern spielt eine bemerkenswerte Art von Unternehmen eine zentrale Rolle, vor allem in Deutschland. Es sind die so genannten Hidden Champions, die heimlichen Weltmarktführer.

Hermann Simon (der Unternehmensberater von Simon Kucher & Partner in Bonn) hat sie über zwei Jahrzehnte systematisch beobachtet und erforscht. Davon sind weit über 95 Prozent Familienunternehmen, zum guten Teil mit langer Tradition über viele Generationen. Viele von ihnen haben gar keine Mitarbeiter, manche ein paar Hundert, manche aber auch zigtausend.

 

Das Erfolgsgeheinmnis der Hidden Champions: Kontinuität

Sie waren es, die der deutschen Wirtschaft in den Krisen der letzten Jahre Stabilität verliehen haben. Die Hidden Champions agieren auf Dauer messbar erfolgreicher als börsennotierte Konzerne. Sie schaffen auch mehr Arbeitsplätze, sind solider, profitabler, innovativer als viele Großunternehmen. Was machen sie anders? Was können andere von ihnen lernen?

Familienunternehmen unterscheiden sich durch eine zentrale Eigenschaft von börsennotierten: Kontinuität. Sie haben die geforderte höhere Kontinuität der Mitarbeiter. Sie sind es, die im Durchschnitt über zwanzig Jahre von den gleichen Personen geführt werden.  die gleiche Führung haben. Und sie weisen die dritte entscheidende Art der Kontinuität auf: Die Kontinuität der Eigner. Kontinuität ist ein hochwirksamer Faktor für Langfrist-Orientierung.

Im Resultat gibt es keinen Grund, jeden Monat, jedes Quartal und jedes Jahr das Maximum herauszuholen – langfristiger Bestand und Erfolg sind nachgewiesenermaßen wichtiger.

Die durchschnittliche Haltedauer von Unternehmensanteilen entspricht in etwa dem Denkhorizont der Anteilseigner. 

Wer eine Aktie über viele Jahre halten will, stimmt in der Hauptversammlung nach langfristigen Überlegungen ab. Wer eine Aktie nur ein paar Monate, Wochen oder gar nur Minuten halten will, geht erst gar nicht zur Hauptversammlung. Er überträgt sein Stimmrecht den Banken und Fondsmanagern, die primär kurzfristig hohe Renditen im Sinn haben.

 

Die Motive sind der Unterschied: Überleben oder Ertrag maximieren?

Nur wenn die Mehrzahl der Anteile in den ruhigen Händen und kühlen Köpfen besonnener Eigner liegt, die an der Wertentwicklung der Anteile über viele Jahre hinweg interessiert sind, nur dann können die Vorstände und Geschäftsführer wirklich nachhaltig am Wohlergehen des Future We orientiert führen. Es macht einen großen Unterschied, ob die obersten Führungskräfte eines Unternehmens mit dem Ziel antreten, in ihrer Amtszeit ein starkes Unternehmenswachstum und gute Erträge zu erwirtschaften, oder ob es alles dafür tut, dass das Unternehmen auch noch in einem, zwei oder drei Jahrzehnten gesund und gesichert ist. Wer an die nächste Generation ein gesund finanziertes Unternehmen mit einem guten, aber nicht unbedingt maximalen Ertrag übergeben will, handelt bei jeder einzelnen Entscheidung unter anderen Voraussetzungen als der Maximierer von Quartals- und Jahresergebnissen.

Das sind nicht etwa nur hehre und träumerische Forderungen. Familienunternehmen haben sich in den letzten Jahren weitaus erfolgreicher entwickelt als börsennotierte Aktiengesellschaften, wie beispielsweise das Family Business Barometer des Bankhauses Spängler zeigt. Demnach ist es prinzipiell ungesund, wenn Shareholder-Interesse und Unternehmens-Interesse auseinanderfallen. Beide müssen im gleichen Boot sitzen.

Die Inhaber von Familienunternehmen haben es vergleichsweise leicht, ein Future We zu entwickeln und zu pflegen. Es sitzt jeden Morgen mit ihnen am Frühstückstisch. 

Die nächste Generation ist immer präsent. Die Töchter, Söhne oder Neffen sind das personifizierte Zukunfts-Ich der Eigner und das Zukunfts-Wir der Firma.

Also liegt es auf der Hand, dass die Zukunftsfähigkeit aller Unternehmen dadurch verbessert werden kann, wenn der Faktor Kontinuität deutlich gestärkt wird. Nur wie?

 

Stimmrecht nur für Langfrist-Aktionäre?

Wie schafft man es, die Investoren länger an ihre Kapitelanlage zu binden? Der Berater und Management-Autor Fredmund Malik hat einen hervorragenden Vorschlag, wie es gelingen könnte: Man möge gesetzlich bestimmen, dass nur denjenigen Aktionären Stimmrecht in der Hauptversammlung und zur Wahl der Aufsichtsräte gegeben wird, die sich verpflichten, ihre Anteile langfristig zu halten, zumindest für die Amtsdauer des Aufsichtsrates. So einfach, so logisch.

Börsen sind Fluch und Segen zugleich. Wer sein Unternehmen an die Börse bringt, stärkt sich mit risikobereitem Kapital für Zukunftsinvestitionen. Soweit der Segen. Aber der Preis dafür ist weitaus höher als die zu zahlende Dividende und die Kosten für die Investor Relations, also für große Hauptversammlungen und aufwändige Jahresberichte. Der eigentliche Preis ist unsichtbar und viel gravierender.

 

Die gierige Horde der Kurzfrist-Tiere

Einmal an der Börse, setzt man sich einer gierigen Horde von Kurzfrist-Tieren aus, seien es Hedge-Fond-Manager oder die Analysten in den Investmentbanken und Medien. 

Unter diesem Einfluss ist es für die Top-Manager ausgesprochen schwer, dieser Horde den Gehorsam zu verweigern, denn die Strafe dafür ist hart. So kündigte L’Oréal 2010 an, das seit zwei Jahrzehnten bestehende Ziel eines jährlichen zweistelligen Gewinnwachstums aufzugeben. Man wolle nicht mehr unter einem Joch arbeiten. Die Analysten und Kurzfrist-Investoren dankten auf ihre Weise. Die Aktie stürzte trotz positivem Markt-Umfeld stark ab.

 

Pedro Micic:

 

 

Weg vom Kurzfrist-Denken

Doch viele Investoren denken heute um. Selbst Henry Kravis, eine als „Urvater aller Heuschrecken“ verschriene „Investorenlegende“  sagt heute: „Wir müssen vor allem weg von einem reinen Kurzfrist-Denken. Wir brauchen einen langfristigen Horizont, selbst wenn das kurzfristig den Gewinn schmälert. Langfristiges Denken und Renditen schließen sich nicht aus. […] Manager unterstützen uns vor allem aus einem Grund dabei, ihr Unternehmen von der Börse zu nehmen: weil sie langfristige Entscheidungen treffen wollen.“ Man höre und staune über die Heuschrecke.

Weg von der Börse, das ist eine bemerkenswerte Forderung, zumal derjenige, der in der Rendite seines eingesetzten Eigenkapitals den einzigen Erfolgsmaßstab sieht, diese immer (!) kurzfristig maximieren will. Welche andere Bewertungsmöglichkeit sollte ein anonymer Aktienkäufer sonst haben? Vom Geschäft versteht er in der Regel nichts, geschweige denn, dass er eine emotionale Verbindung dazu hat. Bestenfalls zählt noch die vermeintliche Kurssicherheit der Aktie. Daneben gibt es keine überzeugenden Anzeichen dafür, dass die Milliarden Sparer weltweit freiwillig auf Zinsen und Dividenden verzichten wollen. Da wirkt das Future Me* der Sparer vollkommen richtig, denn sie sparen für sich, für eine gute und sichere Altersversorgung.

Da bleibt langfristig orientierten Unternehmenslenkern nur noch eines übrig: sich entweder außerhalb der Börsen zu finanzieren, beispielsweise aus eigenen Mitteln. Das ist die nach wie vor bevorzugte Finanzierungsquelle selbst der größten unter den Hidden Champions. Weil Wachstum nicht ihr erstes Ziel ist, muss nicht jede Chance darauf genutzt und finanziert werden. Oder sie finden langfristig interessierte Investoren. Es gibt, man will es gar nicht mehr glauben, sogar langfristig orientierte Banker. Oder, sofern man im Wettbewerb ohne große Kapitalzufuhr nicht bestehen kann, man hält den Anteil der nur an ihrem Jetzt-Ich interessierten Aktionäre notwendig groß, aber hinreichend klein, sodass sie eine langfristige Ausrichtung des Unternehmens nicht verhindern können.

Die mutigen unter den Vorständen börsennotierter Unternehmen können einen Weg aus der Kurzfrist-Falle wagen, der bislang selten bewusst gegangen wurde. Börsenkurse für Aktien werden nicht nur auf der Grundlage der jüngsten Ist-Zahlen und der Plan-Zahlen für das nächste Jahr gebildet. Sie werden sehr stark auch von den Erwartungen für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bestimmt. Unternehmen dürfen also nicht primär den heutigen Aktionären gefallen, sie müssen vor allem den zukünftigen Aktionären in fünf oder zehn Jahren gefallen. Es gibt also sehr wohl Anlass zur Annahme, dass Aktienkurse sich auch dann gut entwickeln, wenn die Vorstände in ihr Zukunfts-Wir investieren.

 

Wer zwingt Vorstände, maximale, schnelle Renditen zu versprechen?

Was das praktisch heißt? Die Aktiengesetze zwingen zur Offenlegung von praktisch allem. Aber niemand zwingt die Vorstände, kurzsichtigen Aktionären und Analysten maximale und schnelle Renditen zu versprechen und sich dann an den Planzahlen messen lassen zu müssen. In einer Zeit, in der immer mehr Investoren und Sparern eine solide Anlage wichtiger ist als die jährliche Rendite, gibt es eine Chance:

Der Vorstand lädt zur Pressekonferenz und verkündet der erstaunten Analystenmeute, dass ab sofort das Future We alles bestimmt, dass dafür die Zielrendite geringer, aber die Stabilität größer ist. 

 

….Belohnungsaufschub

Das braucht Mut, denn in Aktien zu investieren ist mit einem Mal weniger attraktiv, wenn man es nur an der kurzfristigen Rendite misst. Das ist ganz klassischer Belohnungsaufschub. Viele Anleger werden wechseln. Es kommt darauf an, genügend Fans für eine solch radikale Abkehr von der Kurzfrist-Orientierung zu finden.

Wir können in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erleben, dass die Unternehmen nach und nach die Wende schaffen, weg von der Kurzfrist-Falle, hin zur mehr Kontinuität und Stabilität. Wer es wirklich will, kann es schaffen. Ist das nicht eine faszinierende Vision? Ist ein Future We zu haben nicht herrlich?

*Future Me: Das emotionale Bild von dir selbst in der Zukunft, von der Person, die du sein wirst, deren Wohlergehen davon abhängt, was du heute tust und nicht tust. Future We: Das emotionale Bild von euch selbst …..

 

Pero Mićić Wie wir uns täglich die Zukunft versauen Econ Verlag 336 Seiten, 19,99 Euro, 978-3-430-20160-5

Link zum Buch: http://www.micic.com/werke/buecher/raus-aus-der-kurzfrist-falle/

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