Personalauswahl: Noten sind die schnellste Filtermethode – aber weder die sicherste noch die beste (Gastbeitrag Martin Wollziefer)

Personalexperte Martin Wollziefer von SW Recht & Personal analysiert, wieso die Auswahl von Jung-Anwälten nur nach Noten zwar einfach, aber letzten Endes unklug ist (Gastbeitrag):

Der preiswerteste Filter in der Personalauswahl ist der Notenfilter. „Wie viele Punkte hat der Kandidat?“ Und je nach Antwort ist das Bewerbungsverfahren dann auch schon beendet. So verfahren immer noch sehr viele Kanzleien im deutschen Markt. Es ist ja auch schön einfach: Man wirft einen Blick auf zwei Zahlen und entscheidet über den weiteren Gang der Bewerbung.

Martin Wollziefer

Martin Wollziefer

Diese Art der Personalvorauswahl ist in etwa so, als würde ein Steuerrechtler heute mit den Bundessteuerblättern und Kommentaren von 1979 arbeiten. Mittlerweile haben Studien zu Intelligenz, Noten und Berufserfolg hinreichend belegt, dass Intelligenz und Noten kaum in einem solch starken Zusammenhang stehen, wie es offenbar immer noch von namhaften Kanzleien geglaubt wird. Außerdem ist mittlerweile klar, dass wiederum zwischen Studiennoten und beruflichem Erfolg der Zusammenhang auch bei Hochbegabten gerade mal 31 Prozent beträgt.

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Wenn Kanzleien also glauben, dass sie mit Spitzennoten als erstes Auswahlkriterium auch erfolgreiche Spitzenjuristen bekommen, dann greifen sie vermutlich in 69 Prozent der Fälle daneben.

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Absehbare Fehlinvestitionen

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Kein Unternehmer würde sein Geld investieren, wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Rendite zu erzielen, nur bei 31 Prozent läge. Bei der teuersten Investition einer Kanzlei, dem Personal, wird aber genau so agiert.

Der mangelnde Zusammenhang zwischen Noten und juristischen Spitzenleistungen wurde sogar vom LG Regensburg (2HK O 2062/08) festgestellt: „Zu sehr weicht die Vorstellung (‚Spitzenjurist’) von den bei einer nennenswerten Zahl von ‚Prädikatsanwälten’ tatsächlich vorhandenen Befähigung ab.“

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In das gleiche Horn stieß kürzlich auch der Managing Partner einer mittelgroßen Wirtschaftskanzlei: „Ich habe bislang immer gedacht, dass man Juristen mit guten Noten schon deshalb auswählen kann, weil sie wenigstens das juristische Handwerkszeug beherrschen. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass dies nicht stimmt.“

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Was berufichen Erfolg tatsächlich ausmacht…

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Ausschlaggebend für den beruflichen Erfolg sind die Big five der Persönlichkeit:

Neurotizismus

Extraversion

Offenheit für Erfahrungen

Verträglichkeit

Gewissenhaftigkeit

und die Intelligenz, die wie gesagt nur zu einem geringem Maße mit Noten korreliert.

Weder Prädikat noch eine Promotion geben hinreichend Auskunft über die Akquise- Fähigkeiten, die Teamfähigkeit, die Belastbarkeit in sozial schwierigen Verhandlungssituationen, Empathie oder Intelligenz.

Was bedeutet das also für die Personalauswahl? Wer zunächst nach Noten guckt und dann die Big five bei den Bewerbern abklopft, kommt sicher zu guten Ergebnissen. Dies ist die konservative Variante.

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Nach ihren Noten hätten Menschen wie Bill Gates oder Kurt Masur keine Chance gehabt

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Kurt Masur, Steve Jobs, Günter Jauch, René Obermann und Bill Gates hätten allerdings nach solchen Kriterien keinen Spitzenjob in ihrer Branche bekommen. Sie haben nicht einmal ihr Studium beendet.

Wer die Big five und die Intelligenz zur Auswahl heranziehen würde, käme sicher zu besseren Ergebnissen und würde sich wundern, wie viele Bewerber ohne Prädikatsexamen ausgewählt werden.

Der entscheidende Nachteil liegt einzig und allein im Abrücken von alten, empirisch und eignungsdiagnostisch nicht haltbaren Erkenntnissen zur Personalauswahl. Auf den ersten Blick wird auch der Einstellungsprozess komplizierter.

Doch die Vorteile überwiegen: die Auswahl ist nicht auf die prädikatsexaminierten Juristen  – maximal 20 Prozent der Absolventen – beschränkt,

Kanzleien stellen Persönlichkeiten ein, die zu ihnen passen und die Wahrscheinlichkeit, die Besten zu bekommen, steigt. Kanzleien die dies erkennen und umsetzen, stehen im Wettbewerb mittelfristig besser da und haben die besten Voraussetzungen für nachhaltigen Erfolg.

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Martin Wollziefer ist Personalberater für Wirtschaftskanzleien und Gründer des Beratungsunternehmens Sauerwald Wollziefer aus Bergisch Gladbach. Zuvor war er Personalleiter in der Sparkassenorganisation sowie der Koelnmesse. http://www.recht-personal.de/unser-team/martin-wollziefer/

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Alle Kommentare [2]

  1. Gewagte Thesen. Einen Kurt Masur, Steve Jobs, Günter Jauch, René Obermann oder Bill Gates wollte auch keine Kanzlei haben. Jedenfalls nicht als im System arbeitenden Anwalt. Schul- und Examensnoten zeigen, dass der Bewerber bereit ist, sich einem vorgegebenen System anzupassen. Dies ist jedoch Grundvoraussetzung, um in Organisationen wie Kanzleien – insbesondere den Großen – erfolgreich zu sein. Klar, es gibt mehr als Noten, aber ohne sie geht selten was.

  2. Hallo Herr Wollziefer, vielen Dank für diesen Beitrag. Sie haben absolut Recht – und das Ganze ist auch noch wissenschaftlich bewiesen. Jedoch: Die Praxis ist da noch taub. Liegt aber auch an Ihrer Zielgruppe. Ähnlich wie meiner: Top Managementberatungen. Wie Dr. Reimann hier kommentiert: Sehr gute Noten zeigen, dass sich jemand anpassen kann – und will!. An ein bestehendes System. Ob Angepasste aber auch automatisch zu den Besten gehören, darf der gesunde Menschenverstand bezweifeln. Die Quote der paar Besten aus der Gruppe der Angepassten reicht aber vermutlich, um den Durchschnitt mitzutragen. Die ja dann irgendwann aufgeben. Anders kann ich mir das bei an sich ja intelligenten Juristen sonst nicht erklären.
    Herzlichen Gruß, Henrik Zaborowski