Management-Coach Jürgen W. Goldfuß: „Selber denken kostet nichts“ (Buchauszug)

Aus aus Jürgen W. Goldfuß´ neuem Werk „Selber denken kostet nichts“: 

Schwarz ist auch eine schöne Farbe – Die Diktatur der Optimisten

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Der Pessimist ist schnell mal sauer

Denn er stößt oft gegen ne Mauer

Der Optimist dagegen denkt

Dass er sein Leben selber lenkt

Wer von den beiden ist nun schlauer?

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Eine Tasche voller Lügen

Jeder kennt das Beispiel vom Wasserglas, das halb gefüllt ist. Der Optimist betrachtet es als halb voll, der Pessimist bezeichnete es als halb leer. Dabei hat jeder Recht – von seinem persönlichen Blickwinkel aus gesehen.

 

Die Wahrheit liegt im wahrsten Sinne des Wortes in der Mitte. Für die Optimismus-Industrie gibt es allerdings nur einen Blickwinkel: das Glas ist halb voll. Negatives darf es nicht geben, die Welt ist schön und alle Menschen sind glücklich.

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Goldfuß-Cover

 

http://www.springer.com/economics/book/978-3-658-00846-8

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Von der Bühne herab verkündete das Lebenshilfe-Kabarett wunderschöne Geschichten, die dem zahlenden Publikum eine erfolgreiche Zukunft versprechen. Da wird dann die Frage gestellt, ob jemand lieber zur Gruppe der Adler oder zur Gruppe der Hühner gehören will. Nun, wer bei dem Stichwort Hühner an Käfighaltung denkt, der zieht die Adlervariante wahrscheinlich vor. Es gibt aber auch frei laufende Hühner mit vielen sozialen Kontakten untereinander und dem Erfolgserlebnis, für die Menschheit wertvolle Nahrungsmittel zu produzieren. Der Adler hingegen ist eher ein Einzelgänger bzw. Einzelflieger, der zwar einen besseren Überblick besitzt, aber ansonsten recht wenig Kontakte, mit denen er sich mal austauschen kann. Evolutionär gesehen haben Hühner einen sogar einen Vorteil. Hühner gibt es immer, der Adler aber gehört zu den bedrohten, aussterbenden Arten.

 

Die Adler-Story kommt allerdings bei dem enthusiasierten Publikum besser an, weil sie dramaturgisch geschickter präsentiert wird. Einer der bekannten Motivationstrainer von jenseits des Teiches dazu: „Wir sind eine Unterhaltungskultur und leben in einem Unterhaltungszeitalter. Viele Unternehmen im Bereich Persönlichkeitsentwicklung erzielen bei ihren Kunden nicht die Resultate, die sie eigentlich wollen, aus einem einfachen Grund: die meisten Menschen wollen lieber unterhalten als ausgebildet werden. Der Ausbilder des 21. Jahrhunderts muss ein herausragender Entertainer sein, der die Leute mit den besten Werkzeugen ausstattet und sie motiviert, diese dann anzuwenden“.

 

Zumindest hat er eingesehen, dass er selbst niemanden motivieren kann. Im Gegensatz zu den vielen, die in ihren Werbeprospekten vollmundig verkünden: „Lassen Sie sich von mir motivieren“. Da wird dann eine Tasche voller Lügen auf der Bühne ausgepackt.

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Informationen als Entertainment

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In seinem lesenswerten und amüsant geschriebenen Buch „Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden! – Dem Phänomen der Erfolgsgurus auf der Spur“ beschreibt der Psychologe Dr. Uwe Peter Kanning, welche „wertvollen“ Informationen von der Bühne herab dem andächtig lauschenden Publikum präsentiert werden.

 

Management-Autor und Coach Jürgen Goldfuß

Management-Autor und Coach Jürgen Goldfuß

So zitiert er einen der bekannten Gurus: „Ich schreibe alle meine Probleme auf einen Zettel, zerreiße ihn anschließend und schon sind alle Probleme beseitigt“. Kannings Kommentar: „Der glaubt ja mit dieser lustigen Methode die Probleme aus dem Unterbewusstsein tilgen zu können. Aber diese kleine Widersprüchlichkeit wollen wir dem Meister einmal durchgehen lassen. Ein so vielbeschäftigter Mann, der Erfolg und Glückseligkeit unter die Menschen bringen will, kann sich sicher nicht mit jeder Kleinigkeit aufhalten.“ Der Psychologe erläutert dann sachlich und wissenschaftlich fundiert, warum es sich bei dem Tipp des Meisters schlichtweg um Quatsch handelt.

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Gesegnet sei, wer nichts zu sagen hat – und den Mund hält

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Die ganze Bandbreite der Ratschläge des Motivators erschließt sich, wenn man seine beiden Kernsätze nebeneinander stellt. Kernsatz Nummer eins: „Gib nie, nie, nie, niemals auf“ (das Copyright liegt übrigens bei Churchill) und Kernsatz Nummer zwei: „Steig ab vom Pferd, wenn es tot ist“. Da ist doch für jeden etwas dabei. Man muss sich nur entscheiden können, welcher Spruch einem besser gefällt. An einer Stelle hat der Show-man auf der Bühne auf jeden Fall Recht wenn er sagt: „Ich sage nicht, dass das richtig ist, was ich sage“. Irgendwie bewundernswert, diese Ehrlichkeit, oder? Trotzdem, gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben, und den Mund halten.

 

Welche Auswirkungen die Thesen der Pseudo-Experten auf der Bühne haben können, das zeigt auf erschreckende Weise der Film „Ich werde reich und glücklich“ von Doris Metz. Die Filmemacherin hat drei Frauen und drei Männer, Kunden eines Gurus, über acht Monate lang auf ihrer Suche nach dem Erfolg begleitet. Das Resultat sind anrührende, beklemmende und bizarre Geschichten von Menschen, die Gewinner sein wollen und sich dabei immer mehr verlieren. Gleichzeitig vermittelt der Film Einblicke in den Seelenzustand einer Gesellschaft, in der Geld mit Glück gleichgesetzt wird.

 

Im Laufe der Dreharbeiten ging der Erfolgsguru übrigens pleite. Irgendwie hat es mit den eigenen Thesen wohl nicht so ganz geklappt. Er hätte vielleicht mal das Erfolgsseminar eines Kollegen besuchen sollen.

 

Vielleicht hätte er auch „The secret“ lesen sollen. Dort wird das Gesetz der Anziehung realitätsnah erklärt. Vor einem Schaufenster steht eine Frau und starrt fasziniert auf eine Halskette, das Objekt ihrer Begierde. Der Glaube versetzt Berge, der Wille Halsketten, denn plötzlich hat die Dame kraft ihrer Willenskraft die Kette am Hals hängen. David Copperfield würde vor Neid erblassen. Die US-Autorin Barbara Ehrenreich hat in ihrem Buch „Smile or Die“ den ganzen esoterischen Hokuspokus aufs Korn genommen. Auch sie kam nach einer Krebserkrankung zur Einsicht, dass positives Denken in gewissen Lebensphasen kontraproduktiv sein kann. Wenn dem Patienten suggeriert wird, er sei deshalb krank, weil er nicht positiv genug gedacht habe, dann nähern sich solche Aussagen schon der Körperverletzung.

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Geh mir weg mit der Realität

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Die Realität ist anders als die Wirklichkeit, so ein bekannter Fußballspieler. Nun, bei manchen Menschen kann man tatsächlich einen Unterschied feststellen zwischen dem, was sie sehen und dem, was tatsächlich vorhanden ist. Wer alles immer nur positiv sieht, der läuft Gefahr, die Realität zu ignorieren. Gerade Menschen mit einem schwachen Selbstbewusstsein lassen sich mit extrem positivem Denken von den Fakten im Leben ablenken. Unter gewissen Umständen kann das positive Denken sogar schädlich sein, wenn es zu Sorglosigkeit, Leichtsinn oder ungesundem Verhalten führt.

 

Wer mit dem Spruch „Mir wird schon nichts passieren“ durchs Leben geht, der lebt zwar leichter als derjenige, der dauernd grübelt, was noch alles passieren könnte. Andererseits darf der motivierende Spruch nicht dazu führen, vorhandene oder auftauchende Risiken zu ignorieren. Ob jemand, der zum permanenten Negativdenken neigt, zum Optimisten werden kann, das hängt von seinen Erfahrungen ab und, wie Psychologen nachweisen konnten, auch von seiner gentechnischen Veranlagung. Wer eher dem Pessimismus zuneigt, der wird nach einer Motivationsveranstaltung entweder mit noch mehr Misstrauen Negatives erwarten oder aber mit aufgesetztem Optimismus und chronischer Fröhlichkeit zwiegespalten durchs Leben gehen.

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Gefährliche Lebenshilfen

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Der Psychotherapeut Günter Scheich hat in seinem Buch „Positiv denken macht krank – Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen“ die Fallen des positiven Denkens aufgezeigt. Er schreibt unter anderem: „Was soll am `positiven Denken` schädlich sein? Was soll daran schädlich sein, der Aufforderung zu folgen, möglich nur positiv zu denken? Ist es nicht so, dass wir alle in unserem Bekanntenkreis Menschen haben, deren negative Lebenseinstellung ein Fortkommen im Bereich sozialer Beziehungen und der Berufswelt behindert? Und würden wir es ihnen nicht gönnen, dass sie es lernten, die Welt, ihre Welt, positiver zu sehen? …. Labile Menschen, die sich durch die Bücher ein wenig `Lebenshilfe` erhoffen, laufen Gefahr, durch den Versuch, das `positive Denken` anzuwenden, erst richtig krank zu werden……. Das Prinzip des `positiven Denkens` beruht auf einer von vornherein falschen Grundannahme: es geht davon aus, dass man allein durch eine Umstellung des Denkens seine Psyche beeinflussen kann.“ Soweit der Fachmann. Die Propheten des positiven Denkens bezeichnet er als „Missionare mit Schreibwut“. Dabei analysiert er die Methoden der meist aus dem amerikanischen Raum kommenden Motivations-Prediger, von denen viele aus einem religiösen oder pseudoreligiösen Hintergrund stammen.

 

Egal, ob man sich nun mit der Literatur der Positivdenker oder ihren Bühnenauftritten beschäftigt, jeder sollte kritisch prüfen, welche der Thesen zu seinem Lebensstil und seiner Denkwelt passen. Das Ziel sollte sein, über einen realistischen Optimismus zu verfügen.

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Immer gut drauf? Hüten Sie sich

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Vor allem sollte man sich davor hüten, immer „Gut drauf“ sein zu wollen. So wie beim Wetter auf ein Hoch ein Tief folgt und anschließend wieder ein Hoch, so braucht der Mensch auch Phasen, in denen er „schwarz“ als eine schöne Farbe betrachten kann. Wer dauernd durch die Welt läuft mit einem permanenten Lächeln und der „Ich bin der Größte“-Attitüde, der wird von seinem Umfeld schnell wieder herunter geholt. So wie die Krabben im Krabbenkorb jeden herunter ziehen, der den Krabbenkorb verlassen will.

 

Beispiele für fehlgeleitetes Positivdenken findet man häufig in Unternehmen, in denen Vertriebsmitarbeitern Ziele und Visionen vermittelt werden, die sich als unrealistisch herausstellen. So mancher fiel schon, immer noch mit glänzenden Augen, unverhofft zurück in den Krabbenkorb des Alltags.

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Nörgeln kann helfen

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Dass auch Negativdenken ganz sinnvoll sein kann, das beschreibt Paul Pearsall in seinem Buch „Denken Sie negativ – Unterdrücken Sie Ihren Ärger und geben Sie anderen die Schuld“. Pearsall hatte Krebs, galt als todkrank und erhielt aus seinem Bekanntenkreis (gut gemeint) eine Menge Selbsthilfe-Literatur: „ Doch je mehr Selbsthilfekonzepte ich während meiner Krankheit kennenlernte, desto stärker geriet ich unter Druck und umso hilfloser fühlte ich mich“. Er berichtet unter anderem vom Einfluss des Negativdenkens auf Heilungsprozesse: „Zur Heilung braucht es keine positive Einstellung. Suzanne C. Segerstrom hat für ihre Studien zum Optimismus den höchst dotierten Preis für Psychologie erhalten, den Templeton Positive Psychology Prize 2002. Mit ihren Untersuchungen konnte sie nachweisen, dass die konstante Bemühung um eine positive und bejahende Einstellung nicht die beste Heilungsmethode ist und sogar wertvolle Heilungsenergie verschwenden kann. Die Studien zeigten außerdem, dass das gute altmodische Nörgeln dem Heilungsprozess durchaus förderlich sein kann, wie auch eine adaptive positive Energie vom negativen Denken ausgeht. Aus Segerstroms Arbeit lässt sich ableiten, wie wenig eine unermüdlich auf das Positive setzende und das Negative zu eliminieren suchende Lebenseinstellung als Heilmethode taugt. Manchmal ist es gerade das ängstliche, negative Denken des „defensiven Pessimismus“ mindestens so hilfreich wie „strategischer Optimismus“. Das Ausmalen negativer Folgen kann ebenso heilsam sein wie die Visualisierung wundervoller Folgen“.

 

Das passt zwar nicht ganz in die Philosophie der Positiv-Jubler und „Tschakisten“, relativiert aber das Diktat chronischer Fröhlichkeit, das von den berufsmäßigen „Positivisten“ propagiert wird.

 

Positives Denken kann, genau so wie negatives Denken, realitätsfremd sein. In beiden Fällen besteht die Unfähigkeit, Gefühl und Wahrnehmung voneinander zu trennen. Die Einbildung wird zur Realität wegen des damit verbundenen „guten Gefühls“. Die Alternative, der realistische Optimismus, besteht darin, dass wir uns sozusagen „neben uns“ stellen und die Dinge so sehen, wie sie sind, ungefärbt von unseren Gefühlen und Fantasien. Einfach mal selber (nach)denken.

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Gesund ist, was der Doktor sagt

Der Doktor wird schon wissen, was gut ist für mich. Mit diesem Satz hat schon mancher die Verantwortung für die eigene Lebensführung an einen Fremden delegiert. Der Halbgott in weiß hat bestimmt mehr Ahnung als ich, also glaube ich bedingungslos seinen Worten und Tipps. Genau so reagieren viele, die sich den Strahlemann-Gurus unterwerfen. Dabei bedeutet Guru im Sanskrit „Verleiher des Wissens“. Was weiß der eigentlich? Und hier beginnt bereits der kabarettistische Teil. Er weiß über die Saalmiete, seine Eintrittspreise und sein Programm, genau wie ein Kabarettist. Der allerdings zieht seine Botschaft bewusst ins Lächerliche, es ist nur Spaß. Der Guru hingegen versucht den Klamaukteil ernsthaft zu präsentieren, er möchte ernst genommen werden, seriös erscheinen. Häufig braucht er das Gefühl der Anerkennung, denn die Biographie so mancher „Motivatoren“ lässt auf einen gewissen Nachholbedarf an Anerkennung und Status schließen.

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Da kommt einer aus ganz armen Verhältnissen, entging knapp dem Hungertod, hatte Problem mit den Eltern, wurde in der Klasse verlacht – und entschloss sich dann, berühmt und reich zu werden. Wenn das mal keine ehrfürchtige Anerkennung verdient.

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Wer eine Seriöse Ausbildung hat, kann den größten Blödsinn verkünden

Wenn dann noch dazugekaufte Titel und Ehrenbezeichnungen auf der Visitenkarte stehen, dann verbietet sich wohl jede Kritik. Sollte dann tatsächlich noch eine Ausbildung an einer seriösen Einrichtung stattgefunden haben, dann kann widerspruchslos auch der größte Blödsinn verkündet werden.

 

Gefährlich wird es dann für den Zuhörer, der besser zu einem professionellen Helfer aus dem Bereich Medizin oder Psychologie geht. Wer an Ängsten oder Depressionen leidet, für den können die verkündeten Binsenweisheiten das Krankheitsbild eher noch verschlimmern. Da reicht positives Denken und in sich hinein- oder heraus lächeln zur Beseitigung eines Kernproblem wirklich nicht aus. Und im Gegensatz zu den „Pseudo-Helfern“ wird die professionelle Hilfe von der Krankenkasse finanziert. Gerade beim Thema „Burnout“ werden die Symptome durch „Sieh alles positiv“ – Tipps eher noch verstärkt. Solche Zusammenhänge zu sehen und zu verstehen, das wäre allerdings zu viel verlangt von den Entertainern.

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Fazit:

Das Leben war so einfach, bevor wir alle anfingen nachzulesen, wie wir es führen sollen (Ben Wyld). Glück ist, wenn man Pech hat und es nicht merkt.

Jürgen W. Goldfuß: „Selber denken kostet nichts“, Springer Verlag, Heidelberg, 115 Seiten, 2013, 19.99 Euro

http://www.springer.com/economics/book/978-3-658-00846-8

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