„Es geht um Werte“: Gastbeitrag von CNN-Kultmoderator Richard Quest exklusiv für den Management-Blog (2)

„Es geht um Werte“, meinen junge Mormonen

Von Richard Quest, CNN-Anchorman, International Business Correspondent und Moderator von „Quest Means Business“

 

Die Stadt Provo liegt umringt von Bergen und Wüste im US-Bundesstaat Utah. Hier befindet sich der Sitz der Brigham Young University (BYU), die von der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ gegründet wurde und bis heute finanziell von ihr unterstützt wird. Der republikanische Herausforderer Mitt Romney hat hier sein Studium absolviert. Wenn der Tabernakel der Mormonen in Salt Lake City das spirituelle Herz des Geistlichen ist, könnte Provo wohl als Hauptsitz des Geistigen gelten – als Gewächshaus der künftigen Elite.

Der Campus ist so spektakulär wie makellos; die eindrucksvollen Berge ragen über die perfekt getrimmten Rasenflächen und die durch den Herbst bunt gefärbten Bäume. Wie an vielen amerikanischen Colleges ist auch an der BYU die Ausstattung hervorragend: Es gibt ein Football-Stadion, in dem 64.000 Leute Platz finden, sowie eine Basketball-Arena für weitere 22.000 Zuschauer, zudem eine riesige Bibliothek, die sich mitten auf dem Universitätsgelände befindet, und eine Kunstgalerie, die manche kleinere Stadt neidisch machen könnte. Von den 30.000 Studenten, die hier lernen, sind 98 Prozent Mormonen. Abgesehen davon, dass ich heutzutage immer mehr das Gefühl habe, die Studenten sehen ein gutes Stück jünger aus als früher, sprang mir sofort ihre scheinbare Gleichförmigkeit ins Auge. Ein Hinweis darauf bot sich auf einem Poster, das auf dem Unigelände vor der Bowlingbahn hing: „Wir befolgen den Ehren Kodex“, stand darauf. Die Besucher bat man, die „Standards für ordentliche Kleidung und ein gepflegtes Äußeres“ einzuhalten. Diese jungen Leute haben doch wohl noch den Rest ihres Lebens Zeit, sich darüber Gedanken zu machen? Rebellisches Verhalten, eine unangepasste Lebensweise und Experimentierfreudigkeit – wichtige Erfahrungen vieler Studenten an anderen Universitäten sind an der BYC nicht erwünscht. Die Atmosphäre war angenehm, gastfreundlich und vor allem sehr vernünftig. Es sah so aus, als versuche jeder Student, so erwachsen wie möglich zu wirken.

Wir stiegen unter anderem in Provo aus dem Zug, um ein paar Meinungen über die anstehende Wahl zu sammeln. Würden diese jungen Mormonen allesamt hinter Romney stehen? Würden wir vielleicht sogar ein paar Demokraten finden? Die Antworten, die wir schließlich bekamen, waren nicht genau das, was wir erwartet hatten. Die meisten, mit denen wir sprachen, erklärten uns, dass es nicht darum gehe, einen Mormonen zu wählen. Stattdessen gehe es den Meisten, so meinten sie, um Werte. Sie wiesen beharrlich darauf hin, dass sie nicht automatisch Mitt Romney wählen würden – obwohl die Tatsache, dass er sich nicht einmal Mühe gemacht hat, in Utah Wahlkampf zu betreiben, eben doch besagt, wie sicher ihm dieser Bundesstaat ist. Wenn der Mann im Weißen Haus ihre Werte teilt, stehen sie hinter ihm. Da Mitt Romney nicht nur ehemaliger Student der Brigham Young University ist, sondern bis heute Mitglied ihrer Kirche, könnte man argumentieren, dass es wohl auf das Gleiche hinausläuft – und im Großen und Ganzen dürfte man mit dieser Einschätzung richtig liegen.

Wir konnten jedoch auch ein paar Ausnahmen finden. Die Vereinigung der Demokraten an der BYU hat etwa 250 aktive Mitglieder. Ihr Vorsitzender behauptet, er wäre stolz, wenn ein Mormone Präsident werde – nur nicht gerade Mitt Romney. Er kann nicht erkennen, wie Romneys politische Pläne jene soziale, fürsorgliche Politik befördern sollen, die er sich wünscht. Zudem möchte er nicht, dass die Haltung seiner Kirche zu Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe oder Geburtenkontrolle allen Bürgern ein Verhalten aufzwingt, das die Leute vielleicht gar nicht wollen. Interessanterweise sieht er das nicht als Verrat an seinem Glauben. Im Mormonentum, so behauptet er, gehe es nicht darum, anderen etwas vorzuschreiben oder alle gleichzumachen.

Abgesehen von der fast völlig fehlenden Subkultur bleibt vor allem ein Eindruck, den wir vom Besuch dieser Universität mitnehmen: Eine Gleichgültigkeit der Studentenschaft gegenüber politischen Ereignissen. Es war der Abend des zweiten TV-Duells und nach Obamas Schlappe gegen Romney in der ersten Runde, gefolgt vom heftigen, verbalen Schlagabtausch zwischen Paul Ryan und Joe Biden, gingen wir davon aus, dass vor allem die Erstwähler der nächsten Runde entgegenfiebern würden. Ein paar Demokraten fanden sich in einem der Wohnheim-Zimmer ein, um sich das Duell anzusehen. Die Republikaner hatten keine genauen Pläne für den Abend; einige wussten nicht einmal, dass die Debatte heute stattfinden sollte. Wo war das Feuer in ihrem Herzen? Wer von ihnen wollte die Welt verändern? Gab es für diese Studenten denn rein gar nichts, gegen das sie rebellieren wollten?

Von unserem Hotel aus machten wir uns auf die Suche nach einem Ort, an dem wir die Debatte ansehen konnten, doch kein Restaurant schien das TV-Duell zu übertragen. Nachdem es sich um eine Stadt handelt, in der überwiegend Mormonen leben, waren auch Bars recht spärlich gesät. Also versammelten wir uns am Ende alle in meinem Hotelzimmer. In dieser Nacht stiegen wir mit dem Gefühl in den Zug, so etwas wie eine Seifenblase hinter uns zurückzulassen. An der finanziell gut ausgestatteten, makellos gepflegten und freundlichen Universität von Provo haben wir uns sehr willkommen gefühlt und ich habe mich gefreut, die Menschen dort kennenlernen zu dürfen. Provo ist sicher ein sehr schöner Ort für einen Besuch; ich bin mir nur nicht sicher, ob alle Bürger des Landes hier gerne leben würden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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