Weniger Lohn – gegen meine Gesundheit

Es gibt Tage, da ist man fassungslos, was einem als Nachricht oder Pressemitteilung auf den Tisch flattert. Oder besser: in den PC geschossen wird, als Mail. Eins davon war heute die von einer Online Jobbörse namens TalentFrogs, die mir bisher noch nicht begegnet war. Doch was dann kam, schlägt dem Faß den Boden aus. Die Headline lautete „Lieber Gehaltskürzung statt Burnout: 65 Prozent der Arbeitnehmer wären einverstanden.“

Lassen Sie mich schon hier mal kurz rekapitulieren: Die Nachricht den Online-Jobbörse unterstellt zunächst mal, dass es für 100 Prozent Lohn nur noch Jobs unter Dauerstress gibt. Jobs, die arbeitsverdichtet sind. Jobs, in denen Burnouts zur Tagesordnung gehören. Wo Arbeitnehmer ein Programm aufgebürdet bekommen, das nicht in der normalen Regelarbeitszeit und ohne permanente Aufgeregtheit in einem Job ohne Dauerstress zu schaffen ist.

Und da ist was dran. Haben die Unternehmen doch auf breiter Flur in den vergangenen zehn Jahren Mitarbeiter entlassen, was das Zeug hielt. Fähige, Kompetente, Ältere, Jüngere, schlicht jeden, den man irgendwie los werden konnte – egal ob genau diese Qualifikation der Company danach fehlt oder nicht. Hauptsache weg von der Payrole. Hauptsache die Management-Sparziele werden daurch erreicht und man sichert sich in der Fürhungsebene so die eigene Prämie. Nach dem Motto „nach mir die Sintflut“.

Im Detail: Die TalentFrogs-Befragung von rund 2.300 Jobsuchenden – also Leuten, die eine Job haben, aber einen anderen suchen oder jenen Leuten, die arbeitslos sind – durch dieses Online-Unternehmen ergab: 65 Prozent der Befragten würden Abstriche am Gehalt sprich Einbußen hinnehmen, wenn ihnen trotz Job ihre psychische Gesundheit erhalten bliebe und sie einen stressfreien Job fänden. Oder jedenfalls einen Job, der bewältigbar ist in der vorgesehenen Zeit.

Denn Jobs sehen heute anders aus als früher: Nach den Entlassungswellen wurde die Arbeit nicht weniger, sondern nur auf weniger Leute verteilt, sprich für den einzelnen wurde es erheblich mehr Programm. Wer sich noch auf dem Karussel hielt, war nach der dritten beobachteten Entlassungsrunde nicht mehr sicher, ob es ihm nicht besser täte, wenn er auch zu den Geschassten gehören würde.

Wird heute einer krank, und müssen Kollegen für ihn einspringen und seine Arbeit auch noch miterledigen, ist man anschließend kollektiv sauer auf den Genesenen.  Wer aus der Klinik zurückkommt in den Job, braucht sich nicht mehr wundern, wenn wirklich kein Kollege zwischendurch nach seiner Gesundheit angefragt hat oder ihn mit Emphathie zurück an Bord begrüßt. Das scheint zum Standard zu werden. 

Oder ein andere Beispiel: Für gegenseitige Hilfestellungen ist keine Zeit mehr. Kommt einer mit dem neuen Windows-Programm nicht klar, hat er selbst schuld und braucht auf Kollegenhilfe gar nicht erst hoffen – die haben auch keine Zeit für Nachhilfestunden. Ruft jemand an und will jemand in einer anderen Abteilung sprechen, ist es egal, wo derjenige am Ende landet und ob ihm irgendjemand hilft  – Hauptsache er ist aus der eigenen Telefonleitung verschwunden, die Zeit drängt.

Nettes Beispiel am Rande: Rechtsanwälte, die für ein Journalisten-Gespräch eigentlich lieber keine Zeit aufbringen – sind es doch keine billable hours, abrechenbare Stunden.

Doch zurück zum Thema. Die Firma, die weniger zahlt, aber dafür nicht die Gesundheit ihrer Mitarbeiter kaputt macht, ist der attraktivere Arbeitgeber?

Zum einen: wer garantiert, dass es so bleibt? Zum anderen ist es genau genommen eine Zumutung. Kein faierer Tauschhandel Lohn gegen Arbeit mehr, sondern die Formel heißt keine Überbelastung gegen weniger Lohn.

Das liest sich anders in den verschiedenen Beste-Arbeitgeber-Rankings, wo jeder Platzierte freudestrahlend der Öffentlichkeit mitteilt, dass er ein wahrhaft begehrenswerter Arbeitgeber ist, habe ich noch nie den Punkt gelesen: Wir überfordern unsere Leute nicht, unbotmässige Arbeitsverdichtung gibt´s hier nicht.

Ganz nebenbei ist laut TalentFrogs den Frauen – so die Untersuchung – ihre Gesundheit wichtiger als Männern. 73 Prozent der Frauen sind eher bereit, ihrer Company ihre Gesundheit abzukaufen als Männer mit 58 Prozent.

Und nun lassen Sie mich ganz kurz einordnen:

1. Seit geraumer Zeit kreist allerorten der Entlassungs-Hammer und jeder Mitarbeiter hat gelernt, dass er keineswegs unentbehrlich ist für seine Company.

2. Dann wurden die Arbeitszeiten verkürzt und von der Arbeitnehmerseite erkauft mit Gehaltskürzungen.

Dumm nur, dass die Arbeit nicht weniger wurde und sie sich nicht nur unendlich verdichtete, sondern mit weniger Leuten und höherer Qualität verrichtet werden muss. Und vielen unbezahlten Überstunden.

3. Die Wirtschaftskrise rechtfertige jahrelang ausbleibende Gehaltsrunden, die steigende Inflation sorgte für reale Lohnsenkungen.

4. Die Arbeit artet mittlerweile allerorten in atemlose Hetze aus, jeder Urlaub wird vorher und nachher herausgearbeitet, von der Regelarbeitszeit träumen viele nur noch.

5. Was ist die Folge? Burnouts. Diejenigen Fälle, die bekannt werden, machen schon jetzt mehr als zehn Prozent der Belegschaft aus.

Fragt überhaupt jemand nach der Verantwortung der Firmen für die Gesundheit ihrer Angestellten? Irgendwie nicht. Frei nach dem Motto dieser Lutschbonbons namens Fisherman´s Friend : „Sind sie zu stark, bist Du zu schwach.“ Nebenbei bemerkt: Die Unternehmen feiern sich für das, was eigentlich der Anstand gebietet: Dass ihnen die langfristige Gesudheit ihrer Mitarbeiter nicht gleichgültig ist, sondern dass sie  ihre Fürsorgerpflicht als Arbeitgeber ernst nehmen und ihnen die Gesundheit ihrer Leute am Herzen liegt. Zum Beispiel bei Wettbewerben wie dem „Corporate Health Award“.

Und was kommt jetzt? Die Arbeitnehmer finden die Überbelastung – so jubelt TalentFrogs und beklatscht deren Gesundheitsbewusstsein – normal und sind nachh alldem bereit, weiteren Gehaltsverzicht zu üben. 58 Prozent der Männer jedenfalls. Lassen Sie mich raten: Wer Hypotheken fürs Eigenheim als Hals hat, eine Familie ernähren und Kinder durch die Ausbildung bringen muss, der kann es sich gar nicht leisten, Gehaltsabstriche zu machen für einen gesunderen Job.

Von den Frauen dagegen, bei denen 73 Prozent der Arbeitnehmerinnen für einen gesunderen Job auf Lohn verzichten würden, sieht die Rechnung nochmal anders aus. Von ihnen hat im Durchschnitt ohnehin jede zweite heute gar keine Kinder – und kann es sich auch eher leisten, nur an sich und ihre Gesundheit zu denken. Je höher auf der Karriereleiter, umso weniger Mütter, umso weniger Kids.

Kurz: das Ergebnis der Umfrage ist perfide. Erst macht man die Mitarbeiter jahrelang mürbe, dann arbeiten sie länger für weniger Lohn und einem immer größerem Pensum mit immer weniger Kollegen. Bis sie so mürbe sind, dass sie bereit sind, auch noch dafür zu zahlen, das sie einen Job bekommen, der ihre Gesundheit nicht zerstört.

Ein merkwürdiges Tauschgeschäft.

www.talentfrogs.de

 

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