Whistleblower müssen nicht mehr automatisch um ihren Job fürchten

Ich höre es sie schon sagen – frei nach dem Liedermacher Georg Danzer: „am besten hat´s in diesem Land der Denunziant, der Denunziant“ http://www.lyricstime.com/georg-danzer-wir-werden-alle-berwacht-lyrics.html .

Oder diese Variante: Untreue Mitarbeiter, illoyal und undankbar. Denn heute erging ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) , dass Whistleblower nicht von ihrer Firma mit Kündigung bestraft werden dürfen. Weil sie Missstände öffentlich machen, die der Arbeitgeber als Firmeninterna ansieht und nicht der Öffentlichkeit mitteilen wollte

Nebenbei bemerkt: Die stetig zunehmende Illoylität deutscher Arbeitnehmer wurde in den vergangenen Jahren bereits durch mehrere Umfragen belegt – europaweit ist sie wohl am niedrigsten . Diese dürfte keinen Arbeitgeber mehr überraschen. Er muss vielmehr damit rechnen.

Doch hin wie her: Heute verkündete der EGMR entgegen der Unterinstanz, dem Landesarbeitsgericht Berlin im Fall eines Altenpflegeheims , dass  bei solch einer vermeintlichen Treulosigkeit „das öffentliche Interesse an Information über Mängel in der Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen“ so wichtig ist, dass es schwerer wiegt als die Unternehmensinteressen (Aktenzeichen ECHR 115 (2011)) an einem unbefleckten Image.

Wackerer Anwalt

Ausgerechnet der Anwalt namens Benedikt Hopmann, der der Berliner Supermarktkassiererin Emmily zurück an ihren Arbeitsplatz verholfen und Durchhaltevermögen bis in letzte Instanz bewiesen hatte, errang für die Berliner Krankenpflegerin Brigitte Heinisch einen klaren Sieg. Er gab sich nicht mit einer möglichst hohen Abfindung zufrieden wie die meisten seiner Kollegen, sondern kämpfte für den Arbeitsplatz der Frau, die sich öffentlich – negativ -geäussert hatte über Mißstände in dem Altenpflegeheim, in dem sie arbeitete. Und sogar Flugblätter hatte sie verteilt, auf denen sie ihren Brötchengeber, den Klinikbetreiber Vivantes, angeprangert hatte. Die Rede war von Betrug. Die Staatsanwaltschaft zwar später die  Ermittlungen aufgenommen, sie aber wieder eingestellt.

Dass sich ein Arbeitgeber verraten und verkauft fühlt, wenn ihm die eigenen Mitarbeiter in den Rücken fallen, ist nachvollziehbar. Dass auch Chefs oder Inhaber sich persönlich gekränkt oder beleidigt fühlen, ist nur normal.

Doch im Fall der Altenpflegerin lag es anders. Alte Menschen wurden in dem Heim nur unzureichend versorgt, Pflegemängel waren bereits amtlich festgestellt worden – vom medizinischen Dienst der Krankenkassen. Es gab also Opfer. Mehrere Kollegen hatten schon vergebliche Versuche zuvor gestartet, zuerst die Geschäftsleitung selbst über die Missstände zu informieren. Über die Überlastung des Pflegepersonals und den daraus resultierenden Notstand. Aber offenbar fruchtlos.

Die Kernfrage

Die Kernfrage ist: Würden Sie, lieber Leser(in), Ihre Mutter oder Ihren Vater in so ein Altenpflegeheim geben wollen? Wo offensichtlich zu wenige Menschen zur Pflegen der Senioren-Patienten sind? Oder würden Sie nicht auch lieber selbst als erste erfahren, wenn Ihre Elternteile schlecht versorgt sind?

Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig.

Zum Urteil: http://www.lto.de/de/html/nachrichten/3822/EGMR_Whistleblowing_kein_kuendigungsgrund/

Kommentar Wiwrtschaftswoche-Redakteur Manfred Engeser: http://www.wiwo.de/management-erfolg/lizenz-zum-verpfeifen-474235/print/

Süddeutsche Magazin über das Risiko der Whistleblower: http://www.sueddeutsche.de/karriere/whistleblower-im-buero-denunzianten-vom-dienst-1.1086760

Eine Ex-Glaxo-Mitarbeiterin kassierte wegen ihres Whistleblowings Millionen Dollar: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/tippgeberin-erhaelt-millionen-von-glaxo/3573922.html

FB_Addon_TelNo{ height:15px !important; white-space: nowrap !important; background-color: #0ff0ff;}

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Alle Kommentare [1]

  1. Herzliche Glückwünsche, Brigitte Heinisch und Benedikt Hopmann!

    Ende gut, alles gut?

    Nicht ganz. Denn neben dem Erfolg von Brigitte Heinisch und Benedikt Hopmann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bleibt ein übler Nachgeschmack über das Verhalten der Verantwortlichen des Vivantes-Konzerns und der angerufenen deutschen Arbeitsgerichte.

    Wettbewerb und Privatisierungen im Gesundheitswesen dürfen nicht dazu führen, dass die immer stärker an Gewinn ausgerichteten Krankenhauskonzerne stetig steigenden Druck auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausüben und selbst rechtswidrige Zustände in ihren Häusern wissentlich in Kauf nehmen.
    Und arbeitsrechtliche Urteile, die derartiges Verhalten von Geschäftsführungen von Krankenhäusern und Pflegeheimen stärken und Widerspruch sanktionieren, entsprechen nicht den im Grundgesetz festgeschriebenen Wertemaßstäben.

    Deshalb bin ich Frau Heinisch und Herrn Hopmann für ihren Mut und ihre Beharrlichkeit dankbar – sie haben der Republik einen großen Dienst erwiesen.

    Alexander Kroll
    https://www.alexander-kroll-online.de