Richard Quest aus Davos exklusiv für wiwo.de: Davos bleibt untätig…

Es war ein surrealer Anblick. Man wollte es kaum glauben. Da waren wir also, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos – während Kairo in Aufruhr war. Einige der wichtigsten Entscheidungsträger der Welt, wie David Cameron oder Angela Merkel, hatten sich für ein gemütliches Gespräch über den Welthandel zusammengesetzt. Dabei verloren sie nicht ein einziges Wort über DAS Thema der Stunde. Ich war mir sicher, dass Peter Sutherland, Chairman von Goldman Sachs International, das Panel mit einer Einladung an die Gäste beginnen würde, sich zu den aktuellen Ereignissen in Ägypten zu äußern. Ich wurde eines Besseren belehrt. Die Diskussionsrunde kämpfte sich durch den neuesten Bericht zur Doha-Runde. Besagte Runde existiert ja nur seit acht Jahren – es ist wohl kaum ein Thema von allergrößter Dringlichkeit.  Als die Regierungschefs den Raum verließen, fing ich sie an der Tür ab. Cameron sagte, er habe schon vor einigen Stunden in seinem CNN-Interview mit meinem Kollegen Fareed Zakaria einige Kommentare zur Lage in Ägypten abgegeben.

Merkel bahnte sich einen Weg durch die Menge, während wir in all dem Gedränge versuchten, ihr ein paar Worte zum Thema zu entlocken. Dabei hätten wir beinahe einige Delegierte und ihre Ehepartner über den Haufen gerannt. Das war für uns wirklich kein ruhmreicher Moment – Entschuldigung!

Zugegeben, Kanzlerin Merkel hat am Ende ihrer Rede einige Fragen beantwortet.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gab ein paar obligatorische Kommentare ab.             

quest2011-klein

Mehr kam jedoch nicht.

Es war absolut merkwürdig. Die Menschen in den Cafés vor dem gigantischen Konferenzzentrum saßen gebannt vor ihren iPads und verfolgten die Ereignisse in Ägypten. Währenddessen nahmen die Delegierten an Panels teil, deren diverse Themen sich auf Dinge konzentrierten, die mit den aktuellen Ereignissen nur wenig zu tun hatten. In Ägypten brannten Städte und in Davos diskutierte man Themen wie „Die Zukunft des Unternehmens“, „Arbeit neu definieren“ und „Gesunde Erziehung“.

Davos war ziemlich gut darin, all das zu ignorieren, was in Nordafrika und Nahost infolge des Aufstands in Tunesien gerade passierte. Am Samstag gab es dann doch eine Diskussion mit dem Davos-typischen, auf eine niedliche Alliteration gestützten Titel „Tunesien: Trendwende oder Tsunami?“ Wie man in den USA so schön sagt: „A day late and a Dollar short“.

In den vergangenen Jahren war Davos recht gut darin, auf die aktuellen Krisen einzugehen. Im letzten Jahr stellte man ein Panel auf die Beine, bei dem über das Erdbeben von Haiti gesprochen wurde. Nur Wochen nach dem Tsunami diskutierte Davos bereits seine Auswirkungen. Und auch während der Gaza-Offensive gab es in Davos Panels zu diesem Thema. Darunter jenes berühmte, bei dem der türkische Ministerpräsident Erdogan die Bühne verließ, nachdem es eine Meinungsverschiedenheit mit dem israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres gegeben hatte. Und diesmal? Was gab es diesmal zum Thema der Stunde? Nichts. Die Organisatoren weisen die Vorwürfe zurück. Ein Sprecher sagte mir: „Der erst am Freitag ernannte tunesische Informationsminister ist noch am selben Tag hierher geflogen, um gemeinsam mit dem Gouverneur der Zentralbank aufzutreten. Nennen Sie mir einen Gipfel, bei dem die Leute sofort in ein Flugzeug steigen, um ein weltweites Publikum zu erreichen.“ Unglücklicherweise war dies am Donnerstag und Freitag, als die meisten Menschen hier waren, nicht der Fall. Auch der Journalist Alan Friedman schreibt in seinem Artikel für „The Atlantic“, dass man es versäumt habe, solch eine hochbrisante Situation nicht formal zu diskutieren.

„Das gespenstische Schweigen des offiziellen Davos wirkte sehr verblüffend – ja, fast beschämend.“ Fürsprecher werden anmerken, das Fehlen einer Debatte müsse nicht absichtlich sein: Vielleicht hat sich ganz einfach niemand gefunden, der auf einem Podium über Ägypten diskutieren wollte. Es gibt gerade genügend Leute, die gewillt sind, über Tunesien zu sprechen – und dies wohl auch nur, weil es sich beim tunesischen Umsturz um eine beschlossene Sache handelt. Das gibt den Delegierten die Möglichkeit, nach Herzenslust zu spekulieren. Aber der Kessel Ägypten steht unter zu großem Druck, als dass irgendjemand aussagekräftige Kommentare abgeben wollen würde, die über die zur Besonnenheit appellierenden Politiker-Plattitüden hinaus gehen.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Maschinerie des Weltwirtschaftsforums bis zum nächsten Jahr ein Dutzend Debatten fabriziert haben wird, in denen es dann darum geht, wie die Problematik letztendlich ausgegangen ist. Die Außenpolitik-Streber werden uns natürlich erklären, warum all das so wichtig war und inwiefern es die Welt verändert hat.

Schade, dass uns Davos die Krise nicht schon erklärt hat, während sie geschehen ist.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Alle Kommentare [2]

  1. Wenn jetzt jemand die Cable leaken würde, wären die bestimmt voll mit dem Thema Ägypten. So wie ich das sehe, krachen momentan viele politische Strategien zum Nahen Osten zusammen. Das Fünfeck Kairo – Jerusalem – Teheran – Riad und Washington dürfte sich neu sortieren. Wenn das mit Ägypten positiv ausgeht, dann könnte Kairo das Zentrum von 200 Millionen Arabern werden. Es ist grundsätzlich möglich, dass in 50 Jahren die Welt des Mittelmeeres gänzlich anders aussieht, als wir uns das noch vor einem Monat vorgestellt haben.

  2. Vielleicht wollte ja keiner drüber reden, weil die Herrschaften so langsam Muffe bekommen, daß diese Umsturztendenzen zukünftig nicht nur auf Perepherien beschränkt bleiben. Die Lunte ans Pulverfaß hat die unfähige Weltelite (aka Führungsdeppen) ja selbst gelegt …