„Sind wir noch zu retten?“

Qualitätsjournalismus gab es früher nur als Elitenphänomen. Gescheite Blätter in homomöopathischen Dosen und – gewichtet nach Kaufkraft – zu exorbitanten Preisen und mit meist stramm ideologischer (Vor-)Festlegung.

Genau dahin werden wir schon in Kürze zurückkehren. Qualitätsjournalismus hat es vor dem Zweiten Weltkrieg nicht in großem Umfang gegeben und wird es auch am Ende der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts nicht mehr in der Breite geben. Der Kunde ist König und der hat für Qualität nichts übrig in der Geldbörse.

 Das Gros der Menschen giert nach Sensationen, Abstrusitäten und Perversionen. Die Masse ist weder in der Lage noch willens, Qualität von Schund zu unterscheiden. Wie wären sonst die hohen Zuschauerzahlen der gelinde gesagt boulevardesken Nachrichtenformate der privaten Fernsehsender zu erklären? Wie kann es sonst sein, dass ausweislich wissenschaftlicher Studien seit Jahren der Anteil der Texte selbst in Qualitätsmedien zunimmt, die eins zu eins von Pressemitteilungen abgeschrieben wurden? Wie kann man sonst verstehen, dass Leser nicht in Scharen Sturm laufen gegen die Pest der sogenannten Advertorials, also redaktionell verbrämter Reklame?

Der durchschnittliche Mensch will unterhalten werden. Das ist für ihn Qualität. Da unterscheiden sich die alten Römer nicht von den modernen Deutschen. Jene ergötzten sich an blutigen Gladiatorenkämpfen und Exotika bei Siegesparaden ihrer Herrscher, Letztere delektieren sich an versagenden Castingshow-Teilnehmern und Erotika im weltweiten Netz. Kluge Kommentierung und knallhartes Aufdecken von Missständen, was Zeitschriften wie »Spiegel« mit Herzblut und manche Regionalzeitung zumindest gelegentlich im Lokalteil anbieten, wird als interessante Beigabe freundlich zur Kenntnis genommen. Würde man darauf verzichten, dann, so steht zu befürchten, beschwerten sich die wenigsten Abonnenten und Kioskkäufer. Bezahlen dafür, dass die Recherchen so hoch qualitativ bleiben, würden nur wenige.

Letztlich entscheidet der Unterhaltungsgrad eines Produkts, in welchem Maß die Bürger es annehmen. In vielen Fällen mag ein gutes Qualitätsimage auch als Alibi dienen. So wie sich in einer Studie herausstellte, dass die gebildeten Leserinnen einer deutschen Frauenzeitschrift zwar vorgeben, die engagierte Frauensendung »Mona Lisa« im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu schauen, in Wahrheit aber wie ihre  Geschlechtsgenossinnen mit niedrigerem Bildungsstatus auch zur Entspannung am liebsten dumpfe Talkshows auf den Privaten glotzen.

So irrt, wer meint, die hohen Verkaufszahlen, die sich in den letzten Jahren bei Zeitschriften und Zeitungen akkumuliert haben, seien ein Ausweis des Fortschritts. Die gestiegenen Verkaufszahlen spiegeln vielmehr das Bedürfnis nach sozialer Distinktion in der Massengesellschaft wider. Das Streben danach hat zugenommen, steigende Einkommen machen es möglich.

Und da es viel mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen als früher gibt, hat der im Durchschnitt höhere formale Bildungsgrad auch den Kiosk erreicht. Aber bei der Mediennutzung hat sich nicht viel getan. Man erwirbt hochpreisige Zeitschriften und legt sie daheim auf den Glastisch gut sichtbar für etwaige Besucher ab, wo sie dann ungelesen vor sich hingilben. Im Flieger landen die Qualitätszeitungen als Erstes in der Ablage des Vordersitzes und dann vertieft sich der Fluggast in »Bild«. An den amerikanischen Flughäfen wird das britische Intelligenzblatt »Economist« nachweislich regelmäßiger Erhebungen am häufigsten in Kombination mit dem Klatschmagazin »Us« verkauft. Da sich auf dem Büroschreibtisch ein Revolverblatt nicht gut macht, schaut man notgedrungen in die durch Anspruch bestechende Tageszeitung, durchstöbert jedoch hauptsächlich die bunten Seiten und den Sportteil. Immerhin en passant und zwangsweise sind die Menschen in den Genuss des aufklärerischen Ethos der Journalisten gekommen.

Doch mit dem Vordringen des privaten Fernsehens in den 1980-ern begann die Entkoppelung von der Qualitätspresse und das Internet wird sie vollenden. Entpolitisierung und Prekarisierung der Gesellschaft sind tatkräftige Begleiter.

Unterhaltungssuchende sind abgewandert. Noch halten zumindest viele Ältere aus Gewohnheit an ihren Abos fest. Für die nachwachsende Jugend gibt es nur noch Dokusoaps, Model- und Superstar-Wettbewerbe. Die wenigen wirklich Informationshungrigen werden die Hefte und deren Redaktionsapparate nie und nimmer finanzieren können.

Die Sonderkonjunktur zwischen 1970 und Anfang der 2000er von Werbegeldern aus den Unternehmen, die in bunten Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen ihr Image stärken und den Abverkauf ihrer Produkte fördern sollten, ist zu Ende. So wie es vor dem Zweiten Weltkrieg diese Art von Marketing nicht gab, wird es sie auch künftig nicht geben. Fernsehen und Internet übernehmen. Weil dorthin die Konsumenten abwandern.

Zwar sprudelten die Werbegelder in den ersten Dekaden nach 1945 auch noch nicht, als große Publizisten wie Rudolf Augstein, Axel Springer und Henri Nannen ihre Blätter gründeten. Aber diese Pioniere waren nach Jahren der totalitären NS-Diktatur hungrig auf Meinung, Aufklärung und Enthüllung. Sie betrieben entsprechenden Journalismus aus demokratischem Sendungsbewusstsein.

Themen lagen in den Jahren der jungen westdeutschen Republik sozusagen auf der Straße. Die dunkle Vergangenheit war noch allgegen wärtig und bedurfte der gründlichen Aufarbeitung. Die Verstrickung von Teilen der neuen alten Eliten in den braunen Terror schrie geradezu nach dem großen journalistischen Kehrbesen. Die in großer Zahl zu treffenden Grundentscheidungen – etwa über die Wirtschaftsordnung, Wiederbewaffnung und dynamische Altersrente – lieferten endlosen Debattenstoff. Und die scharfen ideologischen Gegensätze zwischen dem kapitalistischen und dem kommunistischen Machtblock erlaubten, die Welt übersichtlich nach Gut und Böse zu ordnen. Das machte Recherchen vergleichsweise simpel, Artikel waren einfach zu konstruieren.

Außerdem kam der ganze journalistische Apparat billiger, weil auch qualifizierte Arbeit wenig kostete. So konnten die Pressezaren trotz Qualitätsjournalismus einen guten Schnitt machen, zumal die Bundesbürger die Vorzüge der neuen demokratischen Freiheiten schätzen lernten und zunehmend Neugier und Lernbegierde entfalteten. Der »Spiegel« und »Die Zeit« stiegen beim akademischen Nachwuchs sogar in den Rang einer Pflichtlektüre auf.

Doch allmählich schwand das Interesse, Produzenten wie Konsumenten hatten den Hunger der Nachkriegszeit gestillt. Die älteren Leser wandten sich in dem Maße von der Politik ab, in dem sich die Strukturen der Bundesrepublik verfestigten. Die Hoffnungen auf Veränderungen der Welt starben, die Möglichkeiten zu Veränderungen in der Welt erschienen zu mühselig und unattraktiv. Die nachrückende Generation ließ sich für die Verwaltung der Welt erst recht nicht begeistern. Unterhaltung dagegen war und ist den Jüngeren wichtig. Zwar bekunden mehr als 40 Prozent der Jugendlichen laut der jüngsten Shell-Studie, die regelmäßig nach den Befindlichkeiten der 12- bis 25-Jährigen fragt, sie seien stark interessiert an gesellschaftlichen Vorgängen. Aber dieses Ergebnis dürfte mehr die allerseits erwünschte Norm widerspiegeln als die echte Einstellung der Jugendlichen. Zeitungslektüre ist jedenfalls nicht cool geworden.

Die schleichende Entpolitisierung ab den 1970-ern schlug sich anfangs nicht in den Verkaufszahlen nieder. Die alten Leser blieben aus Gewohnheit ihren Blättern treu. Die missionarischen Publizisten und Verleger der ersten Stunde traten ab – oder bewegten die alten Themen, waren aber zu satt, um sich selbst mit neuen Inhalten und Formaten auf den gewandelten Publikumsgeschmack einzustellen. So übernahmen in den 1970-ern in den Verlagshäusern Kaufleute das Ruder.

Den studierten Erbsenzählern gingen zwar manche Eigenheiten in den Redaktionen gegen den Strich. So fielen denn auch deren Rotstift rasch Buntgetränke zum Opfer ebenso wie die Flasche Cognac im Schreibtisch des Redakteurs, den der einmal im Monat angeblich zur Bewirtung von Gästen auf Kosten des Hauses erwerben durfte. Doch den Qualitätsjournalismus tasteten die neuen Herren nicht an. Er schien den nach Profit hechelnden Verlagskaufleuten unabdingbar, um die Werbeetats der Unternehmen abzugrasen. Und die Rendite kam in den fetten 70er-, 80er- und 90er-Jahren auch überreichlich. Weil es eben keine andere Möglichkeit für die Werbemillionen gab, sich Ausdruck zu verleihen.

Aber nie waren Zeitungen und Zeitschriften bei Lichte besehen ideale Werbeträger. Der Nachweis der Werbewirksamkeit lebte von Glaube, Liebe, Hoffnung – und langbeinigen Vertriebsassistentinnen. Fernsehen und Internet haben da neue Maßstäbe gesetzt – und den Controllern in den Einkaufsabteilungen der Werbetreibenden wunderbare Instrumente an die Hand gegeben, ihre Budgets auf Effizienz zu trimmen. Ob das freilich alles effektiv ist, steht auf einem anderen Blatt.

Klar ist: Die Umleitung der Werbemillionen entzieht dem Qualitätsjournalismus die wirtschaftliche Grundlage. Der beschleunigte Auflagenschwund vieler Blätter verstärkt den ökonomischen Druck. In immer mehr Haushalten verdrängt seichtes Frühstücksfernsehen die gedruckte Morgenlektüre. Die Bohème-Singles ziehen sich digital Informationshäppchen rein. Der demografische Wandel lässt den Pool potenzieller Leser stärker schrumpfen, als man an der Bevölkerungszahl ablesen kann: Migranten haben über Jahre hinweg zwar die Lücke verkleinert, die der Sterbeüberschuss des deutschen Bevölkerungsteils riss, aber die Neubürger greifen nur selten zu einem hiesigen Printprodukt. So haben die Abo-Zeitungen in den vergangenen 15 Jahren über 20 Prozent ihrer Auflage eingebüßt. Bei Publikumszeitschriften schrumpfte die Zahl der verkauften Exemplare seit 2000 auf 8,5 Prozent.

Die Strukturkrise trifft die regionalen wie überregionalen Blätter, Magazine wie Zeitungen. Die »WAZ« und ihre Ableger schrumpfen. Die »Frankfurter Rundschau« siecht dahin. Die »Süddeutsche Zeitung« strahlt noch großen publizistischen Glanz aus, den die »Welt« unter den Sparzwängen der vergangenen Jahre bereits verloren hat. Aber auch das liberale Vorzeigeblatt aus München muss um schwarze Zahlen kämpfen. Das Printsegment Wirtschaft ist nach einem Jahrzehnt heftiger Nackenschläge nur noch ein Schatten seiner selbst. Waren Magazine aus diesem Bereich in den 1990-ern für die Verlage noch wahre Goldgruben, sind sie inzwischen fast querbeet ein Sanierungsfall. Ein Großteil der Auflage wird von den Verlagen massiv subventioniert. Allerlei vertriebsfördernde Praktiken, die üppigen Zugaben für Abonnements, die teils mehr kosten, als das Abo einbringt, machen den offiziellen Verkaufspreis eines Heftes in der Regel zum Mondpreis.

Der dramatischen Entwicklung begegnen die Verantwortlichen in den Verlagshäusern mit wachsender Hilflosigkeit. So kommt es inzwischen vor, dass selbst gestandene Chefredakteure großer Blätter sich ihre Reden vor Unternehmerversammlungen oder Auftritte in Diskussionsforen durch die Abnahme von Abos honorieren lassen – um die Auflage ein bisschen aufzuhübschen.

Die werbende Wirtschaft verlangt wegen des Auflagenschwunds ohnehin eine Herabsetzung der Anzeigenpreise. Titel mit Preiserhöhungen aus der Krise zu ziehen erweist sich für die Verlage als riskantes beziehungsweise unmögliches Unterfangen. Und bei vielen Lesern herrscht Billigmentalität vor. So verloren 2008/2009 die 50 Zeitungstitel am meisten Auflage, bei denen der Preisaufschlag am größten war, wie eine Untersuchung der Frankfurter Beratungsfirma Kircher + Robrecht zeigte.

Die Kosten steigen, die Einnahmen stagnieren oder sinken – das geht an die Substanz von Verlagen und Titeln. So geraten immer mehr Printprodukte unter die Kuratel von Sparkommissaren. Die jüngste Wirtschaftskrise hat verschärfte Eingriffe nach sich gezogen. Redaktionen werden ausgelagert und fusioniert, Lokalredaktionen dichtgemacht, Außenbüros geschlossen, Redakteure am Geist der Arbeitsschutzgesetze vorbei auf die Straße gesetzt, um dann einige wenige zu 30, 40 Prozent geringeren Gehältern wieder einzustellen. »Schmeiß raus, hol zurück« statt der bekannten Buchhalterformel »Schütt aus, hol zurück«. Einige Blätter werden inzwischen hauptsächlich von Praktikanten, Jungredakteuren mit kurzen Zeitarbeitsverträgen und freien Mitarbeitern gefüllt. Dass man dort keine investigative Recherche und kundige Kommentierung erwarten darf, versteht sich von selbst. So lässt man die Recherche lieber gleich ganz und übernimmt gezwungenermaßen die Texte von PR-Meldungen.

 Klaus Schweinsberg: „Sind wir noch zu retten?“ FinanzBuch Verlag, 19,95 Euro, 240 Seiten.

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