Bloss nicht alle alten Unterlagen wegwerfen, es könnte Millionen kosten – wenn die Firma verteidigungsunfähig wird

“Gleiss Lutz erwirkt im Sanitär-Kartellverfahren Freispruch für Geberit” lautet die Pressemitteilung der Kanzlei, die Seltenheitswert hat. Nicht nur weil die Europäische Kommission im gleichen Moment gegen 17 andere Sanitärhersteller – zum Beispiel Villeroy & Boch, Dornbracht, Duravit, Grohe, Hansa und Kludi – Geldbußen  von insgesamt EUR 622 Millionen wegen Beteiligung an einem Kartell bei Badezimmerausstattungen verhängt hatte. Denn nach den Feststellungen der Kommission hatten die Sanitärhersteller bis 2004 jahrelang Preiserhöhungen bei Badarmaturen, Duschabtrennungen und Sanitärkeramik abgesprochen und sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht. Gleiss: Es war eins der größten europäischen Kartellverfahren der letzten Jahre und richtete sich gegen insgesamt 19 Unternehmen. Der Marktwert der drei Produktkategorien in den sechs betroffenen Staaten (Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande und Österreich) wurde auf 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2004 geschätzt. Die Dachverbände hatten ermöglicht, dass die Produzenten Preiserhöhungen, Mindestpreise und Rabatte für die gesamte Badeinrichtung vereinbarten und vertrauliche Geschäftsinformationen austauschten. Die Ermittlungen dauerten fast sechs Jahre, auch Geberit war der Beteiligung an dem illegalen Kartell beschuldigt worden.

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Alter Papierkram kann Millionen Euro wert sein

Jedoch: Geberit gelang es in der schriftlichen und mündlichen Anhörung, die Vorwürfe der Kommission zu entkräften, so Gleiss. Alter Papierkram kann wertvoll sein Das gelingt nicht jedem, vor allem nicht, wer sich allzu leichtherzig von vermeintlich alten Unterlagen trennt. So erzählte kürzlich ein renommierter Kartellrechtler aus einer Top-Kanzlei hierzulande  – der lieber ungenannt bleiben will, um seinen Mandanten nicht zu outen – , wie wichtig alter Papierkram sein kann. So wichtig, dass er einem Unternehmen Millionenstrafen ersparen kann. Sein Klient war ein Unternehmen, das ein anderes Unternehmen vor über zehn Jahren erworben hatte. Letzterem wurde plötzlich verbotene Kartellabsprachen vorgeworfen – nach über zehn Jahren – und das übernehmende Unternehmen musste sich mit den Vorwürfen auseinander setzen. Der Kartellrechtler berichtete: “Das Unternehmen war nicht verteidigungsfähig  – alle Unterlagen von damals waren inzwischen vernichtet.” Wäre da nicht ein Mitarbeiter gewesen, der mehrere Jahrzehnte bei dem Unternehmen gearbeitet hatte und der nicht so ordnungswütig gewesen war, dass er alle Unterlagen weggeworfen hätte. Nur mit Hilfe dieses Mitarbeiters und seiner alten Unterlagen konnte das Unternehmen belegen, dass es tatsächlich unschuldig war.

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Warum eine rigorose Clean-Desk-Policy einfach nur dumm ist

Vielleicht sollten manche Unternehmen doch nicht so sehr der Clean-Desk-Policy mit den leeren Schreibtischen huldigen, weniger rasch die Aktenvernichter anrollen lassen und langjährige Mitarbeiter pfleglicher behandeln – wer weiss, wozu es gut ist. Außer dem Anstand Genüge zu tun. Die höchste Strafe muss im obigen Fall übrigens der US-Hersteller Ideal Standard mit 326 Millionen Euro zahlen. Von den deutschen Firmen mussVilleroy & Boch am mit 71,5 Millionen Euro am meisten zahlen, ihm folgt Grohe mit 54,8 Millionen Euro. Weil Grohe und Ideal Standard bei den Ermittlungen mit der Kommission kooperierten, wurden ihre Geldbußen aber um 30 Prozent gemindert. Dennoch: Solche Summen zahlt man nicht so eben aus der Portokasse.

Villeroy & Boch versucht, sich gegen die Strafe zu wehren: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/kartellvorwuerfe-villeroy-boch-legt-protest-ein;2606992

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