Ein Ossi ist wie ein Wessi – arbeitsrechtlich gesehen

Arbeitsrechtler Hans-Peter Löw von der Top-Kanzlei Lovells analysiert für den Management-Blog auf handelsblatt.com ein Urteil von heute, das mit Spannung erwartet wurde:

Kann es sein, dass ein „Ossi“ – also jemand aus den neuen Bundesländern – gleichzustellen ist mit einem Türken oder einem Afrikaner, der hierzulande wegen seiner Herkunft diskriminiert wird? Wenn ja, könnte nämlich ein Ostdeutscher Schadenersatz wegen Diskrimierung fordern – falls er tatsächlich deshalb zum Beispiel von einerm Arbeitgeber diskriminiert wurde. Diese Frage musste das Arbeitsgericht Stuttgart heute entscheiden.

Eine Frau aus den neuen Bundesländern hatte sich bei einem Stuttgarter Fensterhersteller um einen Job beworben. Mit der Absage erhielt sie ihre Bewerbungsunterlagen zurück, auf denen handschriftlich vermerkt war „(-) Ossi“. Bei mehreren Stationen ihres Lebenslaufs war ebenfalls handschriftlich „DDR“ daneben geschrieben worden. Zur Entschädigung für diese Diskriminierung verlangte die Frau von der Firma 4.800 Euro Schadenersatz nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), das entsprach in ihrem Fall drei Monatsgehältern. Das Arbeitsgericht Stuttgart lehnte diesen Anspruch heute ab. Zwar könne die Frau sich durch die Titulierung als „Ossi“ diskriminiert fühlen, aber eben nicht wegen ihrer ethnischen Herkunft. Ostdeutsche sind kein eigener Volksstamm, sondern auch nur Deutsche. Und das sei Voraussetzung für diesen Anspruch, sagten die Richter.

Denn: Das AGG bestraft nicht jede Diskriminierung, sondern nur solche Benachteiligungen aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechs, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Die Titulierung als Ossi muß also unter einen dieser Begriffe fallen – sonst kommt ein Schadensersatzanspruch nicht in Frage.

Kernfrage ist also, ob die Herkunft aus einem der neuen Bundesländer eine „ethnische“ Herkunft ist. Das AGG definiert ethnische Herkunft nicht. Auch in der entsprechenden ‚EU-Richtlinie, auf der das AGG beruht, wird die ethnische Herkunft nicht erläutert. Das Arbeitsgericht Stuttgart urteilte nun heute: Die Gemeinsamkeit ethnischer Herkunft könne sich in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder in gleichartiger Ernährung ausdrücken. Die „Ossis“ seien jedoch lediglich durch die Zuordnung zum ehemaligen DDR-Territorium verbunden.

Grundsätzlich umfaßt die ethnische Herkunft die im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung aus dem Jahre 1966 genannten Kriterien. Dazu gehören Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationaler Ursprung oder Volkstum. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, daß es dem AGG um den Schutz von Menschen geht, die als anders oder fremd gelten. Gerade bei der ethnischen Herkunft sind Stereotypen bei der „Beurteilung“ von Menschen weit verbreitet. Menschen bestimmter Abstammung, bestimmten Ursprungs oder Volkstums werden alleine deswegen negative Eigenschaften zugeschrieben. Wenn wir uns ehrliche Antworten auf die Frage geben, welche Eigenschaften wir mit dem Begriff des „Ossi“ verbinden, hätte im Lichte dieser Überlegungen das Urteil sicherlich auch anders ausfallen können.

Und noch eine Bermerkung zum Abschluß: Der Sachverhalt ist wieder einmal ein Paradebeispiel dafür, daß gerade bei der Einstellungsdiskriminierung eigentlich nur dann Risiken lauern, wenn der Arbeitgeber die einfachsten Verfahrensregeln außer acht läßt. Unsachliche Erwägungen haben bei der Einstellungsentscheidung keinen Platz. Wer sich von ihnen aber nicht frei machen kann, sollte sie dem Bewerber bitte nicht schriftlich mitteilen.

Hans-Peter Löw, Arbeitsrechtler in der Top-Kanzlei Lovells

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