SAP-Gründer Plattner rechnet mit seinem Ziehsohn ab

Eigentlich sollte es ein ganz entspannter Nachmittag werden, am Montag der vergangenen Woche in Walldorf: SAP-Chefkontrolleur Hasso Plattner ist mit den knapp 100 Mitarbeitervertreter von SAP – alle Betriebsräte sowie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – zum locken Plausch beim Kaffee verabredet. Etwas mehr als die Hälfte der Geladenen finden sich letztlich um 14:30 ein in einem der Kundenseminarräume auf der vierten Etage im Gebäude WDF21 der deutschen SAP-Landesgesellschaft.

Die ersten 45 Minuten des auf rund zwei Stunden anberaumten Treffens plaudert Plattner, leger auf einem Bistro-Hocker sitzend, über die jüngsten Erfolge des von ihm gemeinsam mit vier Kollegen im Jahr 1972 gegründeten Softwarekonzerns. Dazu zählt – wenig verwunderlich – vor allem eine Technologie namens In-Memory, schließlich hat der SAP-Aufsichtsratschef deren Entwicklung an seinem eigenen Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam maßgeblich mitvorangetrieben.

Nach dem Schwelgen über die wiedererlangte Innovationsfähigkeit von SAP redet sich Plattner zunehmend in Rage und setzt an zu einem unerwarteten wie ungewöhnlichen Rundumschlag in Sachen Vergangenheit, wie mehrere Teilnehmer des Treffens der WirtschaftsWoche unabhängig voneinander berichten. Von Ex-CEO Léo Apotheker über dessen Vorgänger Henning Kagermann bis hin zu Plattners einstigem Ziehsohn und damaligem Wunsch-Vorstandsvorsitzenden Shai Agassi bekommen alle ihr Fett weg.

Fehler, den einstigen Ziehsohn geholt zu haben

Insbesondere Plattners Rückblick auf Agassi soll zu einer „regelrechten Abrechnung“ geraten sein, so die Aussage mehrerer Anwesender. Ziemlich genau vier Jahre ist es her, dass der vielfach als Software-Wunderkind gehandelte Plattner-Zögling völlig überraschend das Unternehmen verließ. In der Folge durchforstete der SAP-Gründer große Teile der Technogieentwicklung nach Unstimmigkeiten und Fehlentwicklungen. Schon damals hieß es, Plattner habe sich im Nachhinein über manche Entscheidung in Agassis Verantwortungsbereich verwundert gezeigt (viele Details in meiner damaligen WiWo-Story).

Heute kreidet Plattner dem damaligen Technologievorstand im Nachhinein unverständliche oder falsche Entscheidungen bei der Produktstrategie an. Das wurde seinerzeit schon im Unternehmen kolportiert; jetzt äußert es der SAP-Chefkontrolleur frank und frei vor 60 Leuten. Damit nicht genug: Dann konstatiert Plattner noch, es sei rückblickend möglicherweise ein Fehler gewesen, ihn ins Unternehmen zu holen – schließlich habe der Mann das Unternehmen „sehr viel Geld“ gekostet, wie zwei Teilnehmer berichten.

Meinte Plattner damit den Kauf des Agassi-Unternehmens TopTier im Jahr 2001 für stolze 400 Millionen Dollar, mit dem der Israeli damals ins Unternehmen kam, wie es der eine anwesende SAPler erzählt? Oder beinhaltete die Klage sogar eine indirekte Andeutung, dass Agassi in die Vorgänge um die einstige Tochter Tomorrow Now und die Ende letztes Jahr verhängte Strafe in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar verwickelt war, wie es ein anderer Teilnehmer verstanden haben will? Möglicherweise ist Plattner diesbezüglich ja wegen der Brisanz des Themas bewusst im Ungefähren geblieben.

Kaum Kreativität, wenig Innovationen

Weitere Punkte von Plattners Rundumschlag sind die Ära Léo Apotheker sowie die Internet-basierte Mittelstandssoftware Business By Design. Zwar überkommt ihn einen Hauch von Selbstkritik bezüglich Apotheker, der in seiner Amtszeit zunächst als Mit-, später als alleiniger SAP-Vorstandschef zwischen April 2008 und Februar 2010 mit einer Reihe unpopulärer Entscheidungen sowohl die SAP-Kunden wie auch die eigene Belegschaft gegen sich aufbrachte. Immerhin hatte Plattner ja maßgeblich dafür gesorgt, dass Apotheker nach dem überraschenden Ausstieg seines Lieblingskandidaten Agassi  als neuer starker Mann bei SAP an die Spitze rückte. Zwar habe man ihn dann bei SAP nicht mehr gebraucht, dafür verdiene er ja heute als HP-Chef das Achtfache dessen, was er bei SAP bekommen habe, so Plattner beinahe lästernd, wie ein Teilnehmer berichtet.

Und auch dessen Vorgänger Henning Kagermann muss an jenem Montagnachmittag Kritik vom SAP-Übervater einstecken: Schließlich fiel die Entwicklung von Business By Design vor allem in dessen Amtszeit. Und dieses Hoffnungsprojekt sollte große Teile der internen Kapazitäten von SAP lange Zeit binden:  Insgesamt dauerte die Erstellung der neuen Software aufgrund mehrerer Neustarts fast acht Jahre und verschlang mehr als eine Milliarde Euro Entwicklungskosten. Dafür soll Plattner heute Kagermann zumindest mitverantwortlich machen: Manche Strukturveränderungen und der Management-Stil unter dem Physik-Professor hätten dazu geführt, dass SAP in jener Phase kaum Kreativität gezeigt und zu wenig Innovationen hervorgebracht hätte.

Was hat Plattner zu jener Generalabrechnung bewogen? Einer der Teilnehmer drückt es so aus: In seinen Augen habe sich der SAP-Gründer längst von der Ära der althergebrachten Unternehmenssoftware verabschiedet, mit der SAP groß geworden ist. Stattdessen denke er längst in viel größeren Dimensionen: Software müsse heute im ganz großen Stil reüssieren – so wie etwa Facebook. Bis zu den rund 700 Millionen Nutzern des sozialen Netzwerks müssen die Walldorfer in der Tat noch einen weiten Weg gehen: Laut eigenen Angaben hat SAP aktuell mehr als 109.000 Kunden und rund 35 Millionen Nutzer.

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Alle Kommentare [7]

  1. Immer wieder finden sich a) Menschen die man getrost als „Lecks“ bezeichen kann, b) die sich im Alter merkwürdig verhalten und entsprechend „ironisch“ mit der Vergangenheit umgehen, die sie in der Regel selbst mitbestimmt haben und nun in einem „weisen“ Licht erstrahlt.

  2. Ach du liebes bisschen, will das wirklich noch jemand wissen? Im SAP-Betriebsrat scheint es Leute mit geradezu neurotischem Geltungsdrang zu geben …

  3. Blind für trojanische Pferde
    Die Installation von Agassi, Apotheker Kagermann etc. und deren Einkäufe von z.B. „Tomorrow Now“ und die anschließenden Kapitalabflüsse in Milliardenhöhe waren geniale Schachzüge wie eine SAP von innen gemolken wird.
    Die „know how“- Transfers werden von der SAP nicht mal reklamiert.
    Ein ist sicher: Das Spiel geht weiter!

  4. Na das ist ja mal wieder die gelebte deutsche Tugend.
    Kein Wort über das öffentliche Engagement, kein Wort über freiwillige Förderungen, kein Wort über Innovationsschmiede usw. usf.
    Nur Neid, Neid und nochmal blanker Neid.
    Wen juckts eigentlich wirklich was da los war.
    Offensichtlich keinen, denn sonst hätte man es bei den öffentlichen gesehen.
    Laßt den Mann mal schön in Ruhe und leistet erst was er heute noch leistet.
    Und die ‚Wühlmäuse‘ sollten sich die Frage gefallen lassen ob sie denn keine anderen Wertigkeiten besitzen, als wie die Kindergartenkinder „Ich weiß was“ zu rufen.
    Geht in die Ecke und schämt Euch.

  5. Plattner wird sich wohl den Mitbewerb mal genauer angesehen haben (zB. Salesforce und deren Chatter sowie Social Media Integration) und dann ist ihm klar geworden dass SAP einige wichtige Entwicklungen verschlafen hat.

  6. @Angus Schuurman

    LOL, Chatter. Da ist mir doch StreamWork tausendmal lieber. Könnte daran liegen, dass es die Funktionen von Chatter + viel mehr hat, womit man auch mal was schafft und nicht nur schwatzt 😉 .

    Salesforce hat schon ein ganz nettes CRM. Nur was nützt das, wenn es keine Integration gibt? Um irgendwelche Daten daraus in ein ERP oder SRM zu bekommen, gibt man sie dort am besten nochmal per Hand ein 😛 .