CeBIT 2010: Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln

Die weltgrößte Computermesse will wieder mehr Verbraucherthemen ansprechen – eine neuerliche Abkehr vom Fokus rein auf IT-Profis.

Es ist kurz vor der alljährlichen Computermesse CeBIT. Auch für mich steht inzwischen der 14. Besuch in Folge an, den ich trotz allem gerne absolviere. Trotzdem – oder gerade deshalb – fühle ich mich langsam wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Denn ähnlich wie spätwinterliche Schnee- und Regenschauer pünktlich zur CeBIT über Hannovers Messegelände fegen, üben sich Befürworter und Kritiker der IT-Leistungsschau Jahr für Jahr im medialen Fingerhakeln.

Die einen monieren – nicht zu unrecht – die seit Jahren fallenden Aussteller- und Besucherzahlen: Beim Allzeithoch kurz vor dem Platzen der Internetblase 2001 drängelten sich mehr als 870.000 Besucher durch die Messehallen in Hannover, um die Stände von mehr als 9000 Ausstellern zu bewundern. 2009, also nur acht Jahre später, hatten sich beide Zahlen halbiert. In der vergangenen Woche musste CeBIT-Chef Ernst Raue dann noch einen drauflegen, als er einen neuerlichen Rückgang bei den Ausstellern verkündete: 4157 Unternehmen haben sich demnach für die diesjährige Messe angemeldet; noch einmal deutlich weniger als die 4300 Firmen im Jahre 2009 – und überdies die niedrigste Teilnehmerzahl seit 20 Jahren überhaupt.

Andere wiederum, wie etwa Microsoft-Deutschland-Chef Achim Berg, machen trotzdem in Optimismus und verkünden, der Messe habe die Kehrtwende bereits erfolgreich vollzogen. „Für uns ist die CeBIT eine richtige Perle“, so Berg kürzlich gegenüber der Deutschen Presseagentur dpa. Das freilich klingt schon ein wenig wie das Pfeifen im Walde – schließlich ist Microsoft einer der größten CeBIT-Aussteller; und Microsoft-Boss Ballmer wird bei Berg gewiss freundlich, aber bestimmt, nachfragen, ob denn die Marketing-Euros in Hannover noch so gut angelegt sind.

Kräftig beim Messekonzept nachgearbeitet

Die unerwartet positive Sichtweise Bergs dürfte jedoch auch den Umstand geschuldet sein, dass der CeBIT-Veranstalter, die Deutsche Messe AG, nach den schleppenden Anmeldungen im vergangenen Herbst beim Messekonzept kräftig nachgearbeitet hat: So soll in diesem Jahr auch der Verbraucheraspekt innerhalb der IT wieder auf die CeBIT zurückkehren, zum Beispiel durch die Einbeziehung von Musik und IT in Form einer Untermesse namens CeBIT Sounds. Grund: Viele IT-Innovationen kommen inzwischen erst beim Endkunden zum Durchbruch, bevor sie dann ins Geschäftskundensegment einziehen. Beispiele dafür sind laut Microsoft-Deutschland-Chef Berg etwa die wachsende Verbreitung von Smartphones: „Das hat die CeBIT verstanden, und das sehen wir extrem positiv.“

Ob dem wirklich so ist, muss sich freilich erst noch erweisen. Ein Blick in die Vergangenheit stimmt diesbezüglich jedenfalls nicht sehr hoffnungsfroh. Denn die Deutsche Messe hat sich in den vergangenen Jahren gerade bei der Behandlung der Themen Unterhaltungselektronik und Verbraucher-IT nicht eben mit Ruhm bekleckert. Von einer wirklichen Strategie konnte kaum die Rede sein – vielmehr glich das Vorgehen mehr dem schon sprichwörtlichen „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.“

Ende der 90er Jahre versucht die Deutsche Messe  erstmals, auf das wachsende Interesse der Nichtprofis an IT-Themen einzugehen – freilich in einem Schritt eher ablehnender Natur: Sie ruft mit der CeBIT Home einen Messeableger ins Leben, um so eine Trennung zwischen den IT-Fachbesuchern und den Massen der von Profis gerne abfällig „Beutelratten“ genannten Guckbesucher hinzubekommen. Doch das Konzept geht nicht auf: Nach zwei mäßig erfolgreichen Unterhaltungselektronik-Messen in Leipzig in den Jahren 1996 und 1998 wird die 2000er CeBIT Home mangels Ausstellerinteresse erst abgesagt; Ende 2000 verkündet die Deutsche Messe dann das endgültige Aus für die kleine CeBIT-Schwester.

Private IT-Schmuddelkinder

In den Folgejahren lautet die erklärte Marschrichtung der CeBIT: Die Messe ist eine Business-Veranstaltung, Unternehmens-IT kommt ins Zentrum, und die privaten IT-Schmuddelkinder sind bestenfalls geduldet. Fast schon legendär ist beispielsweise ein Zwischenfall aus dem Jahr 2002: Seinerzeit muss Sony nach einer Beschwerde von Microsoft seine Spielkonsole Playstation 2 vom Messestand räumen. Microsoft hatte kurz zuvor seine eigene Daddelmaschine Xbox auf den Markt gebracht, diese aber auf der CeBIT nur hinter Plexiglas gezeigt, während Sony die Besucher an seinen Geräten auch spielen lassen will – in den Augen von Microsoft ein Verstoß gegen die CeBIT-Regel, dass auf der Messe keine Unterhaltungselektronik gezeigt werde dürfe.

Doch auch diesen Kurs halten die Hannoveraner angesichts der seit 2001 deutlich fallenden Aussteller- und Besucherzahlen nicht lange durch: 2006 will die Deutsche Messe die wachsende Bedrohung durch die Unterhaltungselektronikmesse IFA in Berlin mit einer Sonderschau namens „Digital Living“ kontern. Doch der Spagat zwischen Publikumsschau und Fachmesse misslingt – viele renommierte Aussteller wie Sony oder Philips sagen ihre Teilnahme ab.

2008, nur zwei Jahre später, die nächste Rolle zurück: Zurück zur Profimesse, mehr Fachbesucher, weniger „Plastiktütenträger“, so lautet die Devise. Damit wolle man das Profil der CeBIT wieder schärfen, verkündet die Deutsche Messe AG kurz vor Messebeginn. Der Ausgang ist bekannt – der Rückgang von Ausstellern beschleunigt sich sogar noch: Von 5800 Unternehmen im Jahre 2008 auf 4300 im vergangenen Jahr. Und jetzt, zwei weitere Jahre später, heißt’s also wieder Kehrtwende und Marsch, Marsch in Richtung Unterhaltungselektronik und Privatkunden.

„Konsumerierung der IT“

Ob der Schwenk diesmal gelingt, ist fraglich. Zu unterschiedlich scheinen die Interessen der im Branchenverband Bitkom zusammengeschlossenen Unternehmen, die im Messebeirat der CeBIT eine wichtige Rolle spielen. Dies scheint auch der Hauptgrund für das strategische Rumeiern der vergangenen Jahre zu sein. Dabei ist die Erkenntnis über die wachsende Bedeutung der Endkunden-IT auch für das Business-to-Business-Segment nicht wirklich neu: Schon im Jahr 2005 hat das amerikanische IT-Strategieberatungsunternehmen Gartner die so genannte „Konsumerierung der IT“ als den wichtigsten Branchentrend innerhalb der nächsten zehn Jahre ausgemacht. Vor dem Hintergrund scheinen denn auch Forderungen der Kollegen von der „FTD“, die CeBIT mit der Hannover Messe zusammen zu legen, eher kontraproduktiv zu sein.

Was also dann? Zugegeben, das aktuelle Konzept von CeBIT-Chef Raue zur Umgestaltung der Branchenschau soll erst 2011 komplett umgesetzt sein. Aber ob es ausreicht, um mittelfristig gegen die Konkurrenz der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas und den Mobile World Congress (MWC) in Barcelona zu bestehen? Spätestens am 6. März, wenn die diesjährige CeBIT ihre Pforten schließt, sehen wir erste Indikatoren: Schafft die CeBIT eine wirkliche Trendumkehr und kann wieder mehr Besucher ansprechen? Zu wünschen wäre es – nicht zuletzt, um eine wichtige Leitmesse in einer immer noch enorm wichtigen Branche im Lande zu halten. Die Hoffnung jedenfalls, sie stirbt zuletzt.

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Alle Kommentare [4]

  1. Die auf Twitter benannten „Beutelratten“ sind wahrscheinlich die künftigen Konsumenten…tolle Leistung!

  2. Nehme noch Wetten an … am Ende der CeBIT werden die gesunkenen Besucherzahlen erneut als „Erfolg“ gewertet. Wie nach Wahlen ja auch nieman wirklich verloren hat. Ist „Messe“ noch zeitgemäß, wenn wir unsere Informationen doch „online“ erhalten?