Tristan und Isolde an der Staatsoper

Daniel Barenboim dirigiert „Tristan und Isolde“ hochromantisch – mit einem formidablen Andreas Schager und eine starken Anja Kampe. Die Regie von Dmitri Tcherniakov? Darüber müssen wir reden…                         ★★★★☆

Nondum amabam et amare amabam – Noch liebte ich nicht, doch liebte ich die Liebe. So steht es bei Augustinus, am Anfang des dritten Buches der „Bekenntnisse“ – und so vor allem ist Richard Wagners „Tristan und Isolde“ zu verstehen: als eine Meditation über das Begehren des Begehrens, die Leidenschaft für die Leidenschaft – als ein Gedicht, in dem  die Liebe auf sich selbst trifft, um sich vier Stunden lang zu umkreisen. Denn so wie Wagner sich bereits im Vorspiel in den Klang eines alles bestimmenden Akkords versenkt, um ihn am Schluss ekstatisch-rauschhaft zu verklären, so löst sich auch alles Diesseitige, Körperliche und Dialogische der (un-)dramatischen Handlung, etwa im taumelnden Duett des zweiten Akts, in einem lyrischen Schwelgen auf, in schwebende Stimmung – in die reine, religiöse Idee einer Liebe, die als Wahrheit allem Weltlichen enthoben, dem Leben und der Wirklichkeit entrückt ist.

Daniel Barenboim nimmt Richard Wagner an diesem (Premieren-)Abend unbedingt beim komponierten Wort und dirigiert an den entscheidenden Stellen, vor allem den zweiten Akt, eine musikpoetische Hommage an die todessehnsüchtige Liebe und die Nachtseite der Vernunft, trunken-versunken, hochromantisch, langsam, kontemplativ: klingende, schopenhauersche Weltverneinung. Das ist viertelstundenweise beglückend, einerseits. Und andererseits höchst verstörend, ja fast schmerzhaft: Denn der Kontrast zwischen der Liebes-Lyrik im Graben und der intellektualisierten Prosa des Bühnengeschehens könnte größer nicht sein. Regisseur Dmitri Tcherniakov, der an der Staatsoper vor fast drei Jahren bereits einen erzählerischen Parsifal inszeniert hat, interessiert sich auch diesmal vor allem für die prosaischen Aspekte im Wagner-Werk, weshalb er ständig meint, seine Zuschauer auf etwas hinweisen, ihnen etwas entdecken zu müssen – und Wagner und Barenboim ständig mit aufklärerischem Zeigefinger vor der Nase herumfuchtelt.

Noch nicht so allerdings im ersten Akt, als die Regie noch aufs Wundervollste aufgeht und  eine Sternstunde glückt. Tristan, der treue Untertan, der seinem König Marke Isolde zuführt, um eheamtlich Frieden zu stiften zwischen zwei verfeindeten Völkern: Isolde, deren Mann er im Kampf tötete, die ihn hernach gesund gepflegt hat, die ihn liebt und wegen seines Vasallendienstes verachtet – dieser Tristan ist bei Tcherniakov Skipper auf einer Luxusyacht mit lichtem, schwungvoll durchdesigntem Interieur, in dem eine Freundesschar der Erfolg-Reichen Glastische, Clubsessel, Flachbildschirme und vor allem ihre triste Champagnerlangeweile genießt. Entsprechend wird uns Isolde als verlassene Ex vorgestellt – und Brangäne nicht als Zofe, sondern als beste, lauernde Freundin, die nicht verstehen kann, warum sich Isolde diesen Tristan nicht aus dem Kopf schlagen kann: Auch andere Mütter haben hübsche Söhne – und wenn der Preis materieller Unbesorgtheit „die große Liebe“ ist, sei’s drum: Am Ende wird es Brangäne sein – vorzüglich gesungen und gespielt von Ekaterina Gubanova -, die sich den König Marke geangelt hat…

Es ist nur einer der vielen, guten Einfälle von Tcherniakov. Ein anderer: Als Tristan am Ende des ersten Aktes merkt, das Isolde ihn vergiften will, als beiden auffällt, dass sie mit niemandem sonst so sehr sich selbst genießen können, als sie in Lust entbrennen um der schieren Lust willen, sich einander verzehren in Selbstentzücken und Selbsthingabe, bereit, den Augenblick höchster Intensität zu verstetigen und „ewig, ewig ein“ gemeinsam in den Tod zu gehen – da geht das Vorhaben schief, weil eine lebenstüchtig berechnende  Frau wie Brangäne für solche Exaltationen und Überspanntheiten keinen Sinn entwickeln kann und die Zubereitung des Todestranks verweigert. Stattdessen sieht man Tristan und Isolde, wie sie sich knubbeln vor Lachen nach ihrem Flirt mit dem Schnitter: Das Liebesleben ist ein Totentanz – und nimmt uns der Sensenmann nicht heute mit, dann erlöst er uns eben morgen: ganz großes, modernes Wagner-Kino!

Das Problematische an der Regie beginnt im zweiten Akt: Wenn man schon nicht mit Wagner den Trieb selbst feiern will, der sich durch keinen Mangel seines Objekts entwerten lässt („Freudejauchzen, Lustentzücken, himmelhöchstes Weltentrücken“), dann sollte man die Lust wenigstens modern an die Vorzüglichkeit seines Objekts binden, um eine schlüssige Version von „Tristan und Isolde“ auf die Bühne zu bringen. Doch statt dessen tischt uns Tcherniakov hier eine Art zweisames Proseminar auf, in dem Professor Tristan seiner armen, etwas begriffsstutzigen Schülerin Isolde so lange den Schopenhauer eintrichtert, bis dieser endlich ein Licht aufgeht – und was für eines: Vollends beseelt und durchleuchtet von der Gleichung „Liebe = Tod“ erreicht Isolde den Höhepunkt ihrer Verstandeskraft, weiß Gott: Einen schöneren Hirnsex hat sie noch nicht erlebt!

Im dritten Akt schließlich ahnt man, worauf Tcherniakov hinaus will: Er will uns, wie im Parsifal, eine Story erzählen, aber nicht die von Isolde, die interessiert ihn nicht, sondern allein die von Tristan. Von der modernen Luxusyacht über das Sechzigerjahre-Schloss mit Motivtapete im zweiten Akt geht es zurück in Tristans Heimat- und Herkunft, in eine Art betagte Altbau-Beletage mit gelbem Licht, Deckenventilator und Alkoven: Tristan, dessen Vater kurz vor seiner Geburt und dessen Mutter während seiner Geburt starb, ist ein Mann der Verlustangst, der gestörten Identitätsbildung und Bindungsfähigkeit – ein Träumer des Einsseins, der embryonalen Verbundenheit: Wie berührend die klagende Weise des Englischhorns vor dem Hintergrund dieses Gedankens klingt: eine Weise, die Tcherniakov als Sinnbild kindlicher Erinnerung und zur Verdeutlichung seiner Idee noch dazu von einem  Bühnenmusiker aus der Bettnische heraus erklingen lässt, in der Isolde, die muttergleiche Erlöserin, sich am Ende zu ihrem toten Tristan legt…

Das alles ist höchst gedankenreich und eindrucksvoll, ist eine Lesart, sind Ideen, die einen noch Tage und Wochen später beschäftigen – allein im Moment der Aufführung nicht wirklich zu berühren wissen, weil es dem Konzept der „einen einzigen Liebesszene“ (Wagner über „Tristan und Isolde“) und dem lyrischen Romantizismus Barenboims so offensichtlich widerspricht. Dennoch, trotz der emotional-kognitiven Dissonanzen und letztlich auch wegen ihnen: Es ist und bleibt ein ambivalent-superber Abend. Barenboim lässt die Partitur extrem tief atmen, was besonders im zweiten Akt viel zauberischen, meditativen Effekt macht – und er lässt sich keine dramatische Zuspitzung entgehen, was einer sehr starken Anja Kampe als Isolde im Verlauf des Abends das Leben ein wenig zu schwer macht. Andreas Schager wiederum gibt als Tristan ein Beispiel seiner stupenden Möglichkeiten: Unglaublich, welch‘ weicher Stahl in diesem Sänger steckt, wie das Metall in seiner Stimme seit dem „Siegfried“ vor zwei, drei Jahren an Wärme, Ausdruck, Schmelz gewonnen hat – mit wie viel überbordender Kraft er den dritten Akt über die Rampe bringt. Auch der Rest des Ensembles lässt keine Wünsche offen; vor allem Boaz Daniel als Kurwenal weiß mächtig zu überzeugen.

Weitere Aufführungen: 18., 25. Februar, 3., 11., 18. März (Restkarten)

 

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