Neuinszenierung des Parsifal an der Staatsoper: Zurück zu den Figuren!

Friedrich Nietzsche wünschte Richard Wagner bekanntlich, dass dessen letztes Werk, der Parsifal, „heiter gemeint sei“, als eine abschließende „Parodie auf das Tragische selbst“. Anders sei das christlich-mythische Erbauungs- und Erlösungsdrama mit all seinem Karfreitagskitsch – „ein Operetten-Stoff par excellance“ – kaum zu ertragen. Nicht viele Regisseure haben es seither mit Nietzsche gehalten. Man inszeniert den „Parsifal“ gewohnheitsmäßig als Emblem des Kunstreligiös-Katholischen mit viel Weihrauch und Prozessionsmusik, als Epiphanie von Gott (und Wagner), kurz: als Pilgerziel für most addicted believer, für eine wie zum letzten Wagner-Mahl versammelte Glaubensgemeinde im Saal.

Natürlich hat es zwischenzeitlich auch so manchen Gotteslästerer gegeben, der das Sakrale ins Groteske übersteigert, das Rituelle ins Pathologische aufgegipfelt – und damit (auch) die unfreiwillige Komik des bildungsbürgerlich gesättigten Oberammergau-Gefühls aufgezeigt – hat, wie zuletzt Philipp Stölzl an der Deutschen Oper. Aber so oder so: Im Mittelpunkt steht dabei meist der Versuch, den Karfreitagszauber zu beseelen und/oder zu entmystifizieren – und damit der Abgrund, der die Vormoderne des religiösen Weltgefühls vom gründlich entzauberten Rationalitätsglauben unserer material world trennt.

Der russische Regisseur Dmitri Tscherniakov geht nun an der Berliner Staatsoper einen anderen Weg: Er wendet sich vom Parsifal-Thema weg – und den Figuren zu. Sein Interesse gilt dabei vor allem Gurnemanz und Kundry, und es ist höchst interessant (und schlüssig), ihm dabei zu folgen: Gurnemanz, von Wagner angelegt als die gute Seele des Ordens, wird von Tscherniakov als Sektenführer demaskiert, dem die Felle des ritualhaft bekräftigten Glaubens davon zu schwimmen drohen (und der deshalb zum Mörder Kundrys wird), während Kundry (von Wagner angelegt als changierende Venus-Hexe mit sporadischem Elisabeth-Maria-Gefühlen) sich in die Todes-Melancholie Isoldens einfühlen darf und als schuldlos Schuldige – als zentrale, tragische Figur – vorgestellt wird. Vor allem im Schlussakt gelingen dem Regisseur dazu höchst prägnante, bewegende Bilder, etwa wenn er das Zwiegespräch zwischen Gurnemanz und Parsifal in eine psychologisch fein ausgeleuchtete, spannungsreiche Dreiecksbeziehung überführt.

Anderes misslingt. Die Gralsrittergemeinschaft trägt mit Wams und Mützen erkennbar proletarische Züge und marschiert im Gänsemarsch an Titurels Grab vorbei, als läge nicht Jesus, sondern Lenin oder Ho Chi Minh darin – eine Anspielung auf politische Versuche, den Himmel auf die Erde zu holen? Und wenn ja: Warum wird der Gedanke nicht weiter ausgedeutet? Warum hausen die Ritter in einem Hybrid aus Ratskeller, Krypta und Seeräubernest? Warum werden die jungen Mitglieder der restlos unheiligen, durchs Ritual aneinander geketteten Gefangenen-Gemeinschaft, von Gurnemanz wie begriffsstutzige Pennäler unterwiesen, die keinen Bock auf die alten Geschichten haben? Und warum bekommt man Klingsor, dessen Zaubergarten eine weiß getünchte Parallelwelt der Gralsritter-Gruft ist (wir begreifen: ein Gefangener des zum Wahn gesteigerten Glaubens auch er, allerdings noch nicht desillusioniert), wie einen Greisetrottel präsentiert, samt Strickpullunder, Pantoffeln und streng gekämmtem Seitenscheitel?

Das Problem mit diesen Regieeinfällen ist nicht, dass sie keine Assoziationen weckten (im Gegenteil: es gibt der kurzatmigen Impulse sehr viel), sondern dass sie in lauter Sackgassen führen. Dieser Klingsor stellt sich Parsifal in den Weg? Lachhaft. Und auch Parsifal selbst, hübsch eingeführt als sorglos umher schweifender Backpacker, nimmt man den von Kundrys Kuss (und Erotik) veranlassten Umschwung ins buchstäblich Gesetzte eines aus Mitleid wissenden Quasi-Messias nicht eine Sekunde ab. Immerhin riskiert er später noch als Heiland einen sehrend-sehnsüchtigen Blick auf Amfortas und Kundry, als diese einen heftigen Kuss austauschen…

Und so gerät der Berliner Parsifal am Ende vor allem zu einem – wenn auch nicht vollständig ungetrübten – Sänger- und Musikfest. Das tenorale Metall von Andreas Schager (Parsifal) etwa, gebucht für Bayreuth, ist noch ziemlich dünn und muss noch allzu reichlich gedengelt werden, um hübsch Gestalt anzunehmen. Die Kundry der auch schauspielerisch herausragenden Anja Kampe hingegen – ein einzig Gedicht, und das im doppelten Wortsinn: Das klagende Schmachten, „Dienen“, „Schlafen“ wird mit kräftiger stimmlicher Tiefe beglaubigt – und die isoldenhafte Melancholie und Leidenschaft von Tscherniakovs Figur mit liedhaftem Flor und stets menschlich bleibendem Furor umkränzt. Alles überragend jedoch, einmal mehr, der diesmal auch darstellerisch nicht gar so hölzern wirkende René Pape, der sich offenbar in der Form seines Lebens befindet und dem in dieser Saison in Serie stiimmliche Rollenporträts auf Referenzniveau (König Marke, Banquo) gelingen. Seinem Gurnemanz zu lauschen, auch in der gefürchteten langen Nacherzählung im ersten Akt, war eine schiere Freude und Lust: Welch ein schlanktiefer, sattgeschmeidiger Bass!

Daniel Barenboim und die Staatskapelle tragen Kundry und Gurnemanz, die beiden Hauptfiguren der Inszenierung und die beiden überragenden Stimmen, wie auf Wolken: Die Musik erhebt sich mit weit ausgespannten Schwingen, aber ohne Weihrauch aus dem Graben. Barenboim ist im ersten Akt vor allem an einer Präsentation der Wagnerschen Harmonien interessiert, entwirft den zweiten Akt vom ersten Takt an aus dem Blickwinkel Kundrys und zaubert den Karfreitag im dritten Akt kammermusikalisch diskret in den Saal – alles in allem ein höchst engagiertes, zupackendes Dirigat an diesem Ostermontag – und keine Spur von Längen, wie sie sich angeblich in die Premiere eingeschlichen haben, im Gegenteil: Barenboim überschreitet in knapp unter vier Stunden reiner, intensiver Spielzeit die Ziellinie. Verdienter, lang anhaltender Applaus.

Nächste Vorstellungen: 12. und 18. April

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Alle Kommentare [1]

  1. In Sachen Abstrusitäten passt sich der Kritiker der Inszenierung an.
    Was für ein Quatsch.
    Schade, um die verlorene Chance „ernsthaft“ mit dem Parsifal zu arbeiten.