Macbeth mit Placido Domingo in der Staatsoper

An der Staatsoper in Berlin feiern sie von Mitte Februar bis Anfang April so etwas wie Dauerfestwochen. Rund um Ostern stehen ein neuer Parsifal und ein noch recht frischer Tannhäuser im Zentrum der Festtage; im März lässt man Alban Berg mit „Wozzeck“ und „Lulu“ hochleben – und dieser Tage halten Reisebusse voller Opernpilger vor dem Schillertheater, weil dort inmitten eines Starensembles der leibhaftige Placido Domingo in seiner, wie es heißt, 143. Rolle als „Macbeth“ zu bewundern ist.

„Macbeth“, aber das ist doch – richtig: eine von Verdis berühmten Baritonrollen. Domingo ist vor sechs Jahren ins tiefere Fach gewechselt, also genau dahin, wo sich herbstliche Riesentenöre aufhalten sollten – und man muss sagen, dass dem 74-jährigen die Balance zwischen Krafteinteilung und domingohaftem Schmelz (immer noch) ganz gut gelingt. Allerdings macht Verdi es ihm auch leicht: Sein „Macbeth“ gewinnt dramatisches Profil vor allem in Ensembles, während die großen Solo-Auftritte anderen gehören, allen voran der Lady, versteht sich, um deren Herrschsucht sich das gesamte Geschehen dreht: „Ehrgeizig bist Du, aber bist Du auch böse genug, Deine Ziele zur Größe zu verfolgen?“

Und was für eine Lady Liudmyla Monastyrska ist! Sie braucht eine halbe Stunde des allzu tremolierenden Anlaufs und ballt böse Fäuste ein gefühltes Dutzend Mal zu oft, gewiss, aber dann hat sie mit klaren Höhen und auch nach unten hin fest fließender Stimme ihre Linie gefunden. Bereits das „Trinklied“ weiß sie differenzierend zu gestalten – und in der Wiederholung, genervt von ihrem fantasierend-schwächelnden Ehemann, vom Belcanto weg zu dramatisieren. Und an ihrer stockend-glockenden Nachtwandlerszene, in der Verdi somnambulen Wohlklang sozusagen vom Wahnsinn zersetzen lässt, hätte der Komponist bestimmt seine helle Freude gehabt.

Die schönsten Momente des Abends aber gelangen René Pape und der Staatskapelle unter der engagierten Stabführung von Daniel Barenboim. Papes schlackenloser, reiner Bass ist eine Wohltat und drängt sich an diesem Abend mühelos am inneren Ohr vorbei, das auf den Namen des legendären Nicolai Ghiaurov hört. Die Staatskapelle wiederum, in Sound und Lautstärke perfekt abgemischt mit den Bühnenstimmen, kostet die trockene Akustik des Schillertheaters bis zur Neige aus: kammermusikalisch farbenreich und hochdramatisch zupackend, wenn es die Partitur gebietet, aber was den großen Bogen anbelangt, herrlich mürbe, staatskapellendunkel – ein grandioses Verdi-Orchester.

Und trotzdem. Am Ende war es kein rundum gelungener Abend – und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Das „Patria oppressa“ des geknechteten Volkes im vierten Akt hat man schon deutlich bestürzender gehört (zuletzt vor einem Jahr, einen halben Kilometer gegenüber in der Deutschen Oper), wie überhaupt der Chor einen guten, aber keineswegs überragenden Eindruck hinterließ. Rolando Villazons Macduff – sagen wir es so: Der Ausdruckswille des Mexikaners überragt mittlerweile allzu auffällig seine Ausdruckskraft, wie schade: Da fehlt der Schmelz, da wird Schmerz behauptet, aufgeraut, gestemmt – kein Vergleich mit Domingo in den 1970ern.

Schließlich die Inszenierung von Peter Mussbach, 15 Jahre alt: Sie zaubert einerseits bezwingende Momente in die blutrot bis seelenschwarz ausgeleuchtete Bühnenflucht (der müde daher trottende Duncan, die Präsenz der Lady) und konzentriert das Geschehen ganz im Sinne von Verdi mit Spots auf das persönliche Seelendrama. Und doch wirkt sie in den Chorszenen manchmal unfreiwillig komisch – als irrten Tim Burtons Marsbewohner über Becketts „Warten-auf-Godot“-Hügel.

Was soll’s. Das Publikum ist hingerissen. Lang anhaltender Beifall. Großer Jubel.

Wieder am 19., 22. und 28. Februar. Wenige Restkarten.

 

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